Die besten Hip Hop Alben der 90er Jahre V
Auch wenn dies hier nicht die letzte Rap-Bestenliste auf dieser Seite ist, so ist es doch einmal der große allgemeine englischsprachige Nachschlag und damit auch ein wenig Rundumschlag um vieles, diverses, was im (größtenteils US-) Hip Hop der 90er Jahre passiert ist. Wer an einer Hervorhebung von Subgenres Interesse hat, den verweise ich hiermit auf die besten Gangsta-Rap-Alben, die besten Hardcore Hip Hop Alben, die besten Jazz-Rap- sowie die besten Alternative Hip Hop Alben der Dekade. Hier gibt es dagegen einmal bunte Wundertüte, einmal alles. Spirituelles und Nostalgisches, das auf die 80er Jahre referiert, Avantgardistisches aus dem Dirty South, Progressives von der Ostküste, spektakulärer Horrorcore, reflektierte Geschichten von reumütigen Gangsta-Rappern und wütende Hardcore-Hymnen von all jenen, die Bling Bling und G-Funk hinter sich lassen wollen. Und zum Ende des Jahrzehnts schauen noch ein sehr junges, sehr weißes und sehr kontroverses Nachwuchstalent vorbei, sowie ein fantastischer Geschichtenerzähler, der das Jahrzehnt würdevoll abschließt.
P.M. Dawn – Of the Heart, of the Soul and of the Cross: The Utopian Experience
(Gee Street, 1991)
ALTER! Was für ein Name für ein Debütalbum! Und dann auch noch direkt aus London! Gott sei Dank klingt die utopische Erfahrung musikalisch bei weitem nicht so selbstverliebt, wie der Titel des Albums vermuten ließe. Ambitioniert ist sie aber… und wie! P.M. Dawn spielen auf ihrem Erstling eine ganz und gar ungewöhnliche Form von Hip Hop, die vor allem das urbane Momentum des Rap weit hinter sich zu lassen scheint und stattdessen hinaus in ferne Landschaften strebt. Mit Soul, World Music, sehr viel Pop und Synthies, irgendwie spirituell, irgendwie poppig, teilweise sogar in Richtung Neo Progressive und Art Pop schielend ist „Of the Heart, of the Soul and of the Cross“ eigentlich viel zu uncool, um im Rap Game irgendeine Rolle zu spielen. Aber gerade diese vermeintlich uncoole Reife, diese innere Ruhe lässt es herausstechen aus einem Genre, das sonst zumindest in den frühen 90ern vor allem laut, subversiv, rebellisch oder kriminell daherkommt. The Utopian Experience kommt wohl dem am nächsten, was man im Rock AoR, Adult oriented Rock, nennen würde. Mit einem gediegenen Fokus, ohne die Rastlosigkeit der Jugend, auch als Hintergrund fürs abendliche Dinner geeignet. Adult Oriented Rap… und ja, für manche mag das wie ein Schimpfwort klingen, und es ist nicht schwer vorstellbar, wie unter diesem Label eine Menge musikalische Langweiler das Licht der Welt erblicken. Bei diesen erwachsenen Londonern stimmt und passt aber alles. Hip Hop für die harmlose, harmonische Studentenbar? Geschenkt, bringt mich da hin!
