Die besten Grunge Alben der 90er Jahre II: Immer noch vor Nevermind

Jepp, wir befinden uns immer noch im extrem engen Zeitfenster der Zeit von Januar 1990 bis September 1991, als es in Seattle (und in der restlichen alternativen Rockwelt brodelte), der entscheidende Sprung Richtung Mainstream aber noch nicht gelungen war. Ob die folgenden Alben 100% dem Grunge zugerechnet werden können, darf gerne lang und breit diskutiert werden. Fest steht: Sie alle antizipierten am Hype um den Seattle Sound. Sei es, weil sie bei Sub Pop veröffentlicht wurden, sei es weil sie irgendwann mal in einem Nebensatz von Kurt Cobain als Lieblingsband genannt wurden, oder sei es, weil sie tatsächlich die Trademarks des Grunge mal mehr, mal weniger in ihre Musik einfließen lassen. Hier begegnen wir so manchen 80er Indie Größen wie Dinosaur Jr. oder Mark Lanegan der Anfang der 90er zum ersten Mal Solo unterwegs war. Daneben gibt es fast schon traditionellen Hard Rock von , Skin Yard, die ebenfalls in den 90ern nicht plötzlich dastehen, sondern auf eine längere Historie zurückblicken. Aber auch Debüts gibt es zu verzeichnen. Die Babes in Toyland, Fugazi, Rein Sanction und die Smashing Pumpkins haben alle in diesem kurzen Zeitraum ihre ersten LPs veröffentlicht. Eine letzte Verbeugung vor den Größen des Grunge, bevor der Grunge groß wurde…

Babes in Toyland – Spanking Machine

(Twin/Tone Records, 1990)

Kleiner Tipp für den Einstieg: Solltet ihr nach dem Cover des Debütalbums der Babes im Toyland suchen, gebt unbedingt bei Google den Bandnamen mit an. Auch mit aktiviertem Filter sind die Bilderergebnisse bei dem Suchbegriff „Spanking Machine“ nicht unbedingt das, was ihr sehen wollt. Anyway, das Album Spanking Machine ist in gewissem Sinne genau das, was der Titel verspricht: Ein hammerhartes Brett, perfekt dazu geeignet Hörer und Hörerinnen ordentlich durchzuklatschen. In einer von Männerbands dominierten Musiklandschaft zeigen die Punkrockerinnen Kat Bjelland, Lori Barbero und Michelle Leon, dass man keine Eier braucht um ordentlich in den Arsch zu treten. Kein Wunder, dass sie später neben Sleater Kinney, L7 und Bikini Grill zu Aushängeschildern des Riot Grrrl Movement wurden. Allerdings ist hier auch nicht alles Punk Rock, was aus den Boxen schallt. Babes in Toyland vermischen die Wut des traditionellen Punks mit rohem Metal und einer gehörigen Portion emotionalen, düsteren Indie Rock und kreieren so einen ganz eigenen Sound, der wiederum enormen Einfluss auf die (arguably) wichtigste Frauenstimme des Grunge Courtney Love und deren Band Hole haben sollte.

Dinosaur Jr. Green Mind

(Blanco y Negro/Sire, 1991)

Einer der wichtigsten Einflüsse auf den 90er Jahre Grunge stellen ohne jeden Zweifel die Punk Indie Rocker Dinosaur Jr. dar. Dabei ist es durchaus streitbar, ob sie selbst überhaupt zu diesem Genre gezählt werden können (und wollen). Green Mind ist immerhin ihr viertes Album und damit gehören sie zu den dienstältesten Gruppierungen dieser Early Grunge Period. Was dafür spricht, ihnen den Platz hier zu geben: Die Mischung aus Hedonismus und Verzweiflung, aus Relaxtheit, Slackertum und dem unbedingten Willen irgendeinen Platz irgendwo zu finden. Dabei ist die Herkunft von Dinosaur Jr. eher eine folkige, singer/songwriter-technische (Green Mind ist in der Tat deutlich eher ein J Mascis Soloprojekt als das Album einer ganzen Gruppe), und so gibt es neben den schmutzigen, grungigen Klängen auch ne Menge zurückgelehnte Folk-Attitüde und Gitarrenminimalismus zu vernehmen. Gerade wenn man sich die Selbstrücknahme anschaut, mit der viele Grunge-Bands gegen Mitte der 90er hantierten, kann der Einfluss von Dinosaur Jr. auf diese Ecke des Genres nicht unterschätzt werden.

