Die besten Hip Hop Alben der 90er Jahre IV: Alternative & Progressive Rap:

In der dritten Hip Hop Retrospektive sind nach G-Funk, Hardcore Hip Hop und Jazz-Rap die alternativen und progressiven Genreveröffentlichungen an der Reihe. Und um das gleich klarzustellen: Beides sind natürlich äußerst schwammige Kategorien. Alternative noch mehr als Progressive. Je nach eigenem Gutdünken kann man hier alles aufnehmen, was einem irgendwie originell, anders oder avantgardistisch vorkommt. Und so begegnen wir in dieser Bestenliste folgerichtig Alben, die ebenso in einer vorherigen Bestenliste hätten erwähnt werden können. Und ebenso könnten manche in früheren Listen bereits genannten – und in kommenden Bestenlisten zu nennenden – Alben auch gut und gerne in dieser Liste stehen. Aber mein Gott, irgendeine Form von Ordnung muss doch sein. Und mit dem relativierenden Wissen, dass Genregrenzen extrem fluide sind, toben wir uns jetzt bei den Avantgardisten des Genres aus. Der Hip Hop war als genuines Genre in den 90ern ja doch noch ziemlich jung, und so ist es kein Wunder, dass innerhalb seiner Grenzen eine Menge experimentiert wurde. Und dennoch gelang es manchen, sich in dieser bunten, vielschichtigen Szene noch ein Stück weiter unabhängig von Trends und Tropes zu präsentieren. Alle hier genannten Acts schaffen es auf die ein oder andere Weise das Genre umzudeuten, neu oder anders zu interpretieren; oft mit den für die 90er typischen Hip Hop Zutaten wie Funk- und Jazzsamples, aber eben auf ungewöhnliche Art und Weise. Dementsprechend, von ein paar Ausnahmen abgesehen, selten mit Mainstream-Erfolg bedacht, dafür aber mit einer Menge Lorbeeren aus dem Feuilleton geehrt.

Arrested Development – 3 Years, 5 Months and 2 Days in the Life Of…

(Chrysalis/EMI, 1992)

Arrested Development sind so etwas wie die Mit-Urväter des Jazz-Rap und gleichzeitig deutlich experimentierfreudiger und waghalsiger als andere Bands, die sich in dieser Ecke in den frühen 90ern rumgeschlagen haben. Ihr Debüt „3 Years, 5 Months and 2 Days in the Life Of…“ ist so etwas wie die Überwindung des Raps mit den Mitteln des Raps; Hip Hop als transzendentale Erfahrung, als geordnetes Chaos, als Quadratur des Kreises. Vorangetrieben von einem extrem dichten Sound, zerschnitten von wilden Freejazz-Eruptionen, kämpft das Album stets zwischen Diesseits und Jenseits, vermengt Introspektion, Gesellschaftskritik und spirituelle Botschaft zu einem atemberaubenden, fast schon elegischen Rap-Werk. Dennoch verzichten Arrested Development auch nicht auf eingängige Melodien, auf Spaß am Reim und Rhythmus. Es ist die Geburtstunde des Southern Hip Hop, ein extrem eklektischer Hybrid aus zurückgelehntem Groove, Funk, Percussion und Tribal Sounds, die das Erbe der afrikanischen Musik ebenso in sich tragen wie die Ideen der Musikgeschichte des schwarzen Amerikas. Auch heute noch ist es beeindruckend, mit welcher Leichtigkeit und musikalischen Raffinesse sich die Big Band den damaligen Rap-Trends entzieht. Ein großes Werk, mit musikhistorischer Signifikanz, aber auch mit genügend Groove, um jenseits von dieser relevant und unterhaltsam zu sein.

