Brumm und Blech – Die Krautrockikonen Faust veröffentlichen ein neues Album

Alle Jahre wieder… Wenn es eine Krautrockformation gibt, die die Wirren der Zeit überstanden hat, dann Faust. Seit fast 40 Jahren mit wechselndem Gesicht und unterschiedlicher Besetzung veröffentlichen die deutschen Progressive- und Avantgarde-Urgesteine Album um Album. „Faust is Last“ heißt der neuste von Joachim Irmler und seinen Mannen komponierte Streich. Faust sind die Letzten? Die letzten Überlebenden? Die letzten Avantgardisten? Die Letzten, die den Krautrockhimmel bevölkern, das tote Genre irgendwie am Leben halten? Mäßigung ist hier jedenfalls nicht angesagt: Nicht im Titel, nicht im Artwork – das eine offene geröntge Hand ziehrt – und auch nicht in der Musik, die sich auf 2CDs wie ein Mahlstrom der Avantgardegeschichte über den Hörer wälzt.

Und was dieses Potpourri an kreativen Ideen dann entfaltet, sucht tatsächlich seinesgleichen. Faust sind alles andere als die im Krautrock der 70er Jahre Hängengebliebenen. Stattdessen fließen Progressive, Avantgarde, Kraut, E-Musik, Postrock und noch vieles weitere mehr in das Material des neuen Jahrzehnts des neuen Jahrtausends hinein. Neben schrägen Klangexperimenten wie im Eröffnungsstück gibt es auf „Faust is Last“ ebenso ausgedehnte Ambient-Reisen zu finden, elektronische Industrialfegefeuer und hedonistische Noise-Eskapaden. Das experimentelle Klangmonstrum funktioniert meistens ohne Gesang, und wenn dann doch mal Stimmen zu vernehmen sind, klingen diese verzerrt, durch den Äther gejagt und fernab von dieser Welt. Auffällig ist dabei, dass Faust elektronischer und synthetischer denn je klingen. Auch wenn „Imperial Lover“ mit seinen ätherischen Gitarren und Mellotron-Tönen vorerst anderes vermuten lässt, sind es dann doch die technoiden, futuristischen Töne, die das Geschehen dominieren.

Und diese können sowohl bösartig beißen (Babylon), in fast schon tanzbaren EBM-nahen Gewässern treiben (Chrome) als auch sphärische, unheimliche Klangteppiche erzeugen, die in abseitigen Welten untergehen (Karneval). Das klingt gerade angesichts der langen Bandgeschichte und musikalischen Tradition Fausts ungemein frisch, ambivalent und vielschichtig. Da irritiert es auch keineswegs, dass in einem Song wie „Hit me“ der krautige Rock N Roll Zirkus ausgerufen wird. Stattdessen begeistern die feinen Can und Neu!-Referenzen, die druckvoll und modern aus den Boxen schallen. Laut und fett ist hier ohnehin vieles, so dass der Eindruck einer nostalgischen Retro-Platte überhaupt nicht erst aufkommen kann. Die Aufnahmen aus den Jahren 2006 und 2007 wurden ordentlich nachbearbeitet und in eine satte Produktion eingebettet, die sich keine Blöße gibt. Die Soundfetzen und ausgedehnteren Kompositionen fließen ineinander, umgarnen sich, behaken sich, schleichen umeinander, kämpfen gegeneinander und finden sich schließlich in kalter Umarmung.

Faust ist Last ist ein sphärischer, dreckiger und zugleich druckvoller Monolith. Trotz der unfassbaren Heterogenität, die die wüsten Song- und Soundcollagen wie das rohe „Drug Wipe“ oder jazzige „Nachtfahrt“ entfalten, wirkt das 90minütige Monstrum wie aus einem Guss, aus einem einzigen an Kreativität überbordernden Brainstorming zusammengeschliffen. Es funktioniert in frei improvisierter Form ebenso wie mathematisch exakt komponiert und zusammengefriemelt. Es atmet unentwegt den Geist des Neuen, Experimentierfreudigen und Neugierigen. Natürlich ist dieses Mammutwerk dadurch alles andere als leicht zugänglich. Songs sind hier eher weniger zu finden und auch ausgedehnte Kompositionen, wie sie sonst im Postrock zu Hause sind, sind auf dem Album spärlich vertreten. Aber die scheinbare Konzeptionslosigkeit der einzelnen Stücke offenbart bei jedem erneuten Hören mehr von ihrem Konzept. „Faust is Last“ ist ein Segen für die etwas angegraute RIO und Avant-Prog-Landschaft, ein Weckruf für zahllose Experimentierfelder, ein beeindruckendes Exempel freier und unzerwüstlicher Kompositionskunst. Faust is Last ist schlicht und ergreifend ein monolithisches, postmodernes Meisterwerk.

Bands/Künstler_Innen: Faust, | Genres: Krautrock, Post-Rock, | Jahrzehnt: 2010er,


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