Hörenswertes Februar 2012: Errors, Tindersticks, Motorpsycho & Ståle Storløkken

Drei spannende Alben für einen aufregenden Februar. Sowohl Motorpsycho in enger Zusammenarbeit mit Ståle Storløkken als auch die Tindersticks haben mit ihren aktuellen Outputs große Meisterwerke geschaffen, die bei meinen Best-Of des Jahres 2012 mit Sicherheit mehr als ein paar Worte mitzureden haben werden. Ergänzt werden die beiden Epen von ziemlich eigenwilligem, eigensinnigen Synthie/Ambient/Postrock von den Errors, die als musikalischer Anachronismus daherkommen und dennoch ein faszinierendes, wenn auch allzu eskapistisches Werk aus dem Hut zaubern. Achja, das Wetter heute nervt.

Motorpsycho & Ståle Storløkken – The death defying unicorn

(Universal, 10.02.2012)

Progressive Rock gehört neben Postrock zu dem Genre, das heutzutage am penetrantesten vom Musikfeuilleton für tot erklärt wird. Selbst der Punk starb in den 90ern nicht so viele kulturtheoretische Tode wie diese pompöse und komplexe Form des Rock N Roll. Aber eben mit  der selben Regelmäßigkeit erblicken immer wieder großartige Alben des vermeintlich mumifizierten Prog das Licht der Welt. Letztes Jahr waren es Opeth, die mit ihrer großartig unverschämten, unverschämt großartigen Led Zeppelin Interpretation Heritage den guten alten Prog würdig vertraten. Davor konnten Trail of Dead, The Mars Volta und auch Wolfmother – zumindest partiell – das geliebte und gehasste Genre aus seinem Kälteschlaf erwecken… und heuer also Motorpsycho.

Die sind mit Sicherheit nicht die Letzten, von denen man es erwartet hätte, haben sie doch seit jeher mit einer ordentlichen Mischung aus Blues, Rock N Roll und eben auch Prog für eine Entstaubung und Revitalisierung des pompösen Rock gesorgt. So konsequent altmodisch wie im Duett mit dem Jazzer Ståle Storløkken haben sie das jedoch nie getan. Gewaltige Fusion-Tüfteleien, opereske Spannungskurven, Mäandern zwischen Songfragmenten und Soundscapes und das alles wunderbar unmetallisch, unsynthetisch… welcome back to the 70’s. Zwangsläufig kommen dem Hörer die Musikkonzeptualisten von The Who und den Beach Boys sowie die Genreklassiker King Crimson, Camel und Pink Floyd in den Sinn. Zwischen Bombast und Psychedelic, zwischen größenwahnsinniger Narration und musikalischem Rausch zollen Motorpsycho ihren Vorbildern nicht nur Tribut sondern umarmen diese geradezu.

Das gelingt Motorpsycho allein schon dadurch, dass sie eben nicht zwangsläufig immer den naheliegendsten Weg gehen. Anstatt Ståle Storløkken in ihr progressives Crossover-Korsett zu zwängen, geben sie ihm große Freiräume, um seinen originären Fusion-Sound zwischen Jazz, Funk und Avantgarde zu entfalten. Dieses permanente Selbstaufbrechen hält das Album in einem ruhelosen, mitreißenden Fluss, garantiert eine zuverlässige Dauerspannung, die dem treibenden, getriebenen Progressive Bastard gut zu Gesicht steht. Nee, Songs braucht man hier nicht zu erwarten. Lieber sollte man sich auf einen extrem glücklich machenden, fast 1 1/2 stündigen Trip in verwegene, selbstverliebte und immer endorphinsüchtige Soundlandschaften einstellen… Egal, denn mitgerissen wird man ohnehin.

Das taube Einhorn ist eine mit vielen Ausschweifungen garnierte Liebeserklärung an das Konzept des Konzeptalbums an und für sich, eine herrlich traditionell progressive Rock-Oper, in der Thommy die dunklen Seiten des Mondes besucht, in der dennoch genug Platz für jazzige, krautige, experimentelle Exkursionen ist, und die in dieser altmodischen – aber niemals antiquierten – Form höllischen Spaß macht. Prog ist tot? Es lebe der Prog!

Tindersticks – The Something Rain

(Universal, 17.02.2012)

Jaja, die Tindersticks sind auch so ein Fall, bei dem man immer irgendwie ein „Post“ vor die Schublade setzen möchte. Egal, ob sie sich nun in Postrock, Post-Folk, Post-Kitsch oder Post Wave versuchen (Die Frage, welches „Post“ einen Gedankenstrich, welches eine Leerezeile und welches ein Dasein als schlichtes, deutsches Präfix verdient, ist an dieser Stelle noch nicht ausreichend geklärt). Jedenfalls bleiben sie dieser Konstante ihrer sonst sehr sprunghaften Discographie treu. The Something Rain findet danach statt: Nach dem Aufbegehren, nach der Erschöpfung, nach dem Trauern, nach der Emotion und nach der Erzählung: Antidramatische Narrationsbögen ziehen sich durch torkelnde, mystische Soundlandschaften, die zwischen Minimalismus und transzendentaler Erhöhung dem Folk immer wieder ein Schnippchen schlagen, ihrer eigenen Geschwätzigkeit nicht trauen und sich in poststrukturellen Sounds auflösen.

Da darf der äußerst redselige Opener auch gerne zu Saxophon und KlingKlang-Versatzstücken greifen, ohne dabei nach Jazz zu klingen, da darf es auch ein wenig disharmonisch, rauschend werden, ohne jemals beim Noise anzukommen, da darf sich Sexappeal auch mal im antiphysischen Postrock auflösen, ohne dass dies zwingend oder unplausibel wäre. Mit Referenzen um sich schmeißen, hilft in diesem Fall auch nicht viel: Selbst wenn man glaubt in den vorsichtigen musikalischen Steigerungen Postrock-Nebel à la Explosions in the Sky zu entdecken, auch wenn man neoprogressive Züge von Talk Talk und stilvollen Blues Pop aus der Arab Strap Ecke ausmacht, alles in allem bleibt The Something Rain merkwürdig ungreifbar, distanziert und distanzierend. Das ist in diesem Fall aber nichts schlechtes. Ganz im Gegenteil: Der wellenschlagende, aufbauschende und sich zurückziehende Trip fährt tief hinein in Körper und Geist, kratzt die Oberfläche ab um die Haut anschließend mit dichtem Ambient einzubalsamieren: Begleitet von zurückhaltender Emotion, mysteriöser Verkopftheit und folkloristischer Geschwätzigkeit.

Nach dem Jazz, nach dem Wave, nach dem Folk, nach dem Rock…? Nach irgendwas findet The Something Rain (unheimlich passender Titel) auf jeden Fall statt, und nach diesem wundervollen, klanglichen Trip, wünscht man sich dann auch, dass danach würde niemals aufhören, obwohl es immer wieder, sich selbst verlierend zu einem ‚Davor‘ mutiert: Vor dem Schmerz, vor der Lust, vor der Sehnsucht…? Vielleicht auch einfach kurz vor der vollkommenen Schönheit.

Errors – Have some faith in magic

(Rough Trade, 17.02.2012)

Wie mag es wohl klingen, wenn Postrock in einer futuristischen Disco gespielt wird…? Futuristisch sollte man an dieser Stelle nicht falsch verstehen; die Zukunft ist den Errors ziemlich fern, mindestens ebenso wie die Gegenwart. Stattdessen klingt ihr Hybrid aus verspieltem, zuckersüßen Postrock und monumentalen Synthie-Flügen beinahe wie Science Fiction der Vergangenheit, irgendwo zwischen der 70er Jahre Ästhetik einer Space Odyssey, den sterilen, glatten 80er Dystopien und einer kontrafaktischen Cyberpunk-Geschichtsschreibung, die sich im schillernden Art Deco verliert. Zurückhaltend sieht auf jeden Fall anders aus. Während andere Postrockbands derzeit die Flucht aus der Genre-Enge durch Flirts mit dem Punk, Electro oder Minimalismus wagen, brechen Errors komplett aus jeder würdevollen Starre aus, die dem Genre ansonsten anhaftet.

Das Bad in der selbstgewählten, flimmernden, schillernden und spacigen Würdelosigkeit mag seine musikalischen Vorteile haben: Wenn der Hörer von zahllosen Soundscapes, schwindelerregenden Spielereien und einem offenherzigen Genre-Crossover geradezu überrannt wird. Es hat aber auch seine Nachteile. Und diese liegen im Falle Errors vor allem in ihrer unglaublichen Kitsch-Affinität, in der Ausgrabung längst vergessener, zurecht zu Grabe getragener 80’s Sounds und dem generellen Flirt mit Trash und Stillosigkeit. Ehrlich gesagt weiß ich nicht genau, ob ich das gut finden soll. Dass diese gruselige 80er Retrowelle jetzt offensichtlich auch im Postrock ankommt, schmeckt mir jedenfalls nicht. Und Bowie ist die Verbindung von Stil und überbordendem Trash anno dazumal auch besser gelungen. Immerhin gelingt es den Errors zu überraschen, neue Wege zu begehen und dabei auch den ein oder anderen schnieken Sound abzuwerfen. Interessant allemal, für Postrock-Puristen mitunter aber eine Zumutung.

Bands/Künstler_Innen: Errors, Motorpsycho, Ståle Storløkken, Tindersticks, | Genres: Art Rock, Jazz, Post-Rock, Progressive Rock, Rock, | Jahrzehnt: 2010er,


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