Insane Poetry – Grim Reality
(Nastymix, 1992)
Also dann… reden wir kurz über den Horrorcore. Den Death Rap, Horror Hip Hop… oder wie auch immer ihr das Genre nennen wollt. Eng mit dem Hardcore Hip Hop verwandt – teilweise auch aus diesem hervorgegangen – hat es sich in den frühen 90er Jahren als harte Rap-Variation mit viel Shock Value etabliert: Mystizistischer und cineastischer als der Hardcore Hip Hop, weniger mit gesellschaftskritischer Attitüde, dafür aber mit einer ebenso grafischen wie von Fantastereien geprägten Sprache ausgestattet konnte sich der Horrorcore weder im Mainstream noch in der Rap-Subkultur so richtig durchsetzen (es brauchte schon die Weißnasen von der Insane Clown Posse, um dem Death Rap Mitte der 90er Jahre zu etwas Aufmerksamkeit zu verhelfen). Dabei gibt es in diesem Genre durchaus einiges zu entdecken, und zwar jenseits von billigen Jump Scares, tumben Horrorfilm-Referenzen und der Suche nach dem bizarrsten Schockmoment. Zu diesem Mehr gehören unter anderem Insane Poetry, die zwar auch die Jump Scares, albernen Referenzen und vor allem übertriebenen Schocks bieten, aber auch immer ein bisschen mehr in der Hinterhand zu haben scheinen. Ihr Debütalbum Grim Reality klingt wie der Ausbruch eines Haufen Super Bösewichter aus einer fiktionalen, Lovecraft’schen Psychiatrie, in der alle weggesperrt sind, die im optimistischen Amerika der frühen 90er Jahre nichts zu suchen haben. Grim Reality ist laut, brutal und albern, mit manischen Beats, fast immer nach vorne peitschend, mit wahnwitziger Geschwindigkeit, viel zu hektisch, um je so richtig Luft zu holen, dafür aber mit dem Schalk im Nacken und einem bizarren Humor ausgestattet (der mit Sicherheit nicht jedermanns Sache ist). Die Kalifornier gefallen sich in der Rolle der wahnsinnigen Westcoast-Psychos und liefern mit ihrer Mischung aus Groteskem, Gruseligem und Hartem die richtige Alternative zum G-Funk, der um diese Ära herum so dominiert. Subtil ist hier nichts… effektiv aber in jedem erdenklichen Maße.
Goodie Mob – Soul Food
(LaFace, 1995)
Den Southern Hip Hop haben wir ja schon in der letzten Retrospektive anhand von OutKast abgefeiert. Goodie Mob kommen aus der gleichen Ecke, sind vielleicht gar nicht so sehr musikalisch sondern viel mehr ganz banal terminologisch die Väter des Dirty South (ein Track mit genau diesem Namen befindet sich nämlich auf Soul Food). André 3000 und Big Boi von Outkast dürfen hier dann auch gleich mal als Gäste auftreten, was aber gar nicht zwingend notwendig wäre. Auch ohne Verweis auf die Brüder besitzt dieses Debütalbum genug Qualitäten, um es von anderen Rap-Outputs der Zeit abzuheben. Soul Food ist eine faszinierende Mischung aus würdevoller, spiritueller Aura und schmutzigem Rohdiamanten. Die Beats sind minimalistisch, aufs wesentliche verkürzt, im Gegensatz zu OutKast suchen Goodie Mob nie nach der großen Party im avantgardistischen Treiben sondern scheinen es immer darauf anzulegen, den Sound auf das Wesentliche herunter zu brechen. Gleichzeitig wollen sie keineswegs rau und unnahbar klingen. Ihre Hymnen aus dem Ghetto werden zu kleinen Gospeln, mit Herz und Botschaft, mit der Verheißung mehr zu sein, immer auch ein wenig spirituell, in einem unglaublich einnehmenden, beinahe sakralen Fluss, in dem sich die Prediger mit ihren Raps scheinbar nahtlos abwechseln. Soul Food ist auch irgendwie der verdichtete, verkürzte und zugleich pointierte Gegenentwurf zu Outkasts eklektischem Treiben. Nicht nur dirty south, sondern auch conscious south, hypnotic south und holy south.
