Die besten Grunge Alben der 90er Jahre IV
Wir befinden uns immer noch in der Peak-Zeit des Grunge, den Jahren 1991 und 1992, die zumindest aus Rock N Roll Sicht stark geprägt waren vom Hype um Nirvanas Nevermind. Hier sollen noch ein paar Alben genannt werden, über deren Zuordnung zum Grunge durchaus diskutiert werden kann. Okay, eigentlich ist das natürlich bei allen Grunge-Alben der Fall. So wie es eben ist, wenn das Musikfeuilleton den nächsten großen Hype entdeckt, das nächste neue Genre aufruft. Aber gerade im Jahr 1992 als Nevermind vielen noch frisch in den Ohren lag, wurden gerne mal Bands in den Nirvana-Dunstkreis zitiert, deren Roots und Sounds ganz woanders lagen. Bietet sich auch irgendwie an bei einem Hybridgenre wie dem Grunge: Manchmal war die regionale Nähe verantwortlich, manchmal die Tatsache, dass Atmosphäre und Musik der Veröffentlichung die gewisse Raunchyness mitbrachten… und manchmal… ja manchmal war es vielleicht einfach nur der Wunsch der Musikpresse, das nächste Nevermind finden zu dürfen. Auch das Phänomen der „Your favorite artist’s favorite artists“ dürfte hin und wieder eine Rolle gespielt haben… und MTV… whatever, nevermind. Hier kommen nochmal ein paar großartige Alternative Rock Alben der Zeit, die jedem Holzfällerhemd- und Jeansträger, jedem lost Slacker, jedem Gen-X Rocker ohne jeden Zweifel gefallen dürften.
Blind Melon – Blind Melon
(Capitol, 1992)
Blind Melon dürfte der der Welt wohl ewig als die mit dem Bienenmädchen und dem zugehörigen One Hit Wonder „No Rain“ in Erinnerung bleiben. Dabei kann ihr selbstbetiteltes Debütalbum doch noch eine ganze Ecke mehr. Blind Melon spielen so etwas wie die Summer- und Sunshine-Version des Grunges, angereichert mit Bluegrass, Indie Folk und Poprock. Kein Wunder, fanden die Musiker doch in Kalifornien zusammen, auch wenn sie für die Aufnahmen zu ihrer LP nach North Carolina flohen, das ihrer Meinung nach atmosphärisch besser zu dem Stil passte, der ihnen auf Blind Melon vorschwebte. Naja, so ganz sind sie die Lebensfreude der Westküste nicht losgeworden, ergänzen diese aber kongenial mit einer Mischung aus Southern Rock und durchaus auch punkigen, schwereren Tönen, die sie dann auch in die Grunge-Riege heben. Und so durften sie auf Tour auch zusammen mit Soundgarden und Neill Young auf der Bühne stehen, und so durften sie auch eine Menge Fans des Seattle Sounds für sich gewinnen. Ob das noch Grunge ist, sollen andere beurteilen. Ein starkes Album, dass im CD Regal perfekt zwischen Nirvana und Mudhoney Platz findet, ist Blind Melon allemal.
Alice in Chains – Dirt
(Columbia, 1992)
Im Grunde genommen ist Alice in Chains Dirt more of the same. Wer ihr Pre-Grunge-Hype-Album Facelift mochte, wird auch dieses Album lieben. Und doch geschieht hier eine Menge mehr. Ein Mehr, das es – auch wenn sich die Band immer dagegen verwahrte – deutlich leichter macht, Alice in Chains das Label Grunge aufzudrücken. Denn obwohl hier nach wie vor eine derbe Mischung aus Metal, Alternativ Rock und Sludge stattfindet, sind es vor allem die Themen, das Gefühl, die Stimmung, die Dirt zu einem großen Stück Zeitgeist machen: So verzweifelt und verloren wie auf diesem Album sollte die Band um Jerry Cantrell und Layne Staley – der hier erstmals selbst als Songwriter für zwei Stücke auftritt – nie wieder klingen. Es geht um Drogen, um Depressionen, um Krieg und um den Tod. Und dennoch gelang es diesem düsteren, verzweifelten, alles andere als leichten musikalischen Brocken eine Menge Hits abzuwerfen. Von Kritikern als die beste Veröffentlichung der Band gefeiert, gelang es diesem dreckigen, rohen Bastard tatsächlich bis in die Top 10 der Billboard-Charts emporzuklettern; und das ganz ohne jegliche Pop-Attitüde, wie sie damals Bands wie Nirvana an den Tag legten. Als wichtiger Ideengeber für Sludge Metal und Doom besitzt diese Verzweiflungstat auch heute noch eine unnachahmliche, gefangennehmende Atmosphäre, die man im Grunge kaum ein zweites Mal findet.
