Jazz an der Schwelle… – Isla – das neue Album vom Portico Quartet

Diese Empfehlung könnte ebenso gut bei den vergessenen Alben des letzten Jahrzehnts stehen, wie er ein Hinweis auf eine interessante Neuveröffentlichung abseits gängiger Konventionen sein könnte. Gegen Ende des letzten Dezenniums, gerade mal vor einem halben Jahr erschien mit dem zweiten Album des Portico Quartets „Isla“ ein Jazz-Output, der sich konsequent vom Jazz wegbewegt und sich allen möglichen Arten und Abarten postmoderner Musik, vom Pop über den Postrock bis hin zu avantgardistischer E-Musik öffnet. Isla ist nicht nur ein einzigartiges Stück Post Jazz, sondern beweist auch, dass die klassischste Form der U-Musik (eine Kategorisierung die in diesem Fall mehr als unangebracht ist) immer noch überraschen und mitreißen kann.

Isla bewegt sich zunächst in klassischen jazzigen Bahnen, sprengt diese allerdings sukzessive auf, um einer vertrackten, raumfüllenden Atmosphäre Platz zu machen. Lässiger Noir, der an der Cool Jazz Weggabelung den Pfad Richtung Miles Davis einschlägt, kommt hier ebenso zu Wort wie verfrickelte Free Jazz- und Fusion-Rhythmen. Aber das Portico Quartet ist dabei alles andere als traditionell. Daher darf eine Komposition wie „The Visitor“ auch ganz plötzlich eine scharfe Linkskurve nehmen und bei düsterem Post Rock landen. Es flimmert und flirrt, es raucht und atmet, und unvorbereitet macht das hitzige Saxophon-Treiben Platz für einen düsteren minimalistischen Ambiente-Sound, der nur darauf wartet in erneute Ekstase auszubrechen. Das technische Können dient hier Gott sei Dank nie dem Selbstzweck, sondern steht immer im Dienste der Atmosphäre. Minimalistische Kompositionen, die ebenso von einem Steve Reich stammen könnten, schmiegen sich behutsam an lässige Bassläufe (Dawn Patrol) und man kann sich gar nicht der Frage entziehen, ob dies nun passe, ob diese verschiedenen Einflüsse ein homogenes Ganzes ergeben können.

Es passt, die unterschiedlichsten Stilmittel ergeben ein homogenes Ganzes. Selten war im postmodernen Jazz eine stimmigere Kombination aus moderner europäischer Musik und rhythmusorientierten Jazz-Klängen zu hören. Schönberg- und Stockhausen-Einflüsse sind beim Potico Quartet ebenso erwünscht wie ein Stelldichein amerikanischer Jazz-Größen von Coleman bis Davis (Shed-Song). Avantgarde geht fließend in hitzige Improvisation über, die Instrumentalisierung arbeitet durch und durch präzise und lässt den Eindruck eines Flickenteppichs gar nicht erst zu. Das liegt natürlich nicht zuletzt an dem Primat der Atmosphäre. Wo sich andere Künstler bei dieser Kombination in einer Zurschaustellung technischer Fertigkeiten verlieren könnten, bewahren sich die vier Londoner trotz Experimentierfreude eine herzliche Leichtigkeit, die auch vor Ausflügen in progressive Pop und Postrockwelten nicht Halt macht.

Ein Song wie „Line“ hangelt sich dann auch ganz ungeniert an minimalistischem, hektischen, mathematisch präzisen Klangflimmern entlang, wie es durchaus auch Radiohead gut zu Gesicht stehen würde. Der Jazz bleibt zwar stets integrativer Bestandteil der kosmischen, ausufernden Klänge, drängt sich aber nie in den Vordergrund. Es ist ein schmaler Grat auf dem die vier balancieren, die Gefahr eines Sturzes indes besteht nie. Stattdessen wird der Balanceakt auf den Klippen zum Konzept: Jazz an der Schwelle, an der Schwelle zum Pop, zum Postrock, zum avantgardistischen Minimalismus, zur Zwölftonmusik, zu was auch immer. Ausschlaggebend bleibt das Gesamtkonzept. Und das klingt frisch, unverbraucht und unerhört stimmig: Egal ob es sich wie in Clipper grenzenloser Lebensfreude hingibt oder im Titelstück in manischer Melancholie (nur scheinbar ein Oxymoron) badet.

Mit diesem freien Hang zum Eklektizismus, diesem Mut, Konventionen geschickt zu übergehen, ist Isla vielleicht sogar die Jazz-Veröffentlichung 2009, wenn nicht sogar das beste Album des Jahres überhaupt. Ein lebendiger, intensiver, exzessiver, introvertierter, extrovertierter Zauberkasten, der geöffnet und erforscht werden will. Schwellenklänge zwischen Moderne und Postmoderne, Jazz, Pop und E-Musik. Eine richtungsweisende Veröffentlichung im Jazz, hinter dem Jazz, nach dem Jazz und über den Jazz hinaus.

Bands/Künstler_Innen: Portico Quartet, | Genres: Jazz, |


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