Rezension zum 99er Klassiker Madonna von …And You Will Know Us by the Trail of Dead

Heiliges Blechle! Verbindet man mit dem Namen „Madonna“ die Jungfrau von Gottes Gnaden, die Mutter unseres Erlösers und die Frau, der es gelang völlig unbefleckt schwanger zu werden, oder wenn es musikalisch werden soll eine Sängerin, die sich insbesondere in den 80ern durch angesagten Discopop einen Namen machte, so wird man hier erst einmal kräftig durch die Mangel genommen. „Madonna“ ist das zweite Album von „…And you will know us by the trail of dead“ kurz „…And you will know us…“ kurz “Trail of dead” kurz “AYKUBTTOD”. Und irgendwie scheint dieser sakrale Titel für ein solch ungestümes Album der Passendste zu sein. Genau das wird wohl jeder uneingeschränkt unterschreiben, der zum ersten Male in diesen fulminanten Rausch hineingezogen wird. Was die Texaner hier leisten ist eine wahre Exegese der ursprünglichen Rock N Roll Gedankens: Ungestüm, wütend, wüst, subversiv, schnell und wild berstend durch die musikalische Manege hüpfend. Luftholen hat erst einmal Sendepause, wenn sich dieser unglaublich schnelle, alles einsaugende 55Minüter in seiner vollen Pracht entfaltet.

Die Gefangennahme beginnt bereits, wenn die ersten Töne erklingen und ein dissonantes Störfrequenz-Rauschen uns klar macht: And you will know them by the trail of dead! – Ohja, das werden wir… und tatsächlich gibt es dann erst einmal überhaupt kein Halten mehr. Wüst stürmen Songs wie „Mistakes and regrets“ oder „Totally natural“ los und zertrümmern alles, was auch nur ein wenig von irgendwelchen heiligen Madonna-Assoziationen übrig ist. Verstärkt dadurch, dass alle Songs, alle Soundfetzen und Akkorde miteinander verbunden sind: Pausen, bzw. klassische 3-Sekunden-Einatem-Brüche zwischen einzelnen Songs finden sich hier keine, stattdessen werden die Stücke zu einem laut und hektisch wabernden Ganzen miteinander verbunden, am ehsten mit einer Berg-und-Talbahn zu vergleichen, in der der Mann hinter dem Steuerknüppel immer mal wieder dazwischenruft „Wollt ihr mehr?“ und gleich darauf die Geschwindigkeit nach oben schraubt. Was dabei herauskommt ist fordernd, zerfetzend und zugleich fetzig und auch höchst tanzbar: Wie gesagt, die Quintessenz des Rock N Roll… wohl gemerkt des echten Rock N Roll Gedankens. Denn mit irgendwelchen 2000er Retro-Rock N Roll-Garage Bands haben „Trail of dead“ genau so viel gemeinsam wie die heilige Jungfrau mit Pontius Pilatus. Ihre Referenzen finden sich viel eher im heiligen Krach des Noise-Rock Marke „Sonic Youth“, angereichert mit halsbrecherischen Tempowechseln, düsteren Instrumentalpassagen und wunderschönen emo(tionalen) Interludes.

Erst nach mehrmaligem Hören wird deutlich, dass der Krach hier Methode hat. Während es am Anfang gar nicht schnell genug zugehen kann, scheint plötzlich alles ineinander zu fließen und in das zentrale, ätherische Instrumental „Children of the hydras teeth“ aufgesogen zu werden. So wird die Geschwindigkeit der Anfangsstücke mehr und mehr zu einem Selbstläufer, zu einem Treiben Richtung Mittelpunkt, Endpunkt, unter anderem in dem düster wabernden „Clair de Lune“ verdeutlicht oder auch in der wunderschönen Emocore-Hymne „Flood of red“ manifestiert. Trotzdem gilt, auch nachdem geschwindigkeitstechnisch ein Gang zurückgeschaltet wurde, immer noch die Devise ‚Volle Leidenschaft’. Neben den schon erwähnten harten Noise-Rock-Eskapaden, den schnellen punkigen Gitarrenriffs und den hymnischen Emo-Parts gibt es immer wieder skurrile, sphärische Instrumentalinterludes (The day the air turned blue) zu bestaunen, herausfordernde Höllenschlunde (Blight takes us all) zu durchschreiten und wabernde Soundlandschaften zu genießen. Conrad Kelly passt seine jugendliche, rotzig punkige Stimme perfekt dem jeweiligen Geschehen an. Er keift und schreit, wenn es angebracht ist, hat aber auch kein Problem damit in ein psychedelisches Hauchen zu verfallen, dunkle Schluchten zu durchqueren, seine emotionale Seite hervorzukehren, oder einfach stimmlich drauflos zu swingen. Und wenn er dann im infernalischen „A perfect teenhood“ in einer absolut wahnwitzigen Noiseschleife „Fuck you“ herausbrüllt, weiß der Zuhörer: Dieser Mann lebt und atmet den Rock N Roll, genau so wie der Rest der Band.

So bleibt hier zwar noch Vieles ungeschliffen und roh, nicht so perfektioniert wie auf dem kongenialen Nachfolger Source Tags & Codes, aber dafür bekommt der Hörer eine unbezähmbare Mischung aus wütend harschem Rock und experimentellen Versatzstücken um die Ohren gehauen, die er so schnell nicht wieder vergessen wird. Eine atemberaubende Melange aus Krach, Wut, Emotionalität und musikalischer Leidenschaft, deren Ecken und Kanten niemanden kalt lassen können. Ein Album, dass authentischer klingt, als es jede Instrumentenzertrümmerung jemals rüberbringen könnte, ein gesegnetes, ein heiliges Sperrfeuer, ein Gitarreninferno, ein unverwechselbarer Sog: Oh du genialistischer Krach! Oh du Gottes- und Teufelswerk! Oh du gesegnete, befleckte Rockexegese! Oh du gebenedeite Frucht, du süßer Nektar des Verderbens, du himmlisches Fegefeuer… Heiliges Blechle!

Bands/Künstler_Innen: ...And You Will Know Us by the Trail of Dead, | Genres: Alternative Rock, Indie, Rock, | Jahrzehnt: 1990er,


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