Die besten Trip Hop und Downbeat Alben der 90er Jahre II

Wir hätten da noch einen Trip Hop und Downbeat Nachschlag im Programm. Und eigentlich gibt es nicht viel dazu zu sagen, was nicht schon im ersten Artikel zur Sprache gekommen wäre. Um es kurz zu machen: Trip Hop ist ein deutlich vielseitigeres Genre, als man meinen könnte, wenn man seine Beschreibung hört: Na klar, in erster Linie haben wir eine Mischung aus psychedelischem Electro und Hip Hop vor uns. Auf der zweiten Ebene und im dreidimensionalen Raum offenbaren sich aber zahllose Einflüsse, die in den Trip Hop einkehren können. So ist er mitunter das Rock-affinste Subgenre der elektronischen Musik. Bands wie Portishead und Massive Attack haben in den 90ern auch den versnobbten Indie- und Metalfans gefallen, selbst wenn sie komplett auf Gitarren verzichtet haben. Trip Hop kann auch Punk sein, wie wir in dieser Bestenliste feststellen werden. Sexy ist dieses Genre ohnehin immer. Aber warum auch nicht mal albern, infantil, warum nicht im hitzigen Sommer statt im unterkühlten Herbst? In die Clubs schafft er es ohnehin immer irgendwie, vor allem in der reduzierten Variante des Downbeat, der auch immer ein wenig in den Techno- und Dance-Spielarten der 90er Jahre wildert. Und zu guter Letzt geht Trip Hop auch immer in Popform, wie wir hier von unerwarteter – und auch streitbarer – Seite erfahren werden.

Portishead – Portishead

(Go!, 1997)

Drei Jahre ließen Portishead ihre Fans ausharren, bis sie 1997 einen Nachfolger ablieferten, der all das in sich trägt, was man von der Evolution einer Band erwartet. Portishead ist keine Abkehr vom Sound des Debüts Dummy, und doch macht diese LP vieles anders als ihr Vorgänger. Alles in allem wirkt das selbstbetitelte Album deutlich forscher, weniger verloren. Nicht nur Beth Gibbons scheint ein Selbstbewusstsein zu finden, das sie auf Dummy gerne hinter ihrem fragilen Gesang und vor allem einem tiefen elektronischen Dröhnen versteckte, auch der Rest der Band spielt deutlich befreiter auf. So mischen sich in den sphärischen Trip Hop Sound harte Gitarren, der Rock N Roll wird mehr als einmal gestreift, Pop Vibes kommen auf, Big Band Atmosphäre wird erzeugt… und doch ist da auch immer noch dieses Unbestimmte, dieses Mysteriöse, das Verlorene im düster melancholischen Grundgerüst. Portishead ist trippy wie sein Vorgänger, aber eben auch wild, ungestüm, und damit irgendwie morbider und bösartiger als alles, was von Portishead davor zu hören war… und danach zu hören sein wird. Portishead ist ein faszinierender Zweitling, der das Erbe der Band würdevoll weiterführt. Ein Jammer, dass das Publikum über zehn Jahre auf den – ebenso grandiosen – Nachfolger Third warten muss.

Massive Attack – Mezzanine

(Virgin, 1998)

Ich habe es in der letzten Trip Hop Retrospektive schon durchklingen lassen. So traurig das Ganze war, aber die Trennung von Tricky und Massive Attack hat sehr viel Gutes hervorgebracht. Nicht nur dass Tricky sich selbst mit einem famosen Soloalbum freispielen konnte, um endlich das zu machen, worauf er schon immer Lust gehabt hatte, auch die Zurückgebliebenen gingen mit dem Verlust des Bandmitglieds auf eine Art und Weise um, die letzten Endes zu großer Kunst führte. Dabei war die Produktion von Mezzanine alles andere als einfach: Bandleader Robert Del Naja suchte nach düsteren, rockorientierten Klängen, vor allem Andrew Vowles wollte sich von der neuen Ausrichtung nicht so richtig überzeugen lassen. Das Ergebnis war ein langer Schaffensprozess, viele kreative Differenzen und eine Fasttrennung der Band… und am Ende steht ein Meisterwerk. Mezzanine ist DER Horrortrip des Trip Hop Genres. Der Soul wird fast vollständig zur Seite gelegt, stattdessen dominieren gruselige Electronica, beschwörerische Stimmen, die direkt aus einer Schwarzmagierakademie zu kommen scheinen; Post Punk und Post Rock werden mehr als einmal gestreift, der Tanz ordnet sich der Atmosphäre unter, und alles scheint in kalten Glanz getaucht. Ja, zwischendurch gibt es auch immer wieder more of the same, und wer Blue Lines und Protection mochte, wird auch hier seine Songs finden. Und doch ist Mezzanine mehr geworden: Ein Mehr an Beklemmung, ein Mehr an Klaustrophobie, ein Mehr an Enge und Atmosphäre. Wahrscheinlich das dichteste Album überhaupt, nicht nur was Massive Attack sondern auch der Trip Hop ganz generell je hervorgebracht hat.

Lamb – Lamb

(Fontana, 1996)

Es gab viele britische Bands in den Mitt-90ern, die wie Björk oder Portishead klingen wollten… am besten wie die perfekte Mischung aus beidem. Keiner Gruppe ist dies so gut gelungen wie dem Manchester Duo Lamb. Das liegt vor allem daran, dass sie dem gewohnten Trip Hop Fundament eine wichtige Note hinzufügen: Sex Appeal. Klar, auch Björk und Portishead konnten bisweilen ganz schön sexy klingen, aber bei Lamb erhöht sich der Lust- und Decadence-Faktor gleich ums Zehnfache. Mit anschmiegsamen wie verruchten Beats, umgarnt von der gefühlvollen Stimme von Louise Rhodes entführen sie den Trip Hop quasi zurück zu seinen Ursprüngen, spielen mit Soul und Folk und reißen die gesamte Zuhörerschaft in die Disco, wo diese sich im schillernden Glanz der Tanzfläche ihren Lüsten hingeben kann. Das Ergebnis ist eine quasi transzendentale Erotik, ein Mäandern irgendwo zwischen höllischer Körperlichkeit und himmlischer Spiritualität. Damit legen sie auch ein wichtiges Fundament für Trip Hop Spätzünder wie Goldfrapp, vereinen das Tanzbare, das Poppige und den Glitzer, der im Trip Hop sonst allzu oft unter Bergen von Mysterien und Melancholie begraben ist.

Crustation – Bloom

(Jive, 1997)

Auch Crustation gehören zu den – vielleicht ein wenig in Vergessenheit geratenen – Portishead-Epigonen, die genug richtig machen, um aus der Vergessenheit herausgeholt zu werden. Wo Lamb mit viel Erotik und vielen Discovibes punkten, gelingt Crustation die Selbstständigkeit im radikalen psychedelischen Mäandern. Bloom ist ein verlorener, aber nie düsterer Trip; vielleicht ein wenig der warmherzige Gegenentwurf zu den düsteren Soundeskapaden der Massive Attack und Portishead Exegeten der damaligen Zeit. Auch Crustation liegt es sehr am Herzen, zu hypnotisieren, gefangen zu nehmen, in eine andere Welt zu entführen. In ihrem satten und sympathischen Sound steckt aber immer die Gelassenheit, die es einem nicht sonderlich schwer macht, sich auf diese Erfahrung einzulassen. Bloom ist auch die Anleitung zur Selbsthypnose, das vorsichtig vorgetragene „Lass dich ruhig fallen. Keine Sorge, du hast nichts von uns zu befürchten.“ Und das Sich-Fallen-Lassen lohnt sich: Es warten einige großartige, leicht spirituelle, transzendental gehauchte Trip Hop Hymnen auf die Zuhörerschaft. Ein Spiel mit Melodie und Atmosphäre, versteckter und emporkletternder Pathos, weniger Verlorenheit und mehr Selbstfindung in einem manchmal kalten, meist aber überraschend kuscheligen Electrogewand. Eine kleinspurige Perle aus einer Zeit, in der es viel zu viel großspurigen Mist gab.

Sneaker Pimps – Splinter

(Virgin, 1999)

Eigentlich haben auch die Sneaker Pimps als typische Portishead Rip-Off-Band begonnen, und zumindest zu Beginn ihrer Karriere ließen sie sich perfekt bei den zahllosen wenig aufregenden Trip Hop Exegeten einordnen. Und so wäre es wohl auch weitergegangen, wenn sie Ende des Jahrzehnts nicht eine scharfe Linkskurve gefahren wären, um DEN Hybriden aus Alternative Rock und Trip Hop überhaupt abzulegen. Rockklänge hatten sie bereits auf ihrem Debüt Becoming X untergebracht, auf Album Nummer 2 verfolgen sie diesen aber deutlich konsequenter und mutiger, so weit, dass man sich mitunter eher in einem typischen Late 90s Alternative Rock Album denn auf einer Trip Hop LP wähnt: Muse, Placebo und Smashing Pumpkins sind die Referenzen, die einem am ehesten in den Sinn kommen, wenn sich mehrere Gitarrenwände zu einer regelrechten Symphonie aus Krach und Pathos erheben, während Chris Corner (der nach dem Rauswurf von Kelli Dayton komplett alleine die Vocals übernimmt) mal seine Wut rausschreit, mal nach Erlösung fleht. Gott sei Dank gelingt es aber den Sneaker Pimps bei dieser Linkskurve nicht einfach zu Exegeten des Alternative Rock zu werden (Smashing Pumpkins Nachahmer gab es zu dieser Zeit auch mehr als genug). Sie bringen ordentlich Ingredienzen des Trip Hop ein, um so eine ganz eigene Form von Crossover zu schaffen: Rockig, majestätisch, immer auch ein wenig entlegen, und dabei durch und durch ohrwurmtauglich. Splinter ist Alternative Rock für die trippigen Clubs, Trip Hop für die großen Rockstadien… zwischen den Stühlen, fürwahr, aber da fühlt sich dieses Glanzstück pudelwohl.

Nightmares on Wax – A Word of Science: The First and Final Chapter

(Warp, 1991)

Graben wir doch noch schnell noch einmal weit zurück, in die Urzeit das Genres, als Trip Hop nichtmal als Begriff im Kopf von gelangweilten Musikjournalisten existierte, als Techno und House gerade im Kommen waren und sich langsam so etwas wie Down Beat als Alternative zur aufgepeitschten Clublandschaft fand. Und plötzlich stehen wir beim vielleicht ältesten Trip Hop Album überhaupt, das einerseits wegweisend für das Genre ist, andererseits aber Ideen an Bord hat, die im Peak Trip Hop ein wenig in Vergessenheit geraten sind. Man braucht dann doch fast eine alternative Realität, in der Nightmares on Wax wichtiger für das Genre sind als Massive Attack, und in dieser alternativen Realität ist der Trip Hop nicht nur tanzbarer, sondern vor allem auch funkiger, souliger, weniger ernst und düster, weniger zurückgenommen und deutlich forscher und unterhaltsamer. Ja, wie diese Liste beweist, finden wir die Partygänger auch im Trip Hop, und doch scheinen sie immer eher in der zweiten Reihe gestanden zu haben, um den düsteren Philosophen Platz zu machen. Anyway, A Word of Science: The First and Final Chapter ist DIE Blaupause für eben jene vitale, lebendige und freudvolle Seite des Downbeats. Mit Hip Hop Beats (und Vocals), mit Funk und Technoeskapaden, manchmal minimalistisch, manchmal eben aber auch sehr lebendig und größenwahnsinnig. Eingängig und verspielt, und immer wieder über die Hörer herfallend, als hätten es sich diese in der ruhigen Lounge viel zu gemütlich gemacht. Auch irgendwie ein Bruch, manchmal sogar eine Zertrümmerung des Genres, bevor dieses überhaupt existierte, und gleichzeitig ein Wegweiser für die elektronische Musik der 90er Jahre.

Morcheeba – Big Calm

(Indochina, Sire, 1998)

Wollte man dem Trip Hop eine Jahreszeit zuordnen, müsste man wahrscheinlich nicht lange überlegen. Natürlich der Hebst, mit seinen Nebelschwaden, mit seiner düster depressiven Stimmung, mit all den Geheimnissen, die unter seinem grauen Schleier verborgen scheinen. Vielleicht auch den Winter mit all seiner Sterilität und Kälte. Und wenn es unbedingt sein muss, den Frühling mit seinen Verheißungen auf Befreiung von eben jener Kälte und jenem Schleier. Aber den Sommer? Wohl kaum. Irgendwie passen die dunklen geheimnisvollen Klänge des Genres nicht zu Strand und Sonnenschein. Meint man zumindest, bevor man die großartige Funk- und Jazz und Reggae-Invasion des Genres von Morcheeba vernommen hat. Auf ihrem zweiten Album Big Calm entsagen Skye Edwards und ihre Brüder dem darken Spirit des Trip Hop und zerreißen dessen Fundament mit einer Menge Groove und guten Laune. Big Calm besitzt noch – wie der Name bereits vermuten lässt – die Zurückgenommenheit, die Subtilität der ruhigen Beats, interpretiert diese aber viel mehr als entspannten Trip durch die groovige Musikgeschichte. Und da mischen dann auch Big Band, Disco und Lounge mit, da wird es dann auch mal etwas atmosphärischer, nur um kurz darauf im fantastischen Popreigen aufzugehen. Morcheeba liefern auf Big Calm den perfekten Sound für angenehm warme Sommernächte, für den Blick aufs Meer, für das verschwitzte Tanzen im Sonnenuntergang und für die Erkenntnis, wie flüchtig das Glück in solchen Nächten sein kann.