Three 6 Mafia. – Mystic Stylez
(Prophet, 1995)
Southern Hip Hop nochmal ein gutes Stück dreckiger, roher aber auch elegischer. Three 6 Mafia aus Memphis, Tennessee erzählen auf ihrem Debüt Mystic Stylez Gangster-Geschichten als düstere Thriller mit einer gehörigen Portion Okkultismus. Trotz einer gewissen Ungeschliffenheit ist die Atmosphäre in diesen kleinen Grusel-Vignetten immer extrem dicht und überzeugend. Die Reminiszenzen an Satanismus, rituelle Brutalitäten und die Dunkelheit der Welt an und für sich sorgen für eine gehobene Horror-Atmosphäre, die schmutzige, raue Ader des Sounds sorgt für ein gehöriges Stück Authentizität, das sehr vielen nur auf Spektakel setzenden Horrorcore-Alben abgeht. Und so pendelt Mystic Styles permanent zwischen traditionellem 90’s Gangsta-Rap, der ebenso gut an der Ostküste stattfinden könnte, avantgardistischem Dirty South und elegischem Horrorcore, dem unheimliche, verstörende Geschichten über alles gehen. Und man mag es kaum glauben, aber ein paar fast schon popreife Ohrwürmer springen dabei auch noch ab. Kein Wunder, dass sich Mystic Stylez vom Kultdebüt aus dem Underground zum vielbeachteten Prototypen des Dirty South Rap gewandelt hat, und die Band dann auch irgendwann ganz oben angekommen ist. Zehn Jahre nach ihrem Erstling erhalten Three 6 Mafia einen Oscar für den besten Original Song, den sie dem Film Hustle & Flow beigesteuert haben.
Wyclef Jean Presents The Carnival
(Columbia, 1997)
In der letzten Retrospektive haben wir festgestellt, dass Lauryn Hill das progressivste, eklektischste Moment der Fugees in ihre Solokarriere transferiert hat. Und auch wenn Bandkollege Wyclef Jean nicht ganz mit ihrer Vielseitigkeit und Vielschichtigkeit mithalten kann, so ordnet sich sein Debüt nach der Auflösung der Fugees doch nur ganz knapp hinter Hills Meisterwerk ein. Der Titel sagt dabei eigentlich schon alles: The Carnival ist ein wahrer Karneval des postmodernen Hip Hops, eine bunte, abwechslungsreiche und immer auch ein Stück überladene Angelegenheit. So mixt Wyclef Jean R&B, Soul, Jazz, folkloristische Töne und eine Menge orchestralen Pomp und verspielte Kammermusik in sein Werk, das oft noch eklektischer daherkommt als das Debüt der ehemaligen Bandkollegin, zugleich aber auch deutlich weniger fokussiert ist. Man muss schon die Lust dazu aufbringen, von Albernheiten über Oldie-Tunes zu düsteren apokalyptischen Botschaften geführt zu werden, um diesen wilden Ritt genießen zu können. Mal geht es mit der Achterbahn hoch hinaus und steil hinab, mal geht es direkt ins exquisite Opernhaus, mal wird einfach nur gechillt irgendwo in den Hinterhöfen; mal trägt The Carnival all den Weltschmerz und Pathos einer Tragödie in sich, mal ist es eine bizarre Zirkusrevue, voller musikalischer und narrativer Referenzen. Auch ohne genauen Fokus ein wirklich berauschendes Fest, voller Überraschungen, Schlenker und gewagter Spitzen.
Big L – Lifestylez ov da Poor & Dangerous
(Columbia, 1995)
Lamont Coleman alias Big L gehört leider zu den Opfern des 90er Jahre Gangsta Rap Lifestyle. Im Jahr 1999 wurde er in Harlem erschossen, mit neun Schüssen regelrecht hingerichtet. Sein Debütalbum „Lifestylez ov da Poor & Dangerous“ wirkt mitunter fast wie die Antizipation dieses Schicksals. Irgendwo zwischen Hardcore Hip Hop, Gangsta Rap und Horrorcore verortet kämpft es im wahrsten Sinne des Wortes um die Deutungshoheit für das Geschehen auf der Straße und in den Gassen des Ghettos. Der hier ebenso gefeierte wie verfluchte Lebensweg wird in einer schnellen, schlagfertigen wie angriffslustigen Produktion präsentiert, die Raps von Big L sind ebenfalls hart, landen einen Treffer nach dem anderen, meistens zielsicher gehen sie in Mark und Bein. Begleitet von düsteren Thrillersounds erzählt Big L nicht einfach nur von seinem Leben, er durchlebt es im Sound des Albums erneut, erzeugt damit ein unheimliches Spektakel, dem man sich als Zuhörer kaum entziehen kann. „Lifestylez ov da Poor & Dangerous“ ist eine fast schon gewalttätige Rap-Erfahrung: Erbarmungslos in ihrem Sound, düster apokalyptisch in ihrer Ausführung, nur selten aufgebrochen von cineastischen Spielereien, meistens einfach hart, dunkel und mahnend. Neben Nas‘ Illmatic vielleicht sogar das eindringlichste Album, das uns die Ostküste beschert hat.
