Konservierte Avantgarde – Eine Rezension zu Univers Zeros neustem Album Clivages

Die seit 1974 existierende Band Univers Zero zählt neben Henry Cow, Stormy Six und Art Zoyd zu den prominentesten Vertretern des so genannten RIO – „Rock in Opposition“. In ihrer mittlerweile über 35 Jahre andauernden Karriere hat es die Band allerdings nur auf neun ganze Studioalben, einige EPs und Liveaufnahmen geschafft. Dies liegt nicht nur an der zwölfjährigen Pause, die sich die Band von 1987 – 1999 selbst verordnete, sondern ebenso an dem äußerst unregelmäßigen Veröffentlichungsrhythmus, der Fans auch gerne mal fünf Jahre auf das nächste Werk warten lässt. Das letzte Album „Implosion“ ist 2004 erschienen und nun also, 2010 – sechs Jahre später – der lang ersehnte Nachfolger für Freunde des AvantProg und der komplexen Kammermusik.

Der Trend der letzten Alben setzt sich auch auf „Clivages“ fort. Waren die 70er Jahre noch von progressivem Instrumentalrock und minimalistischer Kammermusik in der Tradition der modernen Klassik eines Bartok oder Strawinskis geprägt und die 80er von düsteren Elektronikmonolithen, so hat sich die Band spätestens seit ihrer Reunion helleren und optimistischeren Klangspielen, Jazzeinflüssen und elegischen Kompositionen geöffnet. Auch auf Clivages spielen Univers Zero wieder ihre ganz eigene Mischung aus minimalistischer Kammermusik, instrumentellem Progressive Rock und dezenten Jazz und Fusioneinflüssen. Geradezu leichtfüßig erschallt der Opener „Les Koboldes“ aus den Boxen. Ein verspielter und vertrackter Hybrid aus Kammermusik, Jazz und rockigen, tanzbaren Intervallen. Hier und da mag man sogar einen leichten Flirt mit der Popwelt vermuten.

Aber keine Sorge: Univers Zero sind immer noch Univers Zero. Und das bedeutet im höchsten Grade komplexe, ausufernde und verzwickte, rein instrumentelle Klanggemälde, die sich nicht davor scheuen, aus dem RIO-Korsett auszubrechen. Überdeutlich wird dies zum Beispiel im mächtigen 12minütigen „Warrior“, das düster und bedrohlich direkt aus einer Geigen- und Progressiverockhölle ausgebrochen zu sein scheint. Die beste Komposition des Albums und eines der besten Stücke der Band überhaupt, besticht durch einen unerhörten Spannungsaufbau, grandiose Schauermomente und eine elegische Verzweiflung, die aus jeder Note hervorspringt. Hier darf man sich sogar an das kompromisslose, unbestrittene Meisterwerk von 1979 Heresie erinnert fühlen. Neben diesem avantgardistischen Befreiungsschlag lässt sich allerdings nicht der Eindruck verwehren, dass Univers Zero ein wenig auf der Stelle treten. So mitreißend und vital Stücke wie das jazzige, verfrickelte „Apesanteur“ oder das melancholische „Three days“ auch klingen, der Eindruck, das ganze an anderer Stelle schon mal in ähnlicher Form gehört zu haben, ist omnipräsent. Der Vorwurf, Progressiverock hätte – der Selbstzuschreibung zum Trotz – eine stark konservative Komponente, lässt sich im Falle Univers Zeros auch auf die Avantgarde und den oppositionellen Rock übertragen. Wiederkennungswert besitzen die filigranen Kompositionen zu Hauf, ein Hauch von Nostalgie schleicht sich immer wieder in die dichten und hermetischen Kompositionen. Gerade von Bands, die sich soweit abseits des Massenmarktes bewegen und die sich in ihrer Frühzeit nicht vor Abenteuern scheuten, erwartet man doch etwas mehr Experimentierfreude, etwas größeren musikalischen Forschungsdrang.

Dieser Eindruck macht „Clivages“ zwar nicht zu einer Enttäuschung. Dafür sind die einzelnen Stücke wie das fragmentierte „Soubresauts“ oder das elegisch verträumte, sich langsam in treibenden, funkigen Progressiverock hineinsteigernde und plötzlich in einer morbiden Minimalismuslandschaft landende „Straight Edge“ einfach zu stark. Allerdings bleibt der Eindruck hängen, hier „nur“ abermals ein herausragendes Stück Avantgardenostalgie zu genießen, die dezent um andere Einflüsse erweitert wurde. Ausgehungerten RIO und Avantgardeprog-Fans dürfte dies egal sein. Wenn man so lange auf Töne der geliebten Klanggenies warten musste, freut man sich über jedes Lebenszeichen. Univers Zero können nach wie vor begeistern und hervorragende Kompositionen, abseits gängiger Normen und Kriterien entwerfen. Freunde instrumenteller, komplexer Musik, die Abwechslung vom zeitgenössischen Postrock und Jazz suchen, sollten sich dieses Album nicht entgehen lassen.

Bands/Künstler_Innen: Univers Zero, | Genres: Avantgarde / Experimental, Progressive Rock, | Jahrzehnt: 2010er,


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