Hörenswertes September 2011: dEUS, Male Bonding, Dum Dum Girls, Nils Petter Molvaer

Der Herbst hinterlässt die ersten Spuren… keine Sorge. Es sind nur kleine, kaum zu sehende Fußabdrücke, die die bereits prophetisch traumwandelnde Melancholie im vom Sommer noch erhitzten Sand hinterlässt. Und einmal – mindestens einmal – darf noch die Schönheit des Spätsommers genossen werden. dEUS finden auf Keep you close zu alter Form und hochemotionalem Indie Rock zurück. Die Dum Dum Girls schämen sich ebenfalls – trotz erhöhten Coolness-Faktors – nicht wegen ihrer pathetischen Momente. Und mit Male Bonding dürfen sogar noch einmal die Surfbretter hervor genommen werden, vielleicht nicht unbedingt um auf den Wellen zu reiten, aber immerhin um mit relaxter Pop-Punk-Pose noch einmal ein bisschen heißen Sand aufzuwirbeln. Achja, und endlich, endlich, endlich darf ich wieder gediegenen Jazz abfeiern, der im unglaublich beeindruckenden Fusion-Gewand von Nils Petter Molvaer daher kommt. Rock N Roll, alternative Glücksgefühle, Herz-Rhythmus-Klänge und dunkel glänzende Post-Jazz-Abgesänge gibt es nach dem Klick.

Nils Petter Molvaer – Baboon Moon

(Sony, 16.09.2011)

Und dann denke ich noch so bei mir: „Wir hatten echt schon lange keinen großartigen Jazz mehr“ und dann kommt auch schon dieses unglaubliche Album von Nils Petter Molvaer ins Haus geschneit. Ja, genau: Der norwegische Jazz-Trompeter, der keinerlei Berührungsängste mit Pop, Rock, Indie und Electro hat… und genau diese Grenzenlosigkeit auf Baboon Moon auch formidabel – mehr denn je – auslebt. Wie lang ist es eigentlich her, dass ein Jazzer den Fusion-Gedanken derart ernst genommen und derart zeitgemäß umgesetzt hat? Ich weiß es nicht. Auf Baboon Moon fliegen uns aber die Fremdeinflüsse nur so zu und generieren ein unfassbar dichtes, die Luft zum glühen bringendes Post-Jazz-Meisterwerk. Zu viel Euphorie? Nicht für diese Platte. Molvaer destiliert die Dunkelheit, erweckt mit leidenschaftlichem Ernst große Momente zum musikalischen Leben und findet in ungeheuerlichen Spannungskurven zu der Transzendentalisierung seines eigenen Mediums.

Sorry, aber das klingt nunmal einfach so groß, dass es sich kaum anders als in artifizierten Worten packen lässt. Jazz der düsteren, schwermütigen und verlorenen Sorte trifft auf treibenden Postrock, auf allerlei Indie-, Folk- und Rock-Einflüsse, auf minimalistische Klänge, die von treibenden – beinahe orchestralen Phasen abgelöst werden. Kein Wunder, immerhin hat sich Molvaer ungezwungen gleich ein paar große künstlerische Namen ins Boot geholt: Erland Dahlen von Madrugada und Stian Westerhus von Motorpsycho, die mit dem Jazz-Urgestein zusammen einen grenzenlosen Strom aus E-Musik, Psychedelic, Noise, Doom und Jazz zusammen mischen. So muss Fusion klingen: Nach Avantgarde, nach frischem Wind, nach einer Musik, die nicht zwei Genres mixt, sondern gleich ihr ganz eigenes genuines Genre kreiert.

Töne steigen aus dem Grab und versinken wieder in diesem, zähflüssig und brutal scheint der Abgesang auf die Klangcollage, nur um im nächsten Moment in himmlisch schöner Fragiltät eine Ahnung von Frieden zu finden, um sich später sakral zu erheben und von schaurigem Minimalismus zu schierer Romantik zu fliegen. Der Sog, die nicht loslassende Kraft, die Dichte und ihre Reflexionen machen ein ums andere Mal deutlich, dass mit Baboon Moon nicht weniger als eines der Instrumental-Alben des Jahres vorliegt. Ungemein fesselnd, seelisch machend, gefangen nehmend, zerreißend… ein sich Fallen Lassen im musikalischen Augenblick. Dem Trio um Nils Petter Molvaer ist mit Baboon Moon ein wegweisendes, grenzsprengendes Post Jazz, Post Rock, Post Fusion Meisterwerk geglückt. Der Jazz ist tot. Es lebe der Jazz!