The Pharcyde – Bizarre Ride II the Pharcyde

(Delicious Vinyl, EastWest, 1992)

Auch das Kollektiv The Pharcyde steht immer mit einem Bein im Jazz Rap, am prominentesten logischerweise durch die unzähligen Jazz-Samples, die sie in ihren Songs verweben; aber sie tun das eigentlich, ohne jemals Jazz-Rap zu sein. Ebenso stehen sie mit ihrem bizarren Humor und ihrer (sehr gut hinter Frotzeleien versteckten) düsteren Attitüde immer mit einem Bein im Horrorcore, ohne jemals Horrorcore zu sein. Sie tragen die Intensität von Acts wie Cypress Hill in sich, sind dicht, geschlossen, monumental… das alles jedoch ohne jemals Hardcore Hip Hop zu sein. Nein, The Pharcyde sind eine andere Erscheinung… eine ganz andere Erscheinung. Bizarre Ride II ist ein surrealer, versponnener Trip, mit einer Menge groteskem Humor und koboldhaftem Lachen ausgestattet. Irgendwie funny, irgendwie wild, vor allem aber mit einem ungeheuren Gespür für die hedonistische Wahrheit, die im Hip Hop stecken kann. The Pharcyde sind so etwas wie die Satyre des Genres, brauchen weder dicke Hose noch Alpha Male Status um die Hitzigkeit und den Sex-Appeal ihres Sounds zu betonen und zu genießen. Und so stehen sowohl ihre Musik als auch ihre Lyrics komplett abseits vom sonst so erfolgsbetonenden Game und sind gerade dadurch deutlich mehr Genuss, deutlich mehr Exzess als viele ihrer Konkurrenten, die den Hip Hop weitaus ernster nehmen als sie selbst.

De la Soul – Buhloone Mindstate

(Tommy Boy, 1993)

Mit „3 Feet High and Rising“ haben De la Soul gegen Ende der 80er Jahre das Jazz-Rap-Genre mitbegründet, haben aber schon damals immer ein Stück über dieses hinausgewiesen. Als Gründungsmitglieder der New Yorker Native Tongues Posse war es ihnen immer wichtig, Hip Hop als Medium mit all seinem soziopolitischen und kunstexperimentellem Potential zu bezeichnen. Und das haben sie auch konsequent umgesetzt. Auf ihrem Debüt ebenso wie auf dem – ebenfalls gefeierten Nachfolger De la Soul is dead. Am besten gelungen ist ihnen die Umsetzung dieser Ambition auf Album Nummer 3, dem eklektischen, verspielten Werk Buhloone Mindstate. Wie im Jazz-Rap finden wir hier eine Menge Jazz-Samples, diese dienen aber nie dazu den Sound aufzupimpen, sind viel mehr relativ minimalistisch in die Produktion eingebettet, ohnehin ständig zerschnitten von Interruptionen funkiger und grooviger Art. So wirkt Buhloone Mindstate trotz seiner Experimentierfreude nie überladen sondern viel mehr abgehangen, immer leicht verzerrt, immer ein Stück neben der Spur, aber mit einem fantastischen Groove ausgestattet, der nicht so schnell loslässt. Jepp, Experimentieren kann verflucht viel Laune machen, muss nicht bloß akademische Fingerübung sein. Dank der hervorragenden Raps und Produktionsfähigkeiten von Kelvin „Posdnuos“ Mercer, David „Trugoy the Dove“ Jolicoeur und Vincent „Maseo“ Mason wirkt dieses Album bei allen progressiven Ambitionen nie sperrig sondern immer tanz- und feierbar, lebenslustig und vital. Bei aller Nachdenklichkeit wird der Spaß nie außen vorgelassen, und so haben wir das rundeste Gesamtwerk des Trios vor uns, auch wenn Vorgänger wie Nachfolger ebenfalls absolut empfehlenswert sind.

A Tribe Called Quest – The Low End Theory

(Jive, 1991)

Auch A Tribe Called Quest sind Teil der Native Tongues Posse, auch A Tribe Called Quest kommen vom Jazz-Rap, klingen aber auf ihrem zweiten Album noch mal ein gutes Stück weiter von diesem entfernt als De la Soul. The Low End Theory ist ernster, minimalistischer und dunkler als seine Vorgänger und die Outputs der befreundeten Künstler rund um die Native Tongues. Es ist mit seiner reflektierten Härte gar nicht so weit weg vom Hardcore Hip Hop der Ostküste, der sich in den 90ern zum gefeierten Subgenre entwickeln wird. Inspiriert von Eastcoast-Größen wie N.W.A. packen Q-Tip und seine Leute eine gehörige Portion Wut in ihren Sound, schnüren diesen zu einem dichten Gesamtpaket zusammen, das durch seine Dichte deutlich weniger verspielt wirkt, teilweise fast schon klaustrophobisch auf den Punkt gebracht ist. Und in diesem engen Paket setzen sich A Tribe Called Quest dann mit Tropes und Klischees des Genres auseinander, scheinen immer einen Schritt weiter zu sein als andere Urban Artists, immer ein Stück reflektierter und dekonstruktivistischer. The Low End Theory entzieht sich sehr bewusst dem Game, um sein ganz eigenes Ding zu machen, will nicht tanzbar, nicht poppig und nicht unterhaltsam sein. Herausgekommen ist ein sehr introspektives, ernstes und dadurch auch würdevolles Werk, das in seinem akademischen Ehrgeiz besticht und in seiner Ausführung einfach umhaut.

Common Sense – Resurrection

(Relativity, 1994)

Resurrection ist das zweite Album von Lonnie Rashid Lynn, damals noch unterwegs als Common Sense, mittlerweile und der Kurzform dieses Bühnenamens als Common bekannt. Der Chicago Rapper setzt sich auf seinem Album ausgiebig mit dem Genre des Hip Hop auseinander, am prominentesten in dem Song „I Used to Love H.E.R.“ der zu einem ausgiebigen Beef mit den Westcoast- und G-Funk-Musikern der damaligen Zeit führte. Unabhängig vom Drama um den grandiosen Song ist Resurrection in seiner Gesamtheit schlicht und ergreifend ein Meisterwerk der nachdenklichen Urban Music. Oft von dunklen Downbeats geleitet, wie man sie sonst nur im Trip Hop zu hören bekommt, spinnt Common kämpferische, aufreibende Rap-Tracks, die sich immer im Kampf mit sich selbst und der Außenwelt zu befinden scheinen. Er referiert und lässt fallen, ironisiert und denkt über den Status Quo des Hip Hop nach. Dies geschieht durch ein unglaublich würdevolles Auftreten, egal ob in Downbeat- oder Upbeat-Form, durch einen mitunter fast schon heiligen Ernst, der eine absolut glaubwürdige Verzweiflung über die Entwicklung des Rap Games erkennen lässt. Common Sense hat keine Scheu davor, zu sagen, was er sagen will, und er tut dies mit sehr viel Gespür für Dramatik und Atmosphäre. Und so ist Resurrection die perfekte Infragestellung des Hip Hops, eine absolut glaubwürdige Auseinandersetzung mit dem Genre, direkt in ihm drin, und weit darüber hinaus.

Fugees – The Score

(Ruffhouse, 1996)

Progressiver und alternativer Hip Hop kann durchaus massentauglich sein. Niemand beweist das in den 90er Jahren so eindrucksvoll wie die Fugees mit ihrem zweiten Album „The Score“. Lauryn Hill, Wyclef Jean und Pras Michel zelebrieren hier eine Form von Rap, die sich von vielen Konkurrenten unterscheidet und abhebt, mit Klischees bricht und gleichzeitig weit über Hip Hop hinausweist. In ihrem Mix findet sich weniger Jazz und Funk und deutlich mehr Soul und sogar Disco wieder. Die Beats sind dabei tight, minimalistisch in ihrer Anlage, aber unglaublich dicht in ihrer musikalischen Ausführung. So besitzt The Score beides: Kälte und Wärme. Tanzbarkeit und Introspektion. Pop-Appeal und avantgardistisches Moment. Es schafft es gekonnt wie kein anderer Output, Herz und Kraft und Verstand miteinanderzu vereinen, in geradezu hypnotischen, trotz ihres Eklektizismus extrem würdevollen Tracks, die die Möglichkeiten des Genres auf ein ganz neues Level heben. Und eine Menge eingängiger Songs zum Grooven und Träumen bleiben auch noch glatt hängen. Es tut fast schon weh, dass dies der letzte Output der Band sein sollte, die hier nicht nur enormes Potential beweist, sondern ihre Karten auch noch nahezu perfekt ausspielt.