Seaweed – Weak
(Sub Pop, 1992)
Die Wurzeln der Tacoma Band Seaweed liegen ohne jeden Zweifel im Punk und Hardcore der 80er Jahre, und das hört man dem Sound auch auf ihrem ersten Full Length Album Weak auch an. Mit einer Kombination aus eingängigen Hooks, melodischen Gitarrenriffs und den härteren Punkvariationen entliehenen Screamo-Attacken eignen sie sich eigentlich bestens, als early Adopter des Post-Hardcore oder gar Emocores rezipiert zu werden. Aber sie bringen eben auch das nötige Maß an Grungyness und Verzweiflung mit, das Spiel mit Indie Rock und Alternative, das sie perfekt in die Attitüde und den Sound des Seattlers Hype einbettet. Weak ist ein viel zu facettenreiches Album, um bloß beim Punk einzusortiert zu werden, und vermutlich ein viel zu zeitloses Album, um es einfach als Grunge-Zeitgeist abzutun. Wie auch immer, die hier dargebotene Musik macht verflucht viel Spaß, lädt ebenso zum Headbangen wie zum Pogen ein und besitzt genug Attitude, um auch den Geist der Generation zwischen Wut, Verlorenheit und Aufbegehren widerzuspiegeln.
Hammerbox – Hammerbox
(C/Z, 1991)
Mit Elementen des Punks und Screamo flirten auch Hammerbox, laufen aber deutlich offenherziger dem Alternative Rock der späten 80er Jahre entgegen. Die Band um Sängerin Carrie Akre bringt dabei vor allem eine Menge Leidenschaft mit, hat zwar keine Angst vor poppigen Einschlägen, steigert sich aber in ihren Songs schnell zu einem furiosen, infernalen Krach, der immer auch ein wenig Richtung Noise-Rock schielt. Hammerbox ist wild, ungezügelt, deftig und derb und lässt dennoch immer eine Suche nach dem perfekten, runden Song – vielleicht sogar nach dem einen großen Hit – erkennen. Dieser war der Band leider nicht vergönnt. Nachdem sie mit Numb einen satten – wenn auch etwas zu sehr n Pop-Punk-Klischees beheimateten – Nachschlag lieferten, trennte sich die Band auch schon wegen persönlicher Differenzen. Carrie Akre sollte später noch die Band Goodness gründen und sich schließlich gegen Ende der 90er und Anfang der 2000er Jahre mit ihren Solo-Alben mehr und mehr dem Pop und Soul zuwenden.
Sonic Youth – Dirty
(DGC, 1992)
Okay… reden wir über Sonic Youth. Vielleicht DIE Noise Rock Band der 80er Jahre und bevor irgendwelche Zweifel daran aufkommen, natürlich auch in den frühen 90er Jahren viel zu vielseitig, um als Grunge-Band abgetan zu werden. Sonic Youth haben sich nie im Zeitgeist bewegt, sondern immer eine Spur weiter, eine Nummer experimenteller und progressiver als ihre musikalischen Zeitgenossen. Aber genau mit diesem sich durch ihre Karriere ziehenden Aufbruchsverständnis – nie stehen bleiben, nie zu gemütlich machen – waren sie nicht nur Stichwortgeber sondern auch Triebfeder des 90er Jahre Alternative Rock: So war Kim Gordon nicht ganz unschuldig daran, dass Nirvana bei einem Major Label landen durfte. So tourten sie gemeinsam mit Nirvana im Jahr 1991: The Year Punk Broke. Und so klingen sie dann auch auf ihrem 1992er Album oft wie eine Quintessenz dessen, was Grunge ausmacht. Natürlich sind ihre typischen Noise-Ingredienzen noch vorhanden, natürlich experimentieren sie nach wie vor zwischen dissonantem Krach, Harmonie und deren Synthese. Aber sie rocken hier auch so dreckig, leidenschaftlich und MTV-konform wie nie zuvor (und nie wieder danach). Dirty ist nicht nur das grungigste Album der New Yorker, sondern auch das Poppigste, Teenagerhafteste, klingt fast schon wie eine zweite Pubertät der Band, die damals immerhin schon über zehn Jahre alt war. Eine Menge Hits, eine Menge Spaß und eine Menge Punk. Sonic Youth mögen nicht zu den Grunge-Bands gerechnet werden, Dirty ist aber dennoch eines der wichtigsten Grunge-Alben dieser Zeit.
Babes in Toyland – Fontanelle
(Reprise, 1992)
Mit Fontanelle haben Babes in Toyland ihr vermutlich bestes Album veröffentlicht. Alle Zutaten des Debüts „Spanking Machine“ sind auch auf Fontanelle vorhanden, aber alles in allem deutlich runder, komprimierter und mitreißender. Kat Bjelland macht wieder unglaubliche Dinge mit ihrer Stimme, zwischen all dem Krach, dem Chaos bringt sie aber auch erstaunliche melodische Klänge hervor, und auch der ein oder andere Song kommt deutlich eingängiger daher als es noch bei Album Nummer Eins der Fall war. Damit weist Fontanelle nicht nur Richtung Melodic Core und poppigem Punk, der die Mitte der Dekade rockteschnisch enorm prägen sollte, sondern darf auch als Proto-LP für die kurz darauf sehr laute Riot Grrrl Bewegung betrachtet werden. In Kombination mit den bedacht verstreuten psychedelischen Momenten und der fantastischen Produktion von Sonic Youth Gitarrist Lee Ranaldo vielleicht sogar der definitive Grunge/Punk-Hybrid an der Schwelle zu einem Mehr, das weit über das Genre hinaus bis tief in die 2000er Jahre greifen sollte.
Bands/Künstler_Innen: Alice in Chains, Babes in Toyland, Blind Melon, Hammerbox, Seaweed, Sonic Youth, | Genres: Alternative Rock, Grunge, Metal, Noise, Punkrock, Rock, | Jahrzehnt: 1990er,
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