Auf zu neuen Ufern…? Neue Alben von Serj Tankian und Sufjan Stevens
Zwei gestandene Indie- und Alternativerockgrößen. Zwei neue Alben, die sich vom bekannten Material abheben… Was steckt hinter den aktuellen, experimentierfreudigen Alben von Folk-Geheimtipp Sufjan Stevens und System of a down Sänger Serj Tankian? Wir wagen für euch einen Blick auf Imperfect Hamonies und The age of adz.
Serj Tankian – Imperfect Harmonies
Vö.: 17.09.
Die großen Gesten beherrschte Serj Tankian schon als Sänger bei dem Alternative Metal Crossover der Band System of a Down sowie bei seinem ersten Soloausflug der Elect the Dead. Auch im Kontext dessen Neuintrepretation in der Elect the Dead Symphony erscheint der Sound auf Imperfect Harmonies weniger als Neubeginn, denn als konsequente Weiterentwicklung. Der Rock ist noch mehr gewichen; ohnehin war Serj Tankian immer mehr klassischer – oder zumindest theatralischer Sänger – als Metalshouter. Sein nun gefundenes, selbstbezeichnetes Genre des „Electro-Orchestral-Jazz-Rock“ dürfte genau die zwingende Bewegung sein, die ohnehin erwartet werden durfte.
Mehr denn je verzichtet Serj Tankian auf „klassische“ Rockinstrumentierung, stattdessen passt er die Hintergrundmusik seiner facettenreiche, pathetischen Stimme an. Das konsequente Ergebnis ist eine obskure, postmoderne Form von erhabener, symphonischer Revue. Keineswegs im Fahrwasser aktueller E-Musik sondern zu den Unterhaltungsformen der Gattung schielend: Episch, pompös, bombastisch und immer mit dem Blick für die kleinen Feinheiten. Daraus entstehen gewaltige, überorchestrale Symphonien, durch die Serj Tankian mal flehend verzweifelt, mal spöttisch, mal fragil oder einfach nur fluchend schmettert. Klein will hier nichts sein, eher steht das Überbordernde, Größenwahnsinnige im Mittelpunkt, so wie im sich hysterisch steigernden Borders Are… dessen spannender Aufbau nicht im Konflikt mit seinen grandiosen Ohrwurmqualitäten steht.
Die orchestrale Gigantomanie steht Serj Tankian gut zu Gesicht, zumal er wie ein Derwisch durch die dadurch ermöglichten Genres hoppst: Manische Elektronikrhythmen, orchestrale Klanglandschaften, jazzige wüste Interludes, genialistischer Theaterpathos. Es ist schon erstaunlich, um wie viel freier Tankian Stimme klingt, wenn sie sich aus dem Rockkorsett befreit, das ihn – um bei der Wahrheit zu bleiben – auch schon bei System of a Down nie an der freien Entfaltung hinderte. Imperfect Harmonies ist nun die Selbstbefreiung in Reinkultur: Anarchisch, obszön, schrankenlos, gewaltig, eklektisch und schlicht und ergreifend zum Niederknien grandios.
Sufjan Stevens – The Age of Adz
Vö.: 08.10.
Fallen wir gleich mit der Tür ins Haus: Weniger Experiment und mehr Pop hätten diesem Album weitaus besser zu Gesicht gestanden. Das liegt vor allem daran, dass Sufjan Stevens trotz aller Experimentierfreude nie verhehlen konnte, in letzter Konsequenz tolle Popsongs zu schreiben. Wollte er auch nie; und so schuf er mit Illinois oder Michigan wunderschöne, progressive Folk-Alben. Auf seinem neusten Streich The Age of Adz ist das anders. Die Stücke scheinen sich fast wegen ihrer Popseite zu schämen und lassen so nichts unversucht sich zu verfremden und entstellen. In gelungenen Momenten wie dem knapp zweiminütigen Opener, der mit Simon und Garfunkel Zurückhaltung daherkommt, gelingt dies auch ohne Probleme.
Schwieriger wird es bei den elektronischen, verfransten und ausufernden Stücken. Der elektronische Spielgeist ist hier mitunter einfach zu präsent, zwängt sich auf unhomogene Weise in die Songs und zerstört dadurch Potential, das immer wieder aufblitzt. Fast sehnt sich der Hörer nach simplen, harmonischen Poplandschaften, wenn die wunderschönen Stücke – im schlimmsten Fall scheinbar komplett unmotiviert – unter Elektronikfrickeleien begraben werden. Die Fusion von Pop und Experimental gelang Radiohead auf Kid A weitaus stimmiger, homogener. Hier scheint sie mitunter aufgestülptes Konzept zu sein.
Trotzdem ist The Age of Adz kein schlechtes Album. Das liegt nicht zuletzt an der vitalen Spielfreude Sufjans. Er ist nunmal ein toller Songwriter, Instrumentalist und Sänger. Seine Songs und Songfragmente, seine Hooklines und Hooklinefragmente prägen sich ein, auch wenn sie verzerrt und mit Dissonanzen überzogen werden. Gerade dadurch wirken die Verfremdungen umso trauriger, wären sie bei dem hervorragenden Basismaterial doch überhaupt nicht nötig und wirken sie immer eher wie ein Fremdkörper, denn genuine Abstraktionsmechanismen. Am besten gelingt das Experiment dann tatsächlich im 25minütigen progressiven und avantgardistischen Abschlusstrack Impossible Soul. Wenn man bis dahin noch nicht sämtliche roten Fäden verloren hat, hört man hier eine perfekte, wunderschöne elektronische funkige Experimentalpopnummer, voller Schwirren und Flirren mit großer Atmosphäre und ohne narzistische Anbiederung. The Age of Adz ist alles in allem ein gelungenes, ein schickes Album, das sich jedoch durch seinen eigenen Anspruch allzu oft selbst im Weg steht.
Bands/Künstler_Innen: Serj Tankian, Sufjan Stevens, System of a Down, | Genres: Crossover, Electro, Folk, Klassik / E-Musik, Rock, | Jahrzehnt: 2010er,