Bunt, bunt, bunt sind alle unsere Töne – Broken Social Scene: Forgiveness Rock Record

Summer, summer, sunshine, we hate your hate, I was waiting for you, it’s all gonna break… Da hat das Kanadische Kollektiv Broken Social Scene tief in die Trickkiste gegriffen und 2005 mit der selbstbetitelten Scheibe mal so auf die Schnelle eines der besten Indie Rock Alben des letzten Jahrzehnts veröffentlicht. Bunt war es, optimistisch, sommerlich und fröhlich und dennoch komplex, ausufernd, überfrachtet, überlagert, überhastet, überreizt und einfach überherrlich, überphänomenal. Nach dem bunten Wunderlandpaket kamen sie aber auch ganz schön ins Straucheln: Da gab es die etwas halbherzige Broken Social Scene presents Reihe, die auf halber Strecke zwischen Kevin Drew und Leslie Feist stecken blieb, da gab es rührige Popveröffentlichungen eben von jener Dame… und ansonsten herrschte Funkstille. Macht nichts. 2010 melden sie sich nun zurück und pulverisieren die davor liegenden ernüchternden Jahre mit einem Handstreich.

Forgiveness Rock Record. Ambitionierter Titel. Ambitionierte Cover-Art. Ambitioniertes Album. Für Subtilitäten und Zurückhaltung waren die Kanadier ohnehin noch nie zu haben. Und entsprechend wird der Hörer dann auch auf dem neusten Album begrüßt: Episch, bombastisch, überladen und dabei warmherzig leicht braust World Sick über den Hörer hinüber, nachdem ein kurzes Intro noch vermuten ließ, dass die Indie-Recken einen Gang kürzer schalten könnten. Denkste! Broken Social Scene basteln wieder: An musikalischen Referenzen, Reminiszenzen und Querverweisen, an hymnischen Postrockmomenten, an buntem Indiepop und vor allem an den unzähligen Schichten, die sie schamlos übereinander legen bis einzig der knallende Soundrausch vollkommen im Vordergrund steht. Wer braucht schon Ruhe, wenn er Musik haben kann? Wer auf spartanischen Minimalismus steht soll gefälligst weiter Pavement oder Dinosaur Jr. hören. Hier geht es um etwas anderes: Den unverhohlenen Flirt des Indie Rocks mit Hollywood, mit Euphorie und Bombast, mit satten, vollen Klangteppichen und mit Tönen, Tönen, Tönen, die sich schichtenweise übereinanderstapeln, aufbauschen, zurückweichen, sich in kurzen Momenten der Stille sammeln nur um kurz darauf wieder alle Dämme brechen zu lassen.

Dabei scheint erst einmal alles wie gehabt. Wie auf der grandiosen Selftitled spielen Broken Social Scene mit Pop, Postrock, Indie, Disco, Kraut und zahllosen anderen Stilmitteln, geben eine himmlische Prince-Performance ab, auf die selbst Prince neidisch wäre (Chase Scene), verbinden skurriles Soundwabern mit himmlischen weiblichen Vocals (All to all), tauchen in relaxte Americana-Gefilde ab (Highway Slipper Jam) und tauchen schnell wieder auf um in geloopten, gescratchten ausuferndem und zerschossenen Postrock Luft zu holen. Wie das alles homogen klingen kann, bleibt rätselhaft. Aber genau das tut es. Bevor man überhaupt die zahllosen Einflüsse und Einfälle zählen kann, die sich auf diesem Mosaik zusammen gefunden haben, wird man auch schon aufgesogen in den einzigartigen BSS-Klangkosmos. Dabei spielen sich Unterschiede zum Quasi-Vorgänger eher auf Nuancenebenen ab. Ein bisschen dunkler ist alles geworden, etwas gediegener, weniger hektisch. Die Beach Boys schauen seltener vorbei, dafür dürfen dann die Talking Heads, Talk Talk und The Smiths ihren Einstand geben. Ohnehin scheint sich alles etwas weiter von den 60ern und 70ern entfernt zu haben, um 80er Jahre Einflüssen den Weg zu ebnen. Diese reichen von hypnotischen Synthieklängen, über leichte Glamrock-Zitate bis hin zu Proto-Postrock der ganz ganz alten Schule.

Durch die Verlagerung von den Psychedelic-, Kraut- und Progressive Einflüssen hin zu den „glatten“ 80er Jahren ist Forgiveness Rock Records auch wieder ein gutes Stück eingängiger als sein Vorgänger. Die Popmomente, die eingängigen Hooklines und die rührenden Melodien offenbaren sich schneller als bei der manches Mal ganz schön konfusen Broken Social Scene. Auch scheint das Album songorientierter und weniger monolithisch. Gott sei Dank hat dieser Gewinn an Eingängigkeit keinen Verlust an Komplexität zur Folge. Nach wie vor – fünf Euro ins Phrasenschwein – verpacken Broken Social Scene in einem Song weitaus mehr Ideen als andere Bands in ihrer gesamten Karriere. Forgiveness Rock Record ist nach den etwas schwächeren Presents-Alben ein erneuter Beweis für die Einzigartigkeit dieser Band, ihre unbändige Spielfreude und ihr Talent, Tonnen an Material zusammen- und daraus dennoch ein stimmiges Album zu bauen.

Forgiveness Rock Record erscheint am 30. April 2010.
http://www.brokensocialscene.ca/

Bands/Künstler_Innen: Broken Social Scene, | Genres: Art Pop, Indie, Pop, | Jahrzehnt: 2010er,


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