Lauryn Hill – The Miseducation of Lauryn Hill

(Ruffhouse, Columbia 1998)

Nach dem enorm gefeierten Album „The Score“ lösten sich die Fugees überraschend auf und aus einer musikalisch extrem diversen Gruppierung wurden drei einzelne Hip Hop Artists. Lauryn Hill ist diejenige der drei, der es am besten – wenn nicht gar als einzige – gelungen ist, die Vielschichtigkeit des Fugees-Sounds in ihre Solokarriere zu retten (die leider wiederum nur aus einem Album und einem absurden MTV Unplugged Output bestand). „The Miseducation of Lauryn Hill“ ist fast so etwas wie die Quintessenz dessen, was die Klasse der Fugees ausmachte, ein Album, das nochmal unterstreicht, dass trotz der gewaltigen Präsenz von Wyclef Jean vielleicht doch Hill die kreativ treibende Kraft hinter dem Abwechslungsreichtum des Trios war. So finden sich hier poppige Neo Soul Hymnen neben knallharten Rap-Songs, neben eklektischen R&B/Hip-Hop-Hybriden. neben Gospel und Reggae und… und… es ist einfach zu viel, um aufgezählt zu werden. Lauryn Hill kennt keine Genregrenzen mehr, tanzt, predigt, singt und rappt sich durch ein ambivalentes wie rundes, zerfahrenes wie dichtes Album, das Funk, Jazz, Soul, Hip Hop und Folk wie ein leichtes vereint. Trotz seiner Fülle scheint hier kein Gramm zu viel zu sein, alles fließt, alles fügt sich zusammen zu einem berauschenden Hip Hop Meisterwerk, das seiner Zeit weit voraus scheint. Ja, man kann viel darüber diskutieren, dass Lauryn Hill wenn nicht in dieser Phase so doch später jegliche Bodenhaftung verloren hat, aber sie hat unabhängig von ihren folgenden Quirks mit „The Miseducation of Lauryn Hill“ ein Meisterwerk des eklektischen 90er Jahre Rap hinterlassen, das ihr nicht mehr zu nehmen ist.

Juggaknots – Clear Blue Skies

(Fondle ‚Em Records, 1996; Re:Release mit 11 Bonustracks 2003 unter Third Earth Music)

Bei einem reinen Vinyl-Label 1996 veröffentlicht war Clear Blues Skies, das Debütalbum (und lange Zeit der einzige Output) der Geschwister Paul, Periodt und Kevin Smith eigentlich dazu verdammt, ein Leben in der Nische und im Underground zu fristen. Ein Glück, dass es schon relativ früh von der Rap-Presse als das erkannt wurde, was es ist: Ein enervierendes, spannungsgeladenes Meisterwerk, das mit ungewöhnlichen Soundkronstruktionen, wilden Instrumentalattacken und zerhackstückelten Beats fast so etwas wie eine Experimental Noise Version des New York Hardcore Hip Hop generiert. Clear Blue Skies ist im Kontrast zu seinem schüchternen Äußeren ein Biest von einem verqueren, anarchistischen Rap-Album: Harte Rhythmen, eine dreckige Unterproduktion, zerrissene Samples und dazwischen die mal stolpernden mal hetzenden Vocals von Paul Smith alias Breeze Brewin. Das alles sorgt für einen ungemein intensiven Sog, dem man sich als Zuhörer kaum entziehen kann. Juggaknots gehen ans Eingemachte, zaubern und beschwören zu gleich, und reißen ihr Publikum hinein in eine ebenso düstere wie faszinierende Welt. Zehn Jahre muss dieses danach warten, bis mit Use Your Confusion 2006 ein Nachfolger das Licht der Welt erblickt.