dEUS – Keep you close

(Rough Trade, 16.09.2011)

Wow! dEUS haben sich zurück gekämpft. Hätte ich ja ehrlich gesagt nicht gedacht, nachdem sie mir mit dem letzten Album irgendwie egal geworden sind. Klar, es war ein wenig schade um die einstigen Indie Rock Hoffnung, aber auch irgendwie folgerichtig. Auf The ideal crash (1999) hattem sie sich bereits von ihrem kratzbürstigen Sound wie zum Beispiel auf dem großartigen Worst Case Scenario (1994) verabschiedet… zu Gunsten der Melancholie. Ging in Ordnung, wenn man bereit war, sie als legitime Pixie-Nachfolger abzuschreiben. Und der Pop-Flirt auf Pocket Revolution (2005)? Auch vollkommen okay, jedoch bereits mit Magenschmerzen verbunden. Und dann folgte halt die befürchtete, gepflegte Langeweile. Hätte mir zu Zeiten von Vantage Point (2008) jemand erzählt, dass ich mich für dEUS noch einmal richtig begeistern könnte, ich hätte ihm kein Wort geglaubt. Aber hier sind sie nun 2011… und spielen in meinem Herzen wieder ganz oben mit.

Da klingt natürlich auch ein wenig Wehmut bei der Reanimation der endenden 90er Jahre mit, wenn die Gitarren von pathetischen Streichern unterlegt werden und einer glorreichen, hochemotionalen Indie-Rock-Ära gedacht wird, in der sich der unabhängige Sound weder an kalten 80er Synthie noch Electro-Pop anbieder musste. Klar, Nostalgie ist dabei, wenn Tom Barman wie zu seinen besten Zeiten schön schräg singen, schön neben der Spur klingen darf. Früher war eben alles besser… oder wird zumindest durch die Erinnerung in ein helleres Licht gerückt. Das wirklich, wirklich Großartige an Keep you close: Es klingt nicht im Geringsten angestaubt. Ganz im Gegenteil. dEUS haben den Indie Pop des neuen Jahrtausends nicht verlernt, haben zwar in dieser Zeit Leidenschafts-Federn lassen müssen, sind aber aus der Pop-Experimentierphase gestärkt hervor gegangen. So darf immer noch freudig mitgewippt werden. Die Schrägheit wird nie zu dominant, das Abseitige der 90er Traumata wird nicht erreicht… Dafür ist aber das Gefühl zurück:

Das Gefühl für den tragischen Klang, für die dunklen und verwegenen Momente, das Gefühl für den eigenen – eigentlich nicht mehr vorhandenen – Außenseiter-Status. und zwischendurch darf trotzdem nach Herzenslust gewippt, getanzt und gepoppt werden. Das beste beider Welten? Mit dieser Einschätzung würde man es sich doch zu leicht machen. dEUS haben nach dem drögen Vantage Point anscheinend auf die Bremse getreten und taumeln jetzt im 00er-Indie-Rock-Regress. das ist mehr Bar under the sea trifft Pocket Revolution als eklektisches Spätwerk… und klingt gerade wegen seiner schamlosen Nostalgie so verflucht gut, dass man die Belgier einfach nur knuddeln möchte. Volle Fahrt zurück? Meinetwegen. Bitte bleibt auf dieser Spur ihr großartigen Geisterfahrer!

Male Bonding – Endless now

(Sub Pop, 02.09.2011)

Male Bonding waren für mich eine der Neuentdeckungen des letzten Jahres. Das fantastische Grunge/Math/RockNRoll-Bastardwerk Nothing Hurts habe mich mir unzählige Male durch gehört. Es hat mir den Sommer gerettet, mich vor meinen inneren Dämonen bewahrt und mich permanent angeschrien, dass das Leben doch eigentlich ziemlich nice ist. Irgendwie ist esden  britischen Punk Rockern damals gelungen, aus alten Klängen etwas völlig Neues hervorzuzaubern, Grunge und Punk und Dream whatever Shoegaze Rock ins neue Jahrtausend zu retten, ohne dabei nach Sekunden-Hype zu klingen. Leider entwickelt sich Endless Now nicht zu einem solch bedingungslosen Meisterwerk wie Nothing Hurts… aber es tut verdammt gut, die englischen Schrammel-Gehirnfick-Attacken auch 2011 um sich zu haben.

