Raabscher Fast Food Funk für den Pop-Olymp: Rezension zu Lenas "My cassette player"

Na also! Erstmal umgewöhnen. Lena Meyer-Landrut gibts nicht mehr. Stattdessen nur noch Lena. Kommt auch besser. Immerhin hat das zweisilbiger Vorname only-Konzept bereits in den 80ern Nicole mit ein bisschen Frieden den Sieg beim Grand Prix de la Chanson beschert. Jetzt soll es Lenas Satellite und ihr Cassette Player richten. Kassettenspieler klingt ja auch schön retro, nach 90er Jahren und so, ist ja mittlerweile auch ne halbe Ewigkeit her. Aber zumindest einmal kurz dürfte noch erwähnt werden, dass die Interpretin dieses Pop-Kleinods eben genau in jenem Jahrzehnt geboren worden ist. 1991 nämlich. Nach der Wende. Als sie sieben war, war auch Helmut Kohl Geschichte, das Internet in seinen zarten Anfangstagen und das gute alte Tape fast ausgestorben. Schwer vorstellbar, wie die mittlerweile 19jährige damals bereits Radiosendungen auf Band aufgenommen haben soll, so wie es die 70er und 80er Jahrgänge  gerne taten. Egal, Authentizität wird im Pop-Business ohnehin überbewertet. Daher wollen wir uns auch gar nicht länger an ihren Barbara Salesch und Alexander Hold TV-Auftritten festhalten, und erst recht nicht an dem albernen „Man sieht für 2 Sekunden einen Nippel blitzen„-Nacktskandal, der wohl wegen Erfolgsneid und Missgunst von der BILD und Diether Bohlen gemeinsam ausgeheckt worden ist. Wir wollen auch nicht darüber spekulieren, wie groß die Chancen Deutschlands dieses Jahr beim angesagtesten europäischen Musikcontest überhaupt sind. Und erst Recht wollen wir uns nicht über das schnellebige Castingkonzept, musikalische Abiturienten und Downloadcharts den Kopf zerbrechen. Hier geht es nur um die Musik. Punkt.

POP. Großgeschrieben. Was anderes war natürlich nicht zu erwarten. Ein klein geschriebenes „leichtfüßig“ vielleicht. noch hinterher. Immerhin sitzt hier beim Großteil der Songs Stefan Raab am Drücker. Und das macht er als Produzent auch gewohnt gekonnt. Nichts zu hören von nervigem Stadion-Pathos, und auch cheesy 80er Gruftausflüge eines Diether Bohlens werden komplett umschifft. Fremdschämpotential hat dieses Album im Vergleich zu diversen anderen Castingveröffentlichungen von DSDS bis Popstars jedenfalls nicht zu bieten. Stattdessen ist alles leicht, beschwingt, stattdessen nimmt sich hier nichts zu ernst, zu keinem Zeitpunkt. Große Emotionen und gewaltiger Pomp würde zu Lenas manchmal niedlichen, manchmal schön verkratzten Stimme ohnehin nicht passen. Stattdessen gibt es sachte Swing-Anleihen, viel Soul und Funk, ganz wie man es von Raab gewohnt ist. Dass das nicht zu den originellsten Popsongs führt? Geschenkt! Das ein oder andere Stück könnte man sich in der Form auch von Max Mutzke oder gleich Stefan Raab himself intoniert vorstellen. Aber was solls. Lenas Stimme ist eigenständig und sympathisch genug um das oft vergessen zu machen.

Und so schwingt sie sich dann durch elegante Swing-Popper (I just want you kiss), verschmitzte, überraschend schräg intonierte Musicalausflüge (I like to bang my head), relaxte Waikiki-Rhythmen (My cassette player) und deftige Discosongs (Satellite) und macht dabei doch in allen Variationen eine anständige Figur. Hier darf dann Raab und seinen Leuten auch ganz ironiefrei ein ausgezeichnetes Händchen sowohl für die Auswahl als auch die Begleitung der Gewinnerin bescheinigt werden. Die nicht zu aufdringlichen Produktionen lassen Lenas Stimme genug Raum ihre ganz individuelle Noten und Fähigkeiten auszudrücken. Und diese ist erstaunlich vielseitig und dennoch eigen genug, um nicht nach Pop-Einheitsbrei zu klingen. Lena säuselt mal ein wenig, mal bricht sie funky los, mal verliert sie sich in hastigem Sprechgesang und stolpert ihrer eigenen Zunge hinterher, was sie nur umso sympathischer scheinen lässt.

Der gelungene Gesang ist eine Sache, die Produktion eine andere. Und diese ist komplett auf Fast Food ausgerichtet. „Kurzweil!“ schreit sie den Hörer an: „Kurzweil!“… „Langweile dich bloß nicht!“ lautet ihr Mantra. Alles muss schnell genug verspeist sein, bevor es klebrig und fade schmeckt. Entsprechend überschreitet hier kein Song die vier Minuten Grenze. Schnell ist Trumpf. Strophe, Refrain, Strophe, Refrain… und schnell weiter zum nächsten Song. Die Raabschen Funknummern sausen am Hörer ebenso vorbei wie die kurzweiligen Soul und Pianoballaden. Kurzweil! Man kann es gar nicht oft genug wiederholen. Das geht runter wie Öl, und ist mindestens genau so fettig und ungesund. Für diffizile Zwischentöne ist bei diesem Gericht kein Platz. Spaß machen soll es. Ein wenig schunkeln… funky soll es sein. Und bloß nicht zu zeitgemäß. Dann lieber nochmal den 90ern gedenken. Und den Mund abwischen nicht vergessen. Ein Schluck Cola. Und weiter. „my cassette player“ fleht gerade zu nach dem schnellen Verzehr zwischen Tanke und Schnellimbiss und will auch gar nicht länger als bis zur nächsten Autobahnausfahrt im Gedächtnis bleiben.

Geschenkt. Spaß machen die kurzweiligen, kurzlebigen, schlicht kurzen Popproduktionen dennoch. Und selbst zuckersüße Ausrutscher wie „Caterpillar in the rain“ sind so schnell vergessen, dass man sich nicht richtig über sie ärgern kann. Fast Food Funk, Fast Food swing, fast Food Pop. Schmeckt gut, ist süß, macht kurz glücklich und kann nicht im geringsten sättigen. Aber dennoch soooo viel besser als das, was die letzten Casting-Show-Opfer als Alben auf den Markt geworfen haben. Und so darf durchaus konstatiert werden: Schmeckt gut. Ist zwar genauso ungesund und so wenig nahrhaft wie der andere Kram, aber immerhin tut’s als Zwischenimbiss nicht im geringsten weh. Und Burger King war ja auch schon immer leckerer als Mc Donalds, auch wenn man beide Fast Food Ketten mit ähnlich schlechtem Gewissen verlässt.

Bands/Künstler_Innen: Lena Meyer-Landrut, Stefan Raab, | Genres: Funk, Pop, | Jahrzehnt: 2010er,


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