Naughty by Nature – Poverty’s Paradise
(Tommy Boy, 1995)
Zur Veröffentlichung ihres vierten Albums war New Jerseys Naughty by Nature im Jahr 1995 schon eine gestandene Rap-Größe. Und so zeichnet Poverty’s Paradise auch weniger eine radikale Veränderung als viel mehr eine Perfektionierung ihres Hip Hop Sounds aus. Auch wenn Treach, Vin Rock und DJ Kay Gee schon zuvor starke Album veröffentlicht hatten, klangen sie doch nie so rund wie auf diesem finetuned Bastard aus Funk orientiertem East Coast Rap, der auf gekonnte Weise Party, politisches Sendungsbewusstsein, Pop und Härte in sich vereint. So ist Poverty’s Paradise bisweilen ein straighter, düsterer Abgesang auf das Ghetto und die Hood, dann wiederum eine wütende Anklage gegen strukturelle Ungerechtigkeiten im Amerika der 90er Jahre und dann wiederum einfach nur extrem leaned back Rap mit einer Menge Flow und Tightness. Die Übergänge zwischen den einzelnen Aggregatszuständen wirken nie forciert, nie gekünstelt; Spaß lehnt sich eng an Härte und Aggressivität an, für Naughty by Nature Standard überraschend ruhige und subtile Songs stehen aufrecht neben derben Nackenschlägen, und trotz einer Menge Abwechslungsreichtums wirkt alles wie aus einem Guss gefertigt. Poverty’s Paradise kennt Höhen und Tiefen, Licht und Schatten und fährt geschickt zwischen Mainstream Appeal und Street Credibility, ohne jemals zu sehr in eine Richtung zu kippen. Lohn der Mühen: Ein absolut verdienter Grammy 1996 und der Status als der vielleicht geschliffenste, fertigste Output, den die Band zu Stande gebracht hat.
Missy Elliott – Supa Dupa Fly
(The Goldmind, 1997)
Melissa Arnette „Missy“ Elliott kommt eigentlich aus dem R&B-Umfeld, wo sie bereits in den ausgehenden 80ern erfolgreich textete und sang. Daraus entstand auch die Freundschaft und professionelle Verbundenheit zum Produzenten Timbaland, den sie 1997 als Unterstützung für ihr Solodebüt Supa Dupa Fly heranzog. And the rest is history… Über Nacht wurde Missy Elliott zum gefeierten MC, zur gefeierten Songwriterin und zum gefeierten Hip Hop Artist. Auch über 25 Jahre nach Veröffentlichung reicht ein kurzes Anhören von Supa Dupa Fly, um zu verstehen, wie es dazu kommen konnte. Diese LP steckt voller Groove, voller Funkyness, voller fantastischer Rap-Hymnen. Es kommt Missy Elliott extrem zu gute, dass sie ihre R&B Roots nie ganz abgelegt hat. So ist Supa Dupa Fly eine nahezu perfekte Fusion zahlloser Rap- und Black Music Trademarks der 90er Jahre. Elliott beherrscht den Funkigen Sound der G-Funk-Westküste ebenso wie die ungefilterte Aggression des Eastcoast Hardcore Hip Hop. Sie fügt Soul und Jazz ebenso nahtlos in ihren Sound ein wie Pop, avantgardistische Spielereien und tighte Beats. Supa Dupa Fly lebt sowohl von Timbalands eklektischer Produktion wie von Elliotts facettenreicher wie nuancierter Stimme. Diese kann Wut ebenso überzeugend rüberbringen wie Chillness, Romantik wie Sex-Appeal, und dabei ist sie durchgehend extrem lässig und cool. Das Ergebnis ist nicht einfach nur ein weiteres Rap-Album, sondern ein großer, großartiger Rap-Rummel, auf dem fast alles stattfindet, was dieses Genre im Generellen so aufregend macht.
