Gentrifizierte Pop-Heroen – Das neue Album von Wir sind Helden: Bring mich nach Hause

Auch wenn sie es vermutlich nicht gerne hören: Wir sind Helden sind die Band der Berliner Gentrifizierung schlechthin. Aus der linksalternativen Subkultur entsprungen, Mastermind Judith Holofernes war zuvor als Straßenmusikerin und Solokünstlerin auf den Berlinern Kleinkunstbühnen unterwegs, dann der große Durchbruch, Erfolg auf der ganzen Linie bei Hörern und Kritikern, hipp, angesagt, irgendwie auch schick und sympathisch unbefangen, schließlich die ebenfalls wohlwollend aufgenommenen Nachfolger und schließlich die Babypause. Zum Schema passt, dass Holofernes trotz Kind nicht nach Zehlendorf ziehen will. Szenebezirk Kreuzberg bleibt eben die Heimat und dort kann man sich schließlich auch mit den Hörern und Freunden zwischen Design, Künstlertum und Start Up Gewinnern pudelwohl fühlen. Begleitet von viel Pop, ein wenig Unangepasstheit und der puren Freude am Leben.

Bleibt natürlich die Frage: Wo zieht es die Gentrifizierung hin, wenn sie mit langsam einsetzender Gesetztheit auf sich selbst zurückgeworfen wird. Mit „Bring mich nach Hause“ liefern die Helden darauf nun die passende Antwort. Der Titel liefert natürlich zwei Assoziationsmöglichkeiten: Erschrockenes Zusammenzucken angesichts des pathetischen Imperativs oder Vorfreude auf eine ironische Abrechnung mit bürgerlichen Hoffnungen. Um das Ergebnis gleich vorwegzunehmen: Es bleibt unklar, was hier dominiert. Die Helden waren schon immer und sind nach wie vor zwischen beiden Polen verortet, genau wie die Menschen, aus denen sich ihre Hörerschaft zusammensetzt: Irgendwie progressiv, modern, stilsicher und lebenshungrig, aber auch bürgerlich, sicherheitsbedürftig mitunter gar traditionell. Mehr denn je ist dieser Kontrast auf dem neuen Album zu hören.

Judith Holofernes, deren Texte nach wie vor zu den besten der gesamten deutschen Musiklandschaft gehören, bewegt sich zwischen nachdenklicher Introspektive, groß angelegtem Pathos und ironischen Spitzfindigkeiten. „Ein Kuss ist ein Kuss ist ein Kuss“ klingt es da vollkommen naiv im Stakkatorhythmus von „Was uns beiden gehört“ an, und jede andere Band würde bei dieser simplen Tautologie wohl der Pathos durchgehen. Aber Judith Holoferne und ihre Helden nutzen die lyrische Vorgabe für einen bezaubernden, beschwingten Popsong, der sich gnadenlos im Ohr seiner Hörer festfrisst.

Diese ultrahippen Popmomente sind jedoch im Vergleich zu den Vorgängern rarer geworden. Die Dominanz des Nachdenklichen, Persönlichen scheint mitunter fast erdrückend und dementsprechend ist auch die musikalische Untermalung poliert: Weniger Synthie, weniger Pop, weniger Hippness und ein stärkeres Bekenntnis zu den traditionellen musikalischen Wurzeln. Da reicht auch mal eine kratzige Akkustikgitarre zur Unterlegung von Judith Holofernes ebenso charmant unperfektem Gesang, eine sperrliche Rhythmusunterlegung und improvisierte Jazz- und Unplugged-Atmosphäre. Im Kontrast zu solch herrlich rauen und experimentierfeudigen Stücken wie „Dramatiker“ stehen die großen Hymnen wie das  selbstreflektierte, sich selbst verlierende und wieder findende Titellied, das irgendwo zwischen bürgerlichem Songwriterfolk und Coldplay’schem Pop-Pathos auch einem Reinhard Mey gut zu Gesicht stehen würde. Ebenso die etwas zu dick aufgetragene Ballade von Wolfgang und Brigitte, die trotz gelungenem Text allzu  brav heruntergespult wird. Leider scheint hier das Geschichtenerzählen wichtiger als die stimmige musikalische Atmosphäre.

Ohnehin ist Holofernes nach wie vor am Besten, wenn sie nicht narrativ sondern unkonkret, diffus und auch ein bisschen verloren klingt. „Träumst du die Träume anderer Leute“ fragt sie dann vorsichtig und stellt fest, dass manche „Träume so tief fliegen, weil sie zum Schweben zu viel wiegen.“ Den Schalk hat sie dabei nach wie vor im Nacken. Meine Freundin war im Koma und alles, was sie mir mitgebracht hat, war dieses lausige T-Shirt jedenfalls verdient jetzt schon den Award für den beklopptesten und zugleich genialsten Titel des Jahres. Um so überraschender das dazu gehörige Lied, das als experimentelle Pianoballade fast schon zu Radiohead’schen Sphären schwebt. Ebenso überraschend die beiden Abschlussstücke. Das sich sachte steigernde zum rhythmischen Bluesrocker emporkletternde „Im Auge des Sturms“ und noch mehr die fragile, ungemein authentische Abschlussballade „Nichts was wir tun können“: Ich werd mich nicht bewegen. Den Kopf gesenkt, Genick entblößt. flüstert Holofernes hier zu spartanischen Folkinstrumenten und zerbricht dabei fast an ihrer eigenen Stimme.

Aber keine Sorge. Tolle deutschsprachige Poprockhymnen gibt es zwischen diesen experimentierfreudigen Ausflügen nach wie vor zu hören. Das geladene Kreise präsentiert sich als spannende Generationenabrechnung mit eingängiger und mitreißender Hookline, Alles auf Anfang winkt mit seinem schrägen neuen neue neue neue Deutsche Welle Rhythmus gar gut gelaunt hin zur Reklamation und deren Anhängern. Wir sind Helden ist wieder einmal ein spannendes Album geglückt. Nicht an jeder Stelle überzeugend, mit allzu drückendem Pathos mitunter den Hörgenuss störend, aber immer in den richtigen Momenten überraschend, authentisch und ansprechend ambivalent. Und ja, es passt gerade deswegen perfekt zu dieser jungen Berliner Generation: Es ist Pop, es ist Folklore, es ist auf seine eigene Art brav und bürgerlich, auf seine eigene Art wagemutig und progressiv, es ist nachdenklich, ambitioniert und dabei oft genug erfolgreich. Und vor allem ist es selbstreflektiert genug, um seinen eigenen Weg, seinen eigenen Status, seine eigenen Wünsche und seine eigenen Defizite zu kennen. Musik vielleicht sogar weniger zur allgemeinen als viel mehr zur persönlichen Gentrifizierung… denn schließlich können wir nicht ewig zwanzig bleiben.

Bands/Künstler_Innen: Wir sind Helden, | Genres: Pop, Rock, | Jahrzehnt: 2010er,


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