Cibo Matto – Viva! La Woman

(Warner Bros, 1996)

Noch mehr Sommer, noch mehr Spaß und noch mehr Sex kennen da eigentlich nur Cibo Matto, die auf ihrem Debüt Viva! La Woman eine wahrhaft irre Mischung aus Trip Hop und experimentellem Pop abfeiern. Hier herrschen nicht nur Sommerlaune und Spaß sondern vor allem auch Anarchie und Revoluzzertum. Viva! La Woman ist der Punk unter den Trip Hop Alben, kommt auch hin und wieder ganz schön laut, forsch und selbstgefällig daher, bedient sich hier und da beim Riot Grrrl! Punk der frühen 90er Jahre, beim traditionellen Rock N Roll und Hip Hop, nur um das ganze durch seinen ganz eigenen Fleischwolf zu drehen. Sängerin Miho Hatori dominiert dabei auf geradezu waghalsige Weise das Geschehen: Mal entspannt und geradezu lazy, mal laut und in Streitstimmung, mal wie ein kleiner Kobold, der dir allerlei abstruse Merkwürdigkeiten ins Ohr flüstert. Unterstütz von den zerrütteten Beats, den fragmentarischen Strukturen und der kompromisslosen Mixerei könnte man das Experimental oder Avantgarde nennen… dafür macht das Ganze aber einfach mal zu viel Spaß. Ein faszinierendes Album, mit Sicherheit nichts für Trip Hop Puristen, aber perfekt für alle, die sich auch in diesem Genre gerne mal in den Arsch treten lassen wollen.

Moloko – Do You Like My Tight Sweater?

(Echo, 1995)

Wer passt noch in diese Reihe der mit Spaß das Genre zersetzenden Trip Hop Bands? Moloko, ohne jeden Zweifel. Vielleicht könnten sie diese Liste sogar anführen. Der Titel? Einem trivialen Partygespräch entliehen? Das Cover? Könnte ebenso gut die Wand eines Kinderzimmers schmücken. Die Musik dahinter? … Ohja, die Musik dahinter! Moloko nehmen weder sich noch das Genre ernst. Was im Gegenzug allerdings keineswegs bedeutet, dass daraus nicht auch großartiger Trip Hop entstehen kann. Diesen findet man zuhauf in den verworrenen, verspielten, albernen und schrägen Songs auf Do You Like My Tight Sweater?. Moloko klingen, als hätten sie die Quintessenz des Pop eingeatmet und bis hinunter auf die kleinste Struktur verstanden. Und dann nehmen sie sich diese Struktur und lösen sie in wahnwitzigen Down Beat Hymnen auf, irgendwo zwischen Funk, Disco und Lo-Fi-Albereien. Die Beats von Mark Brydon scheinen immer wieder den perfekten Song zu streifen, um dann im Chemiebaukasten diesen in die Luft zu sprengen. Róisín Murphys Vocals klingen, als hätte ihre Stimme die pure Schönheit gefunden, nur um diese mit Albereien in die Ecke zu drängen und dort auszuhungern. Do You Like My Tight Sweater? klingt hipp… irgendwie, aber viel zu zerfasert, um jemals richtiger Pop zu werden. Aber eben auch so verdammt hipp, als wäre es in irgendeinem Stadium seiner Existenz mal richtiger Pop gewesen… und hätte jetzt einfach keinen Bock drauf, Everybodys Darling zu sein. Ein Trip Hop Album, das verflucht viel Spaß macht, und zugleich in all seiner Spielfreude extrem avantgardistisch – ja, deutlich seiner Zeit voraus – daherkommt. Wer was für Art Pop übrig hat, wem das Genre aber oft zu ernst und selbstgefällig ist, der findet hier das perfekte, tanzbare, stolperbare, verfluchbare Album für sich.