Mos Def & Talib Kweli Are Black Star

(Rawkus, 1998)

Mos Def und Talib Kweli hatten als MCs eigentlich schon Soloalben in Planung, als sie gegen Ende der 90er Jahre feststellten, wie gut sie miteinander funktionieren. Und so taten sie sich zum Duo Black Star zusammen, um als dieses einen großartigen Abgesang auf den 90er Jahre Rap und die Kultur des schwarzen Amerikas an und für sich abzuliefern. Black Star lebt voll und ganz von der Chemie seiner beiden Protagonisten. Sie ergänzen sich, treiben sich voran, fordern sich gegenseitig heraus und finden doch immer wieder in Harmonie zusammen. Dabei nutzen sie diese Harmonie nicht zuletzt auch, um ein Gegenentwurf zum düsteren und apokalyptischen Hardcore-Rap und zum von Tod und Gewalt besessenen G-Funk ihrer Zeit zu sein. Black Star ist im besten Sinne des Wortes ein Post-Gangsta-Rap Album. Veröffentlicht nach dem Tod von Tupac Shakur und Notorious B.I.G. setzt es sich mit deren Verständnis von urbaner Musik und Kultur auseinander und leistet sowohl Trauerarbeit, Verarbeitung und positiven Gegenentwurf. Versehen mit Jazz-Interludien, einer zurückhaltenden Produktion, die eher an die 80er Jahre Rap-Klassiker wie Public Enemy erinnert, und einem entspannten Groove weicht Black Star nicht nur von opulenten Pop/Rap-Monstren ab, sondern auch von Aufmerksamkeit heischenden Hardcore Rap Alben aus dem Untergrund. Eine Menge positive Energie vom womöglich am besten zusammen passenden MC-Duo, das die Rap-Welt je gesehen hat.

OutKast – Aquemini

(LaFace, 1998)

Reden wir kurz über den Southern Hip Hop, der in den 90ern vor allem angesichts des Eastcoast/Westcoast-Feuds ein wenig ein Schattendasein führte, wenn es um regionale Rap-Ausrichtungen ging. Seine Vertreter stammen aus Georgia, Louisiana, Texas, Tennessee und Florida und sind so wie die anderer regionaler Hip Hop Bewegungen extrem unterschiedlich. Einen einheitlichen Stil auszumachen fällt schwer. Zu seinen Pionieren gehören aber ohne jeden Zweifel Outkast, schlicht und einfach, weil sie auf ihrem zweiten Album Aquemini so vieles von dem in sich vereinen, was den Southern Hip Hop auszeichnet. Mit wüsten, teils bewusst ungelenken und charmant unperfekten Stücken definieren sie mal so eben den Dirty South weg, mit einnehmenden intelligenten Texten verorten sie Rap als Kunstform des poetischen Storytellings, und mit avantgardistischen Ambitionen nehmen sie Tropes des Genres auf, nur um diese in der Luft zu zerreißen. Aquemini spielt mit G-Funk und Gangsta-Rap-Elementen, umgarnt diese, umtanzt diese und zieht sie durch den Schmutz. Mit Live-Instrumenten werden gehörige Big Band Vibes erzeugt. Hinzu kommen die exauisiten Raps von André „3000“ Benjamin und Antwan „Big Boi“ Patton, die die Atmosphäre der Musik in sich aufsaugen, gegen diese aufbegehren und dabei immer mitreißend und on point sind. Aquemini trägt Kunst ebenso in sich wie Pulp, darf spröde und widerborstig sein, schmutzig und glänzend. Ein Meilenstein des Kreuz und Queren, des Besonderen und Absonderlichen, und ein echtes Juwel der 90er Jahre Musik.