Mark Lanegan – The Winding Sheet

(Sub Pop, 1990)

Noch näher an klassischer Songwriterkunst (und zugleich eindeutiger im Grunge verwurzelt) ist das Solodebüt von Screaming Trees Frontmann Mark Lanegan. Im Gegensatz zu dem ein Jahr später erschienenen Screaming Trees Album Uncle Anesthesia (das ich in der ersten Grunge-Bestenliste besprochen hatte) nimmt sich Lanegan hier deutlich zurück, was Rock N Roll, Metal und Punk-Vibes betrifft. Stattdessen kreiert er ein Album, das – hätten wir hier nicht einen 26jährigen Künstler vor uns – glatt als Alterswerk durchgehen könnte: The Winding Sheet ist melancholisch, folklastig und klingt in vielen Momenten beinahe altersweise. Zugleich trägt es aber Züge der Verzweiflung des Grunge, knirscht und knarzt und hat deutlich mehr Ecken und Kanten, als das, was im Folk und Songwriter-Kosmos der Zeit sonst so unterwegs war. Lanegan macht hier nicht weniger als die (semi-)akustische Version des Grunge Rock zu definieren, gestaltet quasi ein Proto-„Unplugged in New York“. Am deutlichsten daran zu erkennen, dass Nirvana in ihrem Akustik-Konzert 1994 den Song „Where did you sleep last night“ coverten, der Dank dieses Covers wohl zu den bekanntesten Werken Lanegans gezählt werden kann. Aber auch neben diesem fantastischen Song besitzt The Winding Sheet eine Menge großartiger Stücke, die Songwriter-Atmosphäre perfekt mit dem Seattle Sound kreuzen.

The Smashing Pumpkins – Gish

(Caroline, Hut, 1991)

Eigentlich sind die Smashing Pumpkins eine Band, die das Glück (oder Pech) hatte, ihrer Zeit ein gutes Stück voraus zu sein. Als der Grunge gerade langsam – immer schneller – an Fahrt gewann, spielten sie bereits den Sound, der die alternative Rockszene nach dem Grunge dominieren sollte. Nennt es Alternative Rock, nennt es wie ihr wollt, aber Billy Corgan und seine Leute klangen schon 1991 so, wie nach 1994 eine Menge Bands der alternativen Rockszene klingen sollten. Im Gegensatz zu den anderen rohen und dreckigen Alben der Ära sind die Chicagoer tief im Psychedelic der 60er Jahre verwurzelt, bedienen sich bei Art Rock, spirituell angehauchtem epischem Metal, symphonischen Klängen und auch so manchen Post Punk Sounds der 80er Jahre. Nicht nur Dank Corgans spezieller Stimme ist Gish deutlich melancholischer, introspektiver, verträumter und luzider, zugleich aber auch opulenter und größenwahnsinniger als andere Veröffentlichungen des Seattle Sounds. Und dennoch spricht einiges dafür sie der jungen Grunge-Bewegung zuzuordnen: Die Wut, die Energie, die vitale Progressivität. Smashing Pumpkins spielen außerhalb der Seattler Kategorie und sind zugleich in ihr verwurzelt. Ein starkes Grunge-Album und zugleich eine Antizipation des Danachs.