Unkle – Psyence Fiction

(Mo‘ Wax, 1998)

Wie vital und laut darf Trip Hop sein, um noch als Trip Hop durchzugehen? Antwort von James Lavelle und DJ Shadow in den ausgehenden 90er Jahren: „Ja!“. Dabei ist das Debüt ihres Projekts U.N.K.L.E. im Jahr 1998 alles andere als gut angekommen bei der Musikpresse, die sich wohl ein weiteres „traditionelles“ DJ Shadow Album erhoffte und mit diesem Output wenig anfangen konnte. Und auch Joshua „DJ Shadow“ Paul Davis selbst gab im Nachgang an, dass es nicht unbedingt zu seinen gelungensten Stücken gehört. Wie kann man kollektiv nur so falsch liegen? Psyence Fiction ist ein irrer Tanz auf dem Vulkan, ein ungestümer Bastard aus Downbeat, Hip Hop, Mashup Pop und Electronica. Komplett zerfasert, ohne jeden Zweifel, zwischen Stimmungen und Atmosphären springend; quasi das Multiverse-Album des Trip Hops, in seinem Eklektizismus, in seiner mosaikartigen Struktur aber so was von gut. Dass sich dabei nie ein rundes Ganzes bildet? Geschenkt. Unkle liefern hier ab! Mit High Energy, mit gewaltigen Ambitionen, mit einer Lebendigkeit, die in der Lage ist, jede Erwartungshaltung in die Luft zu sprengen und gleichzeitig nie gekannte Erwartungshaltungen zu erfüllen. In den letzten Jahren wurde die Klasse dieses wahnwitzigen Trip Hop Albums Gott sei Dank ein wenig mehr gewürdigt, und dennoch bleibt zumindest mir immer noch der Gedanke, dass hier ein absolutes Meisterwerk der elektronischen Musik der ausgehenden 90er Jahre nicht als das wahrgenommen wird was es ist. Anyway, absolutes Pflichtprogramm für Fans des Eklektischen, Wilden, Zusammenhanglosen… und in seinem Größenwahn Mächtigen.

Moby – Play

(Mute, 1999)

Wie poppig, amerikanisch und technoid darf Trip Hop sein, um noch als Trip Hop durchzugehen? Antwort von Richard Melville Hall alias Moby in den ausgehenden 90er Jahren: „Ja!“. Ursprünglich war Moby aus dem Techno gekommen und hatte mit dem direkten Vorgänger Animal Rights mehr auf Pop Punk und Alternative Rock gesetzt. Auf Album Nummer Fünf, Play, kehrt er nicht nur zu seinen elektronischen Wurzeln zurück, sondern lässt zahllose Ideen von Soul, Ambient und Breakbeat in seinen atmosphärischen Downbeat-Sound einfließen. Ja, vielleicht ist Play ein bisschen zu weit weg vom Hip Hop, um als reines Trip Hop Album durchzugehen, vielleicht ist das Ganze zu viel Pop, um einfach als Downbeat klassifiziert zu werden. Aber in seiner Zurückhaltung, in seiner wortwörtlichen Spielfreude und in seinem charmanten Mix aus Melancholie und Breakbeat Upbeat Lebensfreude liegt hier ein faszinierender, glänzender Stern vor, den eigentlich nur radikale Electro-Puristen ablehnen können. Play ist Pop, ohne jeden Zweifel; inklusive Ohrwürmern, Platinstatus und schicken Musikvideos. Play mag nicht so hipp sein wie die britische Konkurrenz, mag in seiner Suche nach dem perfekten Song weniger avantgardistisch und experimentell daherkommen, hinter seiner freundlichen Fassade verbirgt sich aber ein äußerst nuanciertes, vielschichtiges Musikerlebnis, das keine Genregrenzen kennt und sich trotz seiner Größe stets bescheiden gibt. 1999 galten Trip Hop und Downbeat ja eigentlich irgendwie schon als tot. Mobys Jahrtausendabschluss beweist, wie lebendig diese Art von Musik auch nach dem Peak noch sein kann. Und das nicht nur in der Nische, sondern überall, vom Club übers Stadion übers Radio bis zum Supermarktkühlregal. Rümpft ruhig die Nase darüber ihr Snobs. Play ist ein verdammtes Meisterwerk.

Bands/Künstler_Innen: Cibo Matto, Crustation, Lamb, Massive Attack, Moby, Moloko, Morcheeba, Nightmares on Wax, Portishead, Sneaker Pimps, Unkle, | Genres: Downbeat, Electro, Hip Hop, Trip Hop, | Jahrzehnt: 1990er,


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