Die besten Avantgarde Metal Alben der 90er Jahre III

Minimales Einleitungs-Gequatsche, Maximale Awesomeness… In der letzten 90er Avantgarde Metal Retrospektive kümmern wir uns um die Pioniere des Drone in Form von Earth und Boris, feiern clowneske Funk Metal Gelage mit Mr. Bungle, reiten mit Therion ins Höllenfeuer und finden dort den puren, musikalischen, atonalen Schmerz im Gewand der Mathcