Monat: August 2010

Zwischentöne aus dem Indie Pop Nimmerland – Rezension zu The suburbs von Arcade Fire

Wenn in den letzten Monaten nach dem heißersehntesten Indie Pop Album 2010 gefragt wurde, fiel meistens wie aus der Pistole geschossen ein Name: The Suburbs, der dritte Langspielplattenstreich des kanadischen Pop-Kollektivs „Arcade Fire“. Immerhin hatte die Band 2004 mit Funeral eines der beliebtesten Indie Pop Alben des vergangenen Jahrzehnts aufgenommen und auch mit dessen Nachfolger Neon Bible für Begeisterungsstürme bei Fans und Kritikern gesorgt. Ein Hauch von Hoffnung wehte seit der Ankündigung über dem nun erscheinenden Album. Könnten Aracde Fire (vielleicht noch zusammen mit Broken Social Scene) im Alleingang die angerostete Indie-Ehre retten? Wären sie der Hoffnungsträger für die Zukunft der Musik der Hornbrillen- und Sportjackenträger? Selten zuvor wurde ein Album so heiß umsehnt, so mystifziert und diskutiert, bevor überhaupt seine ersten richtigen Töne zu hören waren. Nun liegt es vor uns, in seiner ganzen Pracht…

Weiterlesen

In the Fishtank 7: Low & Dirty Three (2000)

Nach dem Solo-Intermezzo von June of 44 wurde munter weiter kollaboriert bei Konkurrents Fishtankreihe. Pünktlich zur Jahrtausendwende standen sich die Indie-Rocker von Low und das instrumentelle Folk-Trio Dirty Three gegenüber. Diese haben durchaus Erfahrung, was die Zusammenarbeit mit Alternativerock und Indie-Größen betrifft. Warren Ellis war seinerzeit Mitglied bei „Nick Cave and the Bad Seeds“, die anderen beiden im Bunde – Mick Turner und Jim White – sind unter anderem als Backgroundmusiker bei Cat Power, PJ Harvey oder gar Sonic Youth zu hören. Da scheint die Zusammenarbeit mit den Lo-Fi, Slowcore-Rockern von Low nur folgerichtig.

Und „Zusammenarbeit“ ist wohl auch tatsächlich der beste Begriff, um die siebte Fishtanksession zu kennzeichnen. Denn was bedeutet Zusammenarbeit…? Kompromisse. Und um diese sind weder Low noch Dirty Three verlegen. So pirschen sich Low ganz vorsichtig mit ihrem subtilen, bedächtigen Slowcore-Sound heran, bemühen sich redlich nicht allzu viel Wind zu machen und wollen scheinbar sowieso am liebsten ungehört bleiben. Dirty Three wiederum, die es gewohnt sind, fragile Soundgewänder aus der zweiten Reihe stimmig einzubetten, legen ganz vorsichtig ihren romantischen, mitunter leicht schrägen Post-Folk/Ambient über das Geschehen. Und das ganze klingt in erster Linie vor allem ruhig. Da darf ein 9minütiges Folkepos wie das Neil Young Cover „Down by the river“ auch fast die gesamte erste Hälfte aus vertonter Stille bestehen. Bleche werden höchstens sachte gestreichelt, Gitarren nicht einmal annähernd gezupft. Geräusche sind ja auch irgendwie überflüssig, wenn man in aller Ruhe eben jene Ruhe vollkommen ruhig genießen kann. Stille um der Stille wegen, teilweise fast schon störend von Klang unterbrochen.

Machen wir uns nichts vor. FISH7 ist ein vertontes Understatement. Wo andere Bands die Kollaborationen zu wüstem Crossover nutzen, schmiegen sich hier Lo-Fi, Indie und Folk genüsslich aneinander. Ein ganz klein wenig experimentell, ein wenig zum Spirit of Eden von Talk Talk nickend, ein wenig mit Leonard Coen flirtend, dabei aber immer mit dem Blick zum Boden, immer den Fluchtweg im Auge, immer den Sturm zurückhaltend und alles in allem wunderschön. Enervierend könnte man es fast nennen, wie der „Invitation day“ oder „Cody“ mit ihren sanften Streichern an der Stille vor dem nie einsetzenden Sturm kratzen. Ruhe, die in ihrer inneren Zerrissenheit alles andere als beruhigend ist… daran ändern auch die himmlischen, fast schon kitschigen Vocals eines „When I called upon your Seed“ nichts. Low und Dirty Three scheinen auszuloten, wie sie dem selbst kreierten musikalischen Kosmos am besten entkommen könnten… How to disappear completly: Durch die Musik, mit der Musik, hinter der Musik, die in ihrer ganzen sanften Pracht nicht einmal Musik sein will.

Und so legt sich diese 40minütige EP Schleier um Schleier auf ihre Zuhörer, diese in ihrer dichten Bedächtigkeit fast zerdrückend. Und wenn es dann am Ende ganz plötzlich herrlich kratzig, bluesig, anti-folkig heißt „Lordy, save my soul“ dann scheint es dafür beinahe zu spät, vollkommen unabhängig davon wie dieses beinahe – aber wirklich nur beinahe – befreiende Mantra schmutzig und wüst wiederholt wird. Ein letztes Atmen durch den feinen Staub der geräuschlosen Soundkulisse, ein letztes Aufbäumen vor dem abrupten, vollkommmenen Verstummen. Eine fantastische Kurzspielplatte, ein herrliches Eintauchen in einen annähernd klanglosen Klangkosmos, eine ungewöhnliche, wirkungsvolle, einfach nur schöne Fishtank-Kollaboration.

Rezension zum 99er Klassiker Madonna von …And You Will Know Us by the Trail of Dead

Heiliges Blechle! Verbindet man mit dem Namen „Madonna“ die Jungfrau von Gottes Gnaden, die Mutter unseres Erlösers und die Frau, der es gelang völlig unbefleckt schwanger zu werden, oder wenn es musikalisch werden soll eine Sängerin, die sich insbesondere in den 80ern durch angesagten Discopop einen Namen machte, so wird man hier erst einmal kräftig durch die Mangel genommen. „Madonna“ ist das zweite Album von „…And you will know us by the trail of dead“ kurz „…And you will know us…“ kurz “Trail of dead” kurz “AYKUBTTOD”. Und irgendwie scheint dieser sakrale Titel für ein solch ungestümes Album der Passendste zu sein. Genau das wird wohl jeder uneingeschränkt unterschreiben, der zum ersten Male in diesen fulminanten Rausch hineingezogen wird. Was die Texaner hier leisten ist eine wahre Exegese der ursprünglichen Rock N Roll Gedankens: Ungestüm, wütend, wüst, subversiv, schnell und wild berstend durch die musikalische Manege hüpfend. Luftholen hat erst einmal Sendepause, wenn sich dieser unglaublich schnelle, alles einsaugende 55Minüter in seiner vollen Pracht entfaltet.

Weiterlesen

Gentrifizierte Pop-Heroen – Das neue Album von Wir sind Helden: Bring mich nach Hause

Auch wenn sie es vermutlich nicht gerne hören: Wir sind Helden sind die Band der Berliner Gentrifizierung schlechthin. Aus der linksalternativen Subkultur entsprungen, Mastermind Judith Holofernes war zuvor als Straßenmusikerin und Solokünstlerin auf den Berlinern Kleinkunstbühnen unterwegs, dann der große Durchbruch, Erfolg auf der ganzen Linie bei Hörern und Kritikern, hipp, angesagt, irgendwie auch schick und sympathisch unbefangen, schließlich die ebenfalls wohlwollend aufgenommenen Nachfolger und schließlich die Babypause. Zum Schema passt, dass Holofernes trotz Kind nicht nach Zehlendorf ziehen will. Szenebezirk Kreuzberg bleibt eben die Heimat und dort kann man sich schließlich auch mit den Hörern und Freunden zwischen Design, Künstlertum und Start Up Gewinnern pudelwohl fühlen. Begleitet von viel Pop, ein wenig Unangepasstheit und der puren Freude am Leben.

Weiterlesen

Hinter dem Rauschen… Rezension zu 65daysofstatic – We were exploding anyway

65daysofstatic waren schon immer die Elektroniker unter den aktuellen Postrockern. Auf ihrem neuen Album We were exploding anyway gehen sie noch einen kleinen Schritt weiter und sprengen damit das Genre komplett auf. Ist das überhaupt noch Postrock? kann man sich da schon fragen, wenn die Beats zeitiger sind als die Streicher und Gitarren. Ist das überhaupt noch Postrock? kann man sich fragen, wenn es pulsiert und treibt, wenn es sich selbst zerfleischt im elektronischen Klangtumult. Ist das überhaupt noch Postrock? Oder nicht eher Post Electronica? Post House? Post Trance? Post Techno? Post Industrial? Jedenfalls nach irgendetwas scheint es zu sein… nach was auch immer…

Weiterlesen

Traumhochzeit – Eine Rezension zu Broken Social Scene – s/t (2005)

Wir schreiben das Jahr 2005… So unterschiedlich die beiden Genres auch sein mögen, eines haben sie gemeinsam: Sowohl Postrock als auch Indiepop stecken in einer selbst eingebrockten Krise. Während der Indie-Pop sich in kassenträchtige UK-Retro-garage-Rock-Hypes auf der einen Seite und seichte Pop-Boote auf der anderen Seite splittet und dabei jede Innovation vermissen lässt, dümpelt der Postrock im Fahrwasser von unzähligen „Godspeed! You Black Emperor“-Klonen und hilflosen Ambient-Verbrechern, die dem ehemals subversiven Genre einen starken Anstrich von biedermeierschem Konservatismus geben. Da liegt es natürlich nahe, beiden Genres einen Nachruf zu schreiben, sich epitaphischem Wehleiden hinzugeben und eine allgemeine düster, pessimistische Kunstapokalypse heraufzubeschwören. Ausgerechnet Broken Social Scene, das auf mittlerweile zehn Mitglieder angewachsene Künstlerkollektiv, gestartet als Postrock-Projekt mit Tortoise-Anleihen (Feel good lost) und einen Abstecher in trockenen Rock hinter sich habend, geht den genau entgegen gesetzten Weg. Auf dem Opus Magnum der Band, dem berüchtigten Selftitled-Album feierten sie 2005 in elegischen, bunt zusammen gewürfelten, wild ekstatischen Tönen die Wiederauferstehung zweier Genres aus ihrem Dornröschenschlaf und deren innigste Vereinigung.

Weiterlesen