Timbaland – Tim’s Bio: Life from da Bassment
(Blackground, 1998)
Timothy Zachery Mosley sollte sich im frühen 20. Jahrhundert zu einem der gefragtesten Pop-Produzenten überhaupt entwickeln. Doch schon in den mittleren 90er Jahren war er, unter anderem für Missy Elliott, als Produzent am Start und gegen Ende der Dekade sollte er dann – nach einer Zusammenarbeit mit Magoo – wenig überraschend sein Solo-Debüt vorlegen. Tim’s Bio besitzt mit einem gehörigen Aufgebot an Gaststars wie Nas, Jay-Z und Aaliyah all das, was auch Timbalands Produktionsfähigkeiten für andere Künstlerinnen und Künstler auszeichnet. Timbaland benutzt seine Stimme selbst als Produktionsmittel, erschafft damit teilweise schon fast so etwas wie eine A-Capella-Version traditioneller Hip Hop Tropes. Er stottert und Murmelt den Sound nach vorne, setzt Vocals als Rhythmus- und Instrumental-Stilmittel ein, immer ein wenig mit dem Schalk im Nacken, weniger der Opulenz verpflichtet als viel mehr einem fast schon klinischen Flow, der aber eine Menge Eleganz und Stimmung in sich trägt. Durch diese stolpernden, verschmitzten Produktionsmethoden besitzt Tim’s Bio immer einen gewissen humoresken Unterton, verliert dadurch aber nie an Würde. Den Rest erledigt Timbalands illustre Gästeschar, mit viel Flow, viel Freude am Rappen in dieser verspielten, fast schon avantgardistischen Umgebung, immer auch mit dem eigenen Talent und den eigenen Besonderheiten im Gepäck, aber sehr darum bemüht, das exquisite Momente des Bassment nicht aufzuweichen.
Busta Rhymes – Extinction Level Event: The Final World Front
(Flipmode, 1998)
Wenn Rap wirklich mal ordentlich auf die Fresse hauen und dennoch Spaß machen soll, ist 90er Jahre Busta Rhymes immer eine gute Wahl. Auf Album Nummer 3, Extinction Level Event: The Final World Front (kurz E.L.E.), perfektioniert er seine Trademarks, die einerseits aus schamloser Annäherung an Pop- und Mainstreamkultur bestehen, andererseits zum wildesten gehören, was der 90er Jahre Hip Hop zu bieten hat. E.L.E. ist laut und direkt, konfrontativ, und in seiner Diversität unberechenbar. Busta Rhymes präsentiert sich hier mehr als zuvor als Anarchist des amerikanischen Rap-Games: Er ist laut, fordernd, klebt harte Beats aneinander und unterlegt diese mit seiner aggressiven Stimme, die immer kurz davor scheint, das gesamte Geschehen in der Luft zu zerreißen. Dabei lebt E.L.E. nicht nur von der knallharten Produktion und dem virtuosen Flow von Busta Rhymes Vocals, sondern auch von seiner Freude daran, scheinbar Unvereinbares unter einen Hut zu bringen. Und so gehören zu den Gästen nicht nur Mystikal und Janet Jackson sondern auch Ozzy fucking Osbourne und Tony Iommi. Immer ganz knapp am Crossover und Rap-Metal chargierend besitzt E.L.E auch ne Menge Pop- und Partymomente, ein bisschen wie das apokalyptische Fest in einer 90er Jahre Disco, kurz bevor das Licht angemacht wird, die Türen geschlossen werden, und irgendwer den ganzen Laden anzündet.
Jurassic 5 – Jurassic 5
(Pan, 1998)
Es ist so viel passiert im 90er Jahre Hip Hop: Der Eastcoast/Westcoast-Konflikt, die kreativen wie persönlichen Auseinandersetzungen im Gangsta Rap, der Durchbruch des NY Hardcore Hip Hop, die Evolution des Jazz Rap, das Suchen und Finden einer Weiterentwicklung des Genres im Zusammenspiel mit Metal, Pop, R&B… da tut es gegen Ende der Dekade vielleicht ganz gut, das Jahrzehnt einfach mal hinter sich zu lassen und sich in pure Nostalgie zurückzuziehen. Auftritt Jurassic 5 aus Kalifornien. Diese spielen auf ihrem Debüt, der Jurassic 5 LP (2008 als J5 mit einer Deluxe-Version veredelt) eine fast schon unverschämt nostalgische Version von Hip Hop, die ein wenig nach der 80er Jahre Unschuld klingt, die wir irgendwo auf dem Weg durch die 90er Jahre verloren haben. Jurassic 5 ist Oldschool as fuck, ein radikales Retro-Monster, das in seiner Laufzeit mitunter so tut, als hätten die letzten zehn Jahre nie stattgefunden. Mag das bei anderen Künstlern schnell wie flacher Eskapismus wirken, so beherrschen Jurassic 5 das regressive Moment ihres Sounds so gekonnt, dass man ihnen dafür nie böse sein kann. Dieses Debüt ist die perfekte 80er Jahre Rap-Scheibe, die wir in den 80er Jahren nicht mehr bekommen haben (weil sie zu schnell vorbei waren), und die wir in den 90er Jahren ebenfalls nie hören durften (weil die Musik des Jahrzehnts zu sehr um sich selbst gekreist ist). Mit einfacher Produktion, entspannten Beats, vielen Scratches und dem Rückgriff auf die soziopolitisch verantwortungsvolle Seite des Genres. Der Spaß wird dabei auch nie außen vorgelassen und so kann nur konstatiert werden: Eines der besten Hip Hop Alben der 80er Jahre, durch Zufall irgendwie in das falsche Jahrzehnt gerutscht, aber auch in diesem ein kleines Meisterwerk.
Slick Rick – The Art of Storytelling
(Def Jam Recordings, 1999)
Richard Walters alias Slick Rick gehört zu den großen Eascoast Rap Visionären der ausgehenden 80er Jahre. Mit The Great Adventures of Slick Rick legte er 1988 ein Album vor, das bis zum heutigen Tag zu den wegweisenden Rap Outputs aus den 80ern hinein in die 90er Jahre gilt. Und dann hatte der gute Mann erst einmal eine Tonne Probleme am Hals. Nach dem 91er Werk „The Ruler’s Back“ erschien mit „Behind Bars“ nur noch ein weiteres Album von ihm in den 90er Jahren. Und der Titel dieses Albums lässt schon ganz gut erahnen, woran das lag. Walters saß hinter Gittern, verurteilt für versuchten Mord an seinem Cousin, und die Karriere war erst einmal vorbei. Es sollte bis zum Jahre 1999 dauern, bis der wieder aus dem Knast entlassene Slick Rick sein viertes Album der Welt präsentierte. Dort zelebriert er – wie der Albumtitel bereits vermuten lässt – die Kunst des Geschichtenerzählens. Und das nimmt er auch tatsächlich wörtlich. Ohne überflüssigen Schnickschnack, garniert mit minimalistischen Beats rappt sich Slick Rick in einem fast schon monotonen Flow durch spartanische Rap-Hymnen, die trotz aller Simplizität nie an Dichte vermissen lassen. Die Songs auf „The Art of Storytelling“ kommen erwachsen daher, hymnisch und nachdenklich, erwachsen und mitunter sogar reumütig, und besitzen darüber hinaus den richtigen Flow und Groove, um nicht einfach nur in der Ecke des Geschichtenerzählers zu verharren.