Aesop Rock – Appleseed

(Selfreleased 1999)

Eigentlich handelt es sich bei Ian Matthias Bavitz‘ – alias Aesop Rock – zweitem Output nur um eine EP, ein Jahr nach dem Debütalbum Music for Earthworms. Und doch ist dieses Album nicht nur deutlich stärker als sein direkter Longplay-Vorgänger (die Tradition, EPs auf LPs folgen zu lassen, wird Aesop Rock vielleicht auch deshalb zu einer Art Tradition machen), sie zeigt nicht nur deutlich, welchen Sprung der Underground Hip Hop Artist innerhalb nur eines Jahres gemacht hat, sie ist darüber hinaus auch ein großartiges, mystisch überladenes Exempel in Abstract Hip Hop, das es verdient als mehr wahrgenommen zu werden als bloße B-Ware aus der zweiten Reihe. Hinter minimalistischen Beats schlummert auf Appleseed eine gewagte wie gewaltige Produktion, die Orchestrales mit Jazzigem und Folkloristischem in Einklang bringt. Die Soundgewänder, die seine Spuren kleiden sind düster, mysteriös und tragen etwas in sich, was man nur selten auf Hip Hop Veröffentlichungen der 90er Jahre findet: Melancholie. Introspektion. Reflexion, die sich manchmal, nur hin und wieder, dafür aber sehr pointiert in Agonie wandelt. Ähnlich verhält es sich mit den Raps von Aesop Rock, die teilweise abstrakt, teilweise narrativ verloren, teilweise preachy, oft aber vor allem introspektiv daherkommen. Eine Introspektion, die das Publikum in falscher Sicherheit wiegt, kann sie doch jederzeit in pure enervierende Verzweiflung umschlagen. Appleseed ist ein mitreißendes, geheimnisvolles Werk, das bereits vorausahnen lässt, zu welcher Größe sich der New Yorker im kommenden Jahrtausend hochleveln wird.

Blackalicious – Nia

(Mo‘ Wax, Quannum Projects 1999)

Auch das Hip Hop Duo Blackalicious steht mit seinem Debüt Nia an der Dekadenwende und klopft musikalisch bereits beim neuen Jahrtausend an. Ähnlich wie Aesop Rock versuchen die Kalifornier Tim Parker (Gift of Gab) und Xavier Mosley (Chief Xcel) das mythische und mystische Moment im Hip Hop aufzuspüren, tun dies allerdings nicht so introspektiv, industriell und düster wie Aesop Rock sondern umarmen in einer spirituellen Bewegung das gesamte Leben. Nia ist eine opulente, vitalistische Umsetzung des Trip Hop Gedankens. Kein Wunder, haben die beiden doch zuvor schon mit DJ Shadow zusammengearbeitet, der hier ebenfalls einen kleinen Gastauftritt hat. Im Gegensatz zu diesem und seinen Genregeschwistern haben Blackalicious aber deutlich mehr Soul im Gepäck, klingen organischer, natürlicher wenn man so will, weniger nach sterilem Ambient und mehr nach World Music, nach Gospel und Lebenslust. Nia versprüht Lebenslust, klingt sommerlich und fröhlich, wird dabei aber niemals flach und vorhersehbar. Es ist die perfekte Kombination aus diesseitiger Freude und jenseitiger Verheißung, aus Körperlichkeit und geistiger Transzendenz. Ein Aufbäumen und Auflösen des Hip Hops, natürlich nur zufällig, aber nahezu perfekt platziert an der Schwelle zum neuen Jahrtausend.

Bands/Künstler_Innen: A Tribe Called Quest, Aesop Rock, Arrested Development, Black Star, Common, De la Soul, Fugees, Juggaknots, Lauryn Hill, Mos Def, OutKast, Talib Kweli, The Pharcyde, | Genres: Alternative Hip Hop, Hardcore Hip Hop, Hip Hop, Jazz-Rap, Trip Hop, | Jahrzehnt: 1990er,


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