Ein bisschen scheint mir der Saft runter gedreht auf dem Zweitwerk. Das Debüt lebte einfach mal von den herrlichen Wechseln zwischen Punk Attitüde, straightem Alternative Rock und diesem gewissen Schuss Verträumtheit. Unkoordiniert, chaotisch, pubertierend… keine Frage. Und gerade deswegen so charmant. Auf Endless Now scheint die Band auf so einem „Wir haben zu uns selbst gefunden“-Trip zu sein. Der Sound ist homogener geworden, die Ausflüge nach oben und nach unten fehlen ein wenig. Stattdessen gibt es gediegenen Pop Punk mit leicht math’schem Hauch, aber ungehemmt eingängigen Hooklines und viel Sunshine-Subversion. Da flirten sie zwischendurch gar mit seichtem Indie Pop und radiotauglichen College Rock. Klingt gut, macht Spaß, klingt tausendmal besser als diverse Offspringblinkgreenday-Klone… und ist doch eine mittelschwere Enttäuschung. Jaja, die Erwartungen waren einfach zu hoch. Ich weiß. Endless Now ist ein hörenswertes Album, echt jetzt. Aber so heiß und innig umarmen wie den Vorgänger werde ich es nicht können… schlicht und ergreifend, weil es nicht versucht das selbe mit mir zu machen.

Dum Dum Girls – Only in Dreams

(Sub Pop, 30.09.2011)

Damn it! Habe ich beim ersten Hören im Stream noch ein bissel ironisch auf die vor allem vorhandene Coolness der vier Mädels hingewiesen, so nehmen sie mich jetzt gerade so richtig gefangen. Klar, cool ist das immer noch… und bastardisch, tarantinoesk, geschnitten… was auch immer. Aber so verflucht eingängig, lebendig, lebenslustig, lebensfreudig, dass es fast schon wieder schmerzt. Gute Laune Noise Pop trifft auf Rock N Roll trifft auf eklektischen Folk Punk und hat keine Scham davor mit irrig simplen Kinderlied-Melodien ein Maximum an Leidenschaft zu erzeugen. Die Dum Dum Girls fressen sich mit ihren einfachen, folkloristischen Songstrukturen vom Gehör direkt ins Herz, hinunter bis in den Schritt… und ich kann gar nicht anders, als mich einfach nur gut zu fühlen.

Der Titel des Albums weist schon darauf hin: Die Dum Dum Girls spielen hier so etwas wie vertontes Glück. Keine große, simple Hookline ist sich zu schade, endlos oft wiederholt zu werden, bis sie auch wirklich in jede Synapse eingebrannt ist. Spring jetzt! Tanz jetzt! Lache jetzt! schreien dir die Melodien zu. Und verdammt nochmal, sei glücklich! Sie sind erfolgreich: Mit viel 60’s Swing, einem kleinen Schuss Punk-Attitüde, der Coolness im Gepäck… und ja, eben auch mit den emotionalen Höhen. Auf! Immer auf! Bis zu den Sternen… und das dann eben auch so lange wiederholt, bis man es nicht nur versteht sondern auch mitfühlt. Subtil geht anders, anspruchsvoll auch, und komplex erst recht. Die Dum Dum Girls machen so etwas wie Anti-Kopfmusik, Anti-Anti-Pop und Anti-Postrock. Sie kennen die Strukturen eines funktionierenden Songs, kennen die Möglichkeiten der melodischen Verführungskunst und setzen diese auch ohne Scham ein. Verdammt ist das gerissen, verdammt ist das effektiv, verdammt tut das gut… und verdammt, macht das glücklich. Und daher kann ich gerade gar nicht anders als diesen kleinen Indie Rock Oden in Endlosschleife laufen zu lassen. Auch wenn ich die nächsten Tage erwachen sollte, bis dahin ist es das naive Träumen definitiv wert. Only in Dreams… da gehören die Dum Dum Girls hin, aber da dürfen sie sich gerade auch voll und ganz ausbreiten.

Bands/Künstler_Innen: dEUS, Dum Dum Girls, Male Bonding, Nils Petter Molvaer, | Genres: Alternative Rock, Doom Jazz, Indie, Jazz, Noise-Rock, Rock, | Jahrzehnt: 2010er,


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