Eminem – The Slim Shady LP
(Aftermath, 1999)
Mitte der 90er Jahre war Marshall Bruce Mathers noch ein ziemlich unbekannter Underground-Rapper, der in Detroit zumindest mit seinen Battlerap-Skills ein wenig von sich reden machte. All das sollte sich ändern, als G-Funk Produzentenkönig Dr. Dre auf ihn aufmerksam wurde und beschloss mit dem Nachwuchstalent zusammenzuarbeiten. Mit so viel Starpower im Nacken ist es natürlich wenig überraschend, dass sein Major Label Debüt zu einem gewaltigen Hit wurde. Aber selbst wenn man die Dre’sche Adelung außer Acht lässt, kommt man nicht umhin festzustellen, wie absurd größenwahnsinnig und zugleich groß dieses Album ist. Unterstützt von seinem imaginären Alter Ego kreiert Eminem einen grotesken Hybriden aus Hardcore Rap und Horrorcore, den man gerne Psychocore oder Bizarrocore nennen möchte. Ausgestattet mit extrem bitterbösem, zynischen Humor trollt und berserkert er durch die Raplandschaft, reflektiert und ironisiert seinen Status als White Trash und vermeintliche Nachwuchshoffnung und scheint dabei vor nichts und niemandem Respekt zu haben. Die ausgefeilte Produktion von Dr. Dre tut ihr übriges, um aus der Slim Shady LP einen wahnwitzigen Alptraum zu machen, bei dem dem Zuhörer das Lachen immer wieder im Halse stecken bleibt und ihn zu ersticken droht. Eminem ist witzig, albern, fast schon kindisch und kommt dann immer wieder mit absoluten Killerhymnen (im wahrsten Sinne des Wortes) um die Ecke. Dank einer gehörigen Portion Eingängigkeit ist die Slim Shady LP ein Pop-Monstrum, eigentlich viel zu böse für die Öffentlichkeit, aber auch viel zu charmant, um im Untergrund zu verweilen. Und, nein, nicht nur der kommerzielle Erfolg gibt diesem Album recht, sondern auch seine zeitlose Qualität.
Mos Def – Black on Both Sides
(Rawkus, 1999)
Mit seinem Debütalbum Black on Both Sides legt Yasiin „Mos Def“ Bey gegen Ende der 90er Jahre nicht nur das perfekte Abschlussalbum für diese Dekade vor, sondern vielleicht auch ihr definitivstes Album. Black on Both Sides ist eine Liebeserklärung auf und zugleich ein Abgesang des Genres. Im wilden Mix von Hip Hop, R&B und Pop feiert Mos Def die Grenzenlosigkeit, die im Rap-Game verborgen liegt. Er reflektiert, sinniert und predigt. Er unterhält und regt zum Nachdenken an, und das ganze vor einem unglaublich vitalen Background. Im Gegensatz zu vielen anderen Rap-Outputs, gerade der Post-Gangstarap-Ära steckt Black on Both Sides voller positiver Energie, die auf ihm befindlichen Songs sind elegische Rap-Hymnen, die keine Angst vor Pathos und Lebensfreude haben und dabei tief in die Geschichte von Black Music und Black Culture zurückgreifen. Dennoch verliert Mos Def nie den Groove und Flow aus den Augen, ist immer cool und entspannt, und zaubert dadurch sowohl einen großen Abschluss des zwanzigsten als auch einen Vorgeschmack des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Black on Both Sides ist nicht nur Peak 90’s Rap sondern in seiner Vielfalt bereits eine Antizipation all dessen, was in den kommenden Jahren und Jahrzehnten noch aus diesem Genre zu erwarten ist. Ein paar Monate später veröffentlicht könnte es ebenso gut in einer 2000er Bestenliste stehen, ohne dabei fehl am Platz, out of touch oder out of date zu wirken.
Bands/Künstler_Innen: Big L, Busta Rhymes, Eminem, Goodie Mob, Insane Poetry, Jurassic 5, Missy Elliott, Mos Def, Naughty by Nature, P.M. Dawn, Slick Rick, Three 6 Mafia., Timbaland, Wyclef Jean, | Genres: Hip Hop, | Jahrzehnt: 1990er,