Fugazi – Repeater

(Dischord, 1990)

Das Debütalbum Fugazis ist ein roher, deftiger Punk und Post-Hardcore-Brocken, dessen ungeschliffener, rotziger Sound vor allem vom punklastigen Seattle-Sound der 80er Jahre, namentlich L7 und Mudhoney beeinflusst ist. Repeater ist ein Musterbeispiel dafür, wie der Punk Rock der 70er und 80er Jahre in Verbindung mit Teenage Weltschmerz Indie in den frühen 90er Jahren eine ganz eigene Art von Musik erschaffen konnte. Die Spuren der Tradition sind vorhanden, werden aber weggespült durch ein enorm energisches Nach vorne Peitschen, die Rock N Roll Vibes werden zerschreddert durch eine derbe punkige „Leckt mich“-Attitüde, die Aggressionen des Hardcore werden dekonstruiert durch eine enorme Verspieltheit, die sich gerne auch mal bei Dub, Funk und sogar Prog bedient, jedoch ohne dass Repeater jemals prätentiös klingen würde. Fugazi nehmen ihre Roots und ihre politische Haltung zu ernst, durchsetzen diese aber mit viel Stil und Eleganz. Ein ungewöhnliches Album, dass den Geist des Hardcore atmet und zugleich die Aufbruchsstimmung der Grunge Ära antizipiert.

Rein Sanction – Broc’s Cabin

(Sub Pop, 1991)

Wenns noch ein wenig verspielter, ein wenig ungewöhnlicher sein darf, kommen Rein Sanction gerade recht, die tendenziell eher zu den obskureren Ausgeburten Sub Pops und des Seattle Sounds gerechnet werden können. Inspiriert von den weideren Folk-Momenten der Meat Puppets oder Dinosaur Jr., jonglieren die Floridaner Rock Artists mit verfremdenden Wah-Wah Tönen, Jazz- und vor allem Stoner-Einflüssen, um eine dann doch ziemlich eigenständige Variante von Sludge Pop an der Schwelle zum Grunge zu generieren. Ihr Sound wird so oft mit dem verspielten Folk eines J Mascis verglichen, dass man dabei leicht vergisst, wie experimentierfreudig und genreübergreifend diese Band nicht nur in ihrer Frühzeit agierte. Die in ihm wohnende Spielfreude ist Broc’s Cabin jederzeit anzuhören, die Klänge sind hier auch immer Spielwiese und Frankensteins Labor, in dem alles Rockige von Jimi Hendrix über Black Sabbath bis zu Neil Young verwurstet werden darf. Schade, dass die Band nach Album Nummer zwei eine lange Pause machte um sich nach der dritten LP dann endgültig zu trennen. Broc’s Cabin offenbart mehr als einmal Potential auch die Grunge-Peak Zeit zu überstehen und in den späten 90ern weiter zu wachsen.

Skin Yard – 1000 Smiling Knuckles

(Cruz, 1991)

Wenn wir schon kurz vor der großen Grunge-Explosion und einer vermeintlichen Neudefinition der Musiklandschaft stehen, dann passt es doch ganz gut, die letzten Zeilen vor Nevermind mit einer traditionellen, man könnte sagen fast schon konservativen Veröffentlichung aus dem Grunge-Dunstkreis zu schließen. Skin Yard spielen auf ihrem immerhin vierten Album 1000 Smiling Knuckles einen wüsten Bastard aus Hard Rock und Heavy Metal, garniert mit einigen Punk-Attributen, und dennoch vom Sound erschreckend traditionsbewusst mit den harten Rock Klischees der 80er Jahre spielend. Wer mag darf hier durchaus Spuren von Bands wie Aerosmith oder gar Guns N Roses vernehmen und damit noch einmal ganz kritisch den Gedanken reflektieren, dass Grunge – so sehr er sich auch versuchte von der jüngsten Rockhistorie abzugrenzen – eben doch auch ein bisschen von den ganzen Hair und Heavy Metal Sounds der vorausgehenden Ära geerbt hat. Musikalische Entwicklungen bewegen sich eben auch auf einem Spektrum, fließen ineinander und so etwas wie harte Brüche gibt es auch nur im Narrativ des Feuilletons. Ach fuck, dass war jetzt viel zu philosophisch für ein wirklich sau starkes Album, das eine Menge Spaß an seiner derben Version von Rock N Roll hat und dennoch tief in die Untiefen des Seattle Sounds abtaucht.

Bands/Künstler_Innen: Babes in Toyland, Dinosaur Jr., Fugazi, Mark Lanegan, Rein Sanction, Skin Yard, The Smashing Pumpkins, | Genres: Alternative Rock, Grunge, Metal, Rock, | Jahrzehnt: 1990er,


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