Soundgewänder – Rezension zu dem neuen Album von Kayo Dot: ‚Coyote‘

Wohin soll denn die Reise gehen…? Die Avantgarde-Metaller Kayo Dot haben nach dem gefeierten Postrock-Metal-Bastard Dowsing Anemone with Copper Tongue einen extremen Wandel durchgemacht. Weg von den deftigen Postmetalgitarren, weg vom Geschreie und Gekeife, weg von der Aggression hin zu einem fast schon anschmiegsamen experimentellen Postjazzgewaber auf ihrer dritten Langspielplatte Blue Lambency Downward. Das verschreckte die Fans der avantgardistischen Band gar nicht so sehr, was im Nachhinein betrachtet aber nur allzu logisch erscheint. Immerhin waren Kayo Dot schon immer weit entfernt von wüstem Testosteron-Geballer. Stattdessen wohnte ihrem harten, kompromisslosen Sound seit jeher etwas Fragiles, Melancholisches und auch Schönes inne. Da schien es nur konsequent, die Härte zurück zu fahren und sich mehr auf die zerbrechlichen Soundkonstruktionen zu fokussieren. Aber damit war die Reise noch nicht zu Ende, wie das nun 2010 veröffentlichte, konsequent weitergedachte „Coyote“ unter Beweis stellt.

Zurückgeschaltet wird hier einiges: Wo früher die Musikungetüme auch passend monströse Albentitel benötigten, genügt heute ein einfaches Wort. Wo früher die Coverartworks verschnörkelte, überspitze Kunstwerke boten, reicht heute ein unscharfes Schwarz-weiß-Foto. Und ja… auch die Musik folgt diesem Prinzip. Dass der schwerkranken Bandfreundin Yuko Sueta gewidmete 40minütige Konzeptalbum verzichtet noch stärker als sein Vorgänger auf den Krach und die Metalinterludes, für die Kayo Dot  früher standen. Easy Listening ist hier freilich dennoch nicht angesagt. Stattdessen eine hochkomplexe, schwer zu greifende Mischung aus Experimental, Ambient, kammerspielartigen AvantProg und undefinierbaren Postjazz Soundlandschaften. Klingt anstrengend? Ist es auch. Trotz Reduktionismus sind Kayo Dot nach wie vor keine Musik für leichte Hintergrundbeschallung.

Stattdessen werden sanft übergestreifte Soundgewänder unerwartet in einem düsteren Soundinferno zerfetzt. Die fehlende Härte wird durch schräge, dissonante Interludes kompensiert, während der nach wie vor düster majestätische Grundsound sich seinem eigenen Untergang entgegenschleppt. Klingt immer noch zu wenig greifbar, zu metaphorisch? Jepp, genau so klingt auch die hier beschriebene Musik. Der Opener schwindelt sich mit langsam zurückziehenden Streicherschlägen ganz allmählich durch die eigene Langsamkeit Richtung Zeitstillstand.  Whisper ineffable zerreißt diese Langsamkeit in einem eruptiven – weiterhin unmetallischen – Soundinferno und erinnert mit seinen Freejazz-Anleihen kurzfristig an klassischen Progressive Rock der Marke King Crimsons Lizard, nachdem er durch die Stimme Toby Drivers angepeitscht sich beinahe selbst ins Avantgarde Metal Höllenfeuer geritten hat.

Mittelpunkt und Herzstück des Albums bildet jedoch das zweiteilige 16minütige Epos Abyss Hinge. Das zwischen Postjazz, minimalistischer Kammermusik und verspieltem Progressive Rock umherirrende Instrumentalstück spielt geschickt mit Tempoaufnahme und Tempodrosselung und ist erstaunlich traditionell geworden, so dass es immer wieder Erinnerungen an 70er und 80er Jahre Rio und AvantProg aufkommen lässt. Liebhaber von Univers Zero und Henry Cow dürften an diesem fast schon wehmütig nostalgischen Stück Avantgardemusik jedenfalls ihre helle Freude haben. Die Reise geht also weiter. Noch weiter weg von den Avantgarde-Metal-Anfängen, begleitet von vielen 70er und 80er Avantprog und „Rock-in-Opposition“-Elementen hin zu einem origiären postmodernen Soundgewand. Dass die Reise noch nicht vollkommen abgeschlossen ist, wird auch auf „Coyote“ deutlich. Avantgarde-Metal-Reste sind immer noch auszumachen, die Nostalgie ist mitunter stärker als die Suche nach Neuerungen und auch der Postrock darf immer wieder um die Ecke schauen. Noch sind es Soundgewänder, die Kayo Dot auf Coyote aber weiterhin nach und nach abstreifen. Man darf gespannt sein, wo sie mit dieser Entkleidung bei dem nächsten Album landen werden. Bis dahin gilt es nach wie vor faszinierenden, eleganten Avantgarde-Rock zu genießen.

Bands/Künstler_Innen: Kayo Dot, | Genres: Avantgarde / Experimental, Avantgarde-Jazz, Progressive Metal, | Jahrzehnt: 2010er,


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