Hörenswertes August/September 2011: Primus, Thees Uhlmann, Sungrazer, Beirut

Jepp… das Sommerloch. Viel Musik gehört, aber wenig Muße zum Schreiben gefunden. Hier soll daher noch einmal  nach den Klängen des endenden Augusts und beginnenden Septembers gesucht werden. Auf dem Dienstplan steht verschrobener Avantgarde Funkrock der klassischen Art von Primus, die Naivität der neuen Hamburger Schule im frischen Gewand von Tomtes Thees Uhlmann, der sich auf Solo-Abwegen befindet, melancholisch stimmungsvoller Folk von Beirut und hitzigkalter progressiver Stoner Rock von Sungrazer…. Alle auf der Suche nach der verlorenen Jahreszeit.

Primus – Green Naugahyde

(Soulfood 9.9.2011)

Alles wie gehabt beim einstigen Crossover-Primus Les Claypool und Konsorten? Scheint so, zumindest dem ersten flüchtigen Hören des neusten Outputs Green Naugahyde nach zu urteilen. Nach wie vor dominiert die Rhythmusfraktion, die aus monotonen Redundanzen songwriterischen Sprengstoff hervorholt und damit jedes Versprechen auf Pop bereits im Ansatz in die Luft jagt. Nach wie vor klingt Les Claypool als würde er abwechselnd Nägel gurgeln und Zwiesprache mit außerirdischen Stammesführern halten. Nach wie vor pendeln die Songs zwischen lakonisch trockenem Funk und zappaeskem Irrsinn, der irgendwo irgendwie nie ganz aus sich herausbricht. Zuletzt waren Primus ja beinahe radiotauglich geworden und mit ihrer eigenen rhythmischen Verspieltheit doch immer knapp am Hit vorbeigestolpert. Daher ist es nur konsequent, dass aus Green Naugahyde der volle Konservativismus des 90er Avantgarde Crossover spricht. Avantgarde und Konservatismus…? Wer glaubt das sei ein Oxymoron, soll sich die neue Primus Scheibe ganz schnell in die Ohren prügeln und dadurch eines Besseren belehren lassen.

Jepp, das macht immer noch Spaß, klingt immer noch schön schräg, hat immer noch seine komischen/lustigen Momente und ist trotzdem ein verdammt mitreißender Hybrid aus Prog/Funk/Rock/Aliensex… und das immerhin 21 Jahre nach dem Debüt Frizzle Fry (1990) und gute 12 Jahre nach dem letzten Album Antipop (1999). Im Vergleich zu diesem darf sich Naugahyde dann auch gleich mal brüsten, wagemutiger zu sein, etwas weniger zum Zeitgeist zu schielen und tatsächlich herrlich unkonventionell in die 90er zurückzufallen. Claypool selbst hat das Album zur Reminiszenz an Frizzle Fry erklärt und diese Aussage darf sich gleich in mehreren Songs bestätigen. War Antipop mit prominenten Gaststars von James Hetfield bis Matt Stone noch so etwas wie Primus auf ihrem POPularitätszenit, so gibt es dieses Mal ein prächtiges ‚Arschlecken‘ an die Radio-, Hit- und Song-Fraktion: Kaputte Minushymnen, viel Rhythmus-Verquastheit, derber Humor und eine herrlich charmante zappaeske Attitüde.  Kratzbürstiger Anti-Rock um dem scheiß Sommer noch einmal ordentlich gegens Schienbein zu treten, ein wenig wehmütige Nostalgie inklusive.

Beirut – The Rip Tide

(Indigo, 26.08.2011)

Und dann war da plötzlich die Melancholie… und die Gewöhnung. Ich habe Beirut ja irgendwie immer noch vor allem als wilde Balkanpop-Truppe in Erinnerung, auch wenn das schon von Beginn an ihrem vielschichtig verspielten Folkpop Unrecht getan hat. So sehr wie auf The Rip Tide haben sie das aber noch nie unter Beweis gestellt. Man wäre geneigt, ihnen kreative Stagnation, einen Mangel an neuen Ideen zu unterstellen, wenn aus der fast schon familiär-gemütlichen Vertrautheit – ähnlich der gegenseitigen Aneinandergewöhnung in einer langjährigen Beziehung – nicht wieder solche wunderschönen musikalischen Momente entwachsen würden.

Schönheit hat The Rip Tide wahrlich im Überfluss zu bieten. Keine postmodern gebrochene Manie, keinen Overkill an verschiedensten Einflüssen, kein Exempel an unabhängiger Folk-Schrägheit… nein! Hier steht tatsächlich wie nie zuvor das Gute, Schöne und Wahre im Mittelpunkt des Beirut’schen Klangkosmos. Eklektizismus darf man nach wie vor attestieren, dieser bettet die verschiedenen Fragmente und Versatzstücke aber derart samten in die 9 Folk-Songs ein, dass er kaum mehr als eine Randnotiz wert ist. The Rip Tide ist ungemein homogen, zaubert Ohrwurm um Ohrwurm, Instrument um Instrument, Trompete um Ukulele um Gitarre um Euphonium, Folkballade um Folkballade aus dem Hut und macht dabei einfach nur ungemein glücklich. Damit werden Beirut zwar nicht als avantgardistische Folk-Revolutionäre in die Geschichte eingehen, den derzeitigen Regen machen sie aber mehr als vergessen. Frühherbstliches Endorphin für das Ende eines inexistenten Sommers.

Thees Uhlmann – Thees Uhlmann

(Indigo, 26.08.2011)

Ich mag Tomte nicht. Muss ich an dieser Stelle einfach mal raushauen. Überhaupt nicht. Der schwülstige Deutschpop steht für mich sinnbildlich für den Einzug der Naivität in die Hamburger Schule. Selbstverlorener Weltschmerz, prätentiöser Pathos und diese schrecklich selbstverliebte Larmoyanz, sowohl textlich als auch musikalisch… Tomte-Fans werden mit Sicherheit den Solo-Ausflug des Sängers Thees Uhlmann lieben. Immerhin ist hier so manches vertraut. Die leichten, locker flockigen Hitmelodien im schwermütigen Gewandt, die charismatische – mancher würde sagen nervige – Stimme des Sängers, die Lyrics zwischen Naivität, Intellektualismus und verschämt subversivem Drängen… Doch halt! So manches hat sich doch geändert, und so darf das selbstbetitelte Solo-Debüt selbst Tomte-Fernbleibern wie mir munden.

What happened? Als erstes darf vollkommen ironiefrei konstatiert werden: Uhlmann ist erwachsen geworden… irgendwie. Irgendwie erwachsen war auch schon der Indie Pop von Tomte, aber eben nicht richtig erwachsen. Eher so in den Twenties stecken geblieben. Das ist hier anders. Uhlmann tauscht das Tagebuch gegen einen ordentlichen Großstadtschmöker. Larmoyanz und pubertären Weltschmerz findet man so kaum noch, peinliche Momente sind Mangelware. Stattdessen gibt es erfrischende, mitunter etwas verquaste Reime vom städtischen Leben, von der Suche nach Glück und von Jay Z, der im Radio zu hören ist. In genau diesem Song darf dann auch die deutsche Hip Hop Hoffnung Casper dem Thees zur Seite springen, ohne dass der Song zum unangenehmen Crossover-Pop degradiert werden würde. Auch die „klassischen“ Hymnen können sich sehen lassen. Uhlmann lässt den Studenten-Rock zu Hause, präsentiert sich stattdessen als geerdeter Liedermacher und hat dabei keine Angst vor ein wenig Vagabunten-Charme und Straßenmusiker-Spitzen. Klar, groß und hymnisch klingt das trotzdem noch irgendwie, oft genug auch zu pathetisch, alles in allem aber sehr légère, aufgeräumt und vollkommen ohne das prätentiöse Moment Tomtes. Das reicht noch nicht ganz für den deutschen Indie Pop Thron aber alle mal für wunderbaren, schnörkellosen Gitarrenrock, mit baumelnder Seele, ein ganz klein wenig Schmackes und höchst sympathisch entspannte und zurückgelehnter Liebenswürdigkeit. Warmherziger Indie Rock für die letzten lauen Sommerabende.

Sungrazer – Mirador

(Elektrohasch, 19.08.2011)

Fuck yeah! Wer braucht schon einen heißen Sommer, wenn er staubigen, trockenen und vor allem hitzigen Stoner Rock genießen kann?! Sungrazer verzichten auf die schleppende Trägheit des Desert Rock und liefern stattdessen einen amtlichen Bastard aus Psychedelic, wälzendem Postrock, Heavy Riff- Attacken, ordentlicher Stoner Attitüde und einem trotzdem nicht zu leugnenden Hang zur neoprogressiven Düsternis. Das klingt bisweilen, als hätten Neurosis plötzlich die Lebensfreude entdeckt oder als ob Kyuss zur Hippiekultur umgesattelt hätten. Irgendwo zwischen Weltfrieden und Charles Manson verortet, fressen sich die schleppend treibenden, treibend schleppenden, progressiv entwurzelten und hedonistisch geerdeten Songmonster  durch den heißen Sand, stoßen auf Leichen, auf Fata Morganen, auf Hitze und auf eiskalte Dunkelheit.

In seinen besten Momenten ist das einfach nur groß, dank Led Zeppelin Anleihen auch für den Progger interessant, dank schwerer Riffs auch für den Black Sabbath Hörer der alten Schule, dank großspuriger Relaxtheit auch für den Musikhörer von heute frisch genug. Sungrazer sind das, was man sich von den Queens of the Stone Age erhoffte, kurz bevor diese die Abfahrt aus der Wüste Richtung Alternative Rock einschlugen. Und mit epischen Hymnen wie Goldstrike wird sogar ein wenig mit God Machine, Tool und dem Neo Prog der frühen 90er geflirtet. Mirador ist ein dichtes, schwüles, nebliges Gebräu aus Stein, Sand, LSD und Weltraum. Ein kaltherziger, leidenschaftlicher und stets mitreißender Trip, dessen Handgemachtheit keine Angst vor außeridischen Momenten hat. Hitzige Musik für schwüle Sommernachtsalpträume, von den wir dieses Jahr metereologisch verschont wurden.

Bands/Künstler_Innen: Beirut, Les Claypool, Primus, Sungrazer, Thees Uhlmann, Tomte, | Genres: Art Rock, Crossover, Folk, Funk, Indie, Progressive Rock, Psychedelic, Rock, Singer/Songwriter, | Jahrzehnt: 2010er,


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