Hörenswertes Mai 2011: Arch Enemy, Bohren & der Club of Gore, TesseracT, This will destroy You

Jaja, wir freuen uns ja alle auf den Sommer. Trotzdem wollen wir an dieser Stelle als Kontrastprogramm zum sonnestrahlenden Indie Rock und Pop der letzten Wochen ein wenig düsteres, lebensverneinendes Kontrastprogramm durch die Boxen jagen. Hart, schleppend, dunkel… aber auch schillernd in dieser Dunkelheit.  Und so tauchen wir tief und vor allem langsam hinab im tranceartigen Doomjazz von Bohren & der Club of Gore, schlagen hart auf auf dem wüsten Avantgarde Progressive Metal von TesseracT und lassen uns gleich darauf vom Drone und Postrock von This will destroy you überwälzen. Zurück ans Tageslicht kämpfen wir uns mit traditionsbewusstem Melodic Death Metal von Arch Enemy. Und dann dürfen die Sonnenstrahlen auch schon wieder kommen. Versprochen!

Bohren & der Club of Gore – Beileid

(Pias 22.4.2011)

Sieht aus wie Bohren, fühlt sich an wie Bohren und klingt doch ganz anders, als dass was man von der Band bisher kannte. Verfuhren die Mülheimer Doomjazzer Bohren & der Club of Gore auf ihren letzten Alben noch nach dem Prinzip „Es geht immer noch ein wenig langsamer“, bis sie schließlich beim fast schon unhörbaren Slow-Monumenten Geisterfaust ankamen, orientieren sie sich auf Beileid wieder an fast beschwingten und für ihre Verhältnisse äußerst schnellen Stücken. Einen Preis für die höchste Geschwindigkeit werden die gerade mal drei Stücke auf dem Album zwar nicht gewinnen, wer aber die Discographie der Noir Jazz Band verfolgt hat, wird erst einmal überrascht sein, wie swingy die Jungs sein können. „Catch my heart“ darf dann sogar mit Gesang aufwarten, mit richtigen Gesang vom Meister des grotesken Avantgarde Rock Mike Patton höchstpersönlich. Dass es sich bei dem morbiden Jazz/Fusion/Pop-Bastard um das Cover eines Warlock-Songs handelt (richtig die 80er Metalheroen mit Frontröhre Doro Pesch) setzt dem Ganzen die Krone auf. Funktionieren darf diese Kombination aus klassischer Bohren-Attitüde und Songstrukturen trotzdem.

Doomjazzer treffen Avantgardesänger… und damit geht so etwas wie der feuchte Traum eines jeden in Erfüllung, der befürchtete Bohren und der Club of Gore würden nach dem letzten Album irgendwann in der Klanglosigkeit oder dem kompletten musikalischen Stillstand verschwinden. Weit gefehlt! Die Kollaboration mit Patton eröffnet große neue Dimensionen und kreiert ein fantastisches Stück Avantgarde Noir Jazz, der durchaus auch auf Sunset Mission gepasst hätte. Ohnehin ist Beileid fast so etwas wie ein Regress in die Anfangstage der Band, als beschwingter, atmosphärischer Noir Jazz im Fokus stand. Nur auf dem dritten Song, dem fünfzehnminütigen Titelstück darf noch einmal in Langsamkeit und atmosphärischer Düsternis gebadet werden. Vielleicht mag manch einer dem Slow-Motion-Sound der letzten Alben nachweinen, aber auch in dieser Form sind Bohren höchst atmosphärisch, spannend, mitreißend und alles in allem mehr als hörenswert.

TesseracT – One

(Century Media 18.3.2011)

Es gibt in der Avantgarde Metal und Djent-Szene schon längere Zeit einen Zug zum Symphonischen, Breitbandigen und Epischen. Die britischen Progressive Metaller von TesseracT gehören zu den konsequentesten Umsetzern dieser neuen Form der harten Gangart. Anhand eines deftigen Meshuggah-Avantgarde-Thrash-Gerüstes entwerfen sie große, pathetische Hymnen, die sowohl vom klassischen Progressive Metal als auch Postrock beeinflusst sind. Das dürfte freilich nicht jedem schmecken, dem das Rohe, Ungebändigte und vor allem futuristisch Kalte anderer Bands des Genres mündet. Spannend und atmosphärisch dicht ist es trotzdem. TessarecT kombinieren geschickt die disharmonischen, harten und disversifiziert rhythmischen Momente von experimentellem Thrash Metal der Marke Meshuggah und fügen diesem diverse andere (Neo) Progressive Stilmittel hinzu. Das erinnert dann mitunter an den Pathos von Oceansize (inklusive unangenehmem Gefühl der Überladung), an düsteren Sphärenmetal à la Tool und verliert sich gelegentlich auch in apokalyptischen Postrocklandschaften.

Besonders der im Zentrum stehende Sechsteiler (und über 25Minüter)  Concealing Fate ist ein Progressive Metal Ungetüm, das sich von zahllosen eklektischen Momenten speist: Core-Metal, Screams und Shouts, cleaner Gesang, Stakkato-Riffs, große sakrale und melodische Passagen… die Einflüsse überschlagen sich ebenso wie die Atmosphären und Spannungskurven. So wäre es ein Leichtes dem Album Haltungslosigkeit vorzuwerfen, wenn es zwischenzeitlich nicht immer so verdammt stark klingen würde. Definitiv eine Entdeckung im Progressive Metal, definitiv ein starkes, hörenswertes Album, auch wenn es hin und wieder etwas fokussierter und eindeutiger sein könnte.

This will destroy you – Tunnel Blanket

(Monotreme, 13.5.2011)

An Isis zu denken, lässt sich nicht verhindern, wenn die sphärischen postmetallischen, postrockigen Drone Töne von This will destroy you aus den Boxen schallen. Ebenso wenig der Vergleich mit Godspeed you! Black Emperor, Mono oder Explosions in the Sky. This will destroy you chargieren klassische Versatzstücke des Postrock, Drone und Doom Metal, nehmen sich aus jeder Ecke das Passendste und pendeln so stetig zwischen wütendem Aufbäumen und sakraler, gedankenschwerer Hingabe.  Prototypisch, der Opener: Nach einem ruhigen sphärischen Intro schmettern die Gitarren los, kaum wahrnehmbare heisere Stimmen aus einer Zwischenwelt erklingen im Hintergrund, das metallene Wabern der Bass- und Gitarrenläufe wälzt sich schwer atmend über den Hörer… und natürlich gibt es keinen Ausweg, keine Hoffnung mehr, einzig die Flucht nach vorne, sich direkt in die Musik fallen zu lassen.

Das Konzept mag nicht das originellste sein, aber es geht auf. Zwischen kreischenden und sägenden Tönen, zwischen dumpfem Lärm und metaphysischer Erlösung fräsen sich This will destroy you direkt ins Hirn und Herz ihrer Hörer. Bei weitem nicht so virtuos und galant wie die Postrocker von Godspeed You! Black Emperor, bei weitem nicht so niederschmetternd wie die Doom-Alpträume von Isis oder Neurosis, aber doch verdammt intensiv, besonders in den abrupten Wechseln zwischen zähnefletschendem Doom-Metal und sphärischem Postrock. Da mag der Hörer mitunter die echten Spannungskurven vermissen. Allzu oft findet der Wechsel eben direkt statt, ohne Vorbereitung, ohne Dramaturgie. Kopfkino wird dadurch weniger ermöglicht, dafür aber umso mehr instinktive, atavistische Eindrücke zwischen Fiebertraum, Apokalypse und Schwerelosigkeit. Tunnel Blanket ist ein satter atmosphärischer Trip, das letzte Bisschen Eigenständigkeit und dramaturgisches Spiel fehlen aber noch zur vollkommenen (Un)Glückseligkeit.

Arch Enemy – Khaos Legions

(Century Media, 27.5.2011)

Ist schon etwas länger her, dass wirklich neues Material von Arch Enemy zu hören war, und doch gehören die Schweden zu den letzten Urgesteinen des melodischen Death Metal aus dem Norden. Nachdem sich zahlreiche Bands des Genres Richtung Metalcore und diversen Neo Thrash Spielarten orientiert haben, klingen Arch Enemy immer noch so verdammt wohltuend nach End-90er Melodic Death, dass ihnen ihr Konservatismus einfach nicht übel zu nehmen ist. Khaos Legions knüppelt ordentlich melodisch nach vorne, harte Riffs, mal schleppend zäh, mal auf Adrenalin und High Speed. Heiseres und glutturales  Geshoute von Angela Gossow, fantastische Gitarrenarbeit der Amott-Brüder, tiefe Basswände, große, pathetische Hooklines… die Trademarks, die Arch Enemy seit eh und je auszeichnen funktionieren auch 2011. Das macht verdammt viel Spaß, kann einen gewissen Nostalgiefkator nicht verhehlen und klingt dennoch frisch genug, auch über fünfzehn Jahre nach der Bandgründung.

Die ein oder andere vorsichtige Erneuerungsnuance hat sich dann doch ins Material geschlichen. In manchem Song darf der überraschte Hörer ziemlich hohen Gesang vernehmen, der auch einer True Metal Band gut (oder eben weniger gut) zu Gesicht stünde. Einflüsse aus dem amerikanischen Metal-Zirkus sind ebenso zu hören wie das ein oder andere radiotaugliche Interlude. Eingängig waren Arch Enemy schon immer auf ihre Weise, aber auf Khaos Legin sind tatsächlich hitversprechende Refrains in zuhörerfreundlichen Lautstärke vertreten. Mitunter meint man gar das Tanzbein schwingen zu wollen, auch wenn diesen Tendenzen nach wie vor die satte Metal-Härte im Weg steht. Khaos Legions ist ein vielstimmiges, im besten Sinne des Wortes wertkonservatives und zugleich vorsichtig für Neuerungen offenes Werk. Und definitiv ein Jahreshighlight für Freunde des nordeuropäischen Melodic Death Metal, der sich bei mittlerweile zu vielen Bands in der Variation und Runderneuerung verloren hat.

Bands/Künstler_Innen: Arch Enemy, Bohren & der Club of Gore, TesseracT, This will destroy you, | Genres: Death Metal, Doom Jazz, Doom Metal, Jazz, Metal, Post-Rock, Progressive Metal, Thrash Metal, | Jahrzehnt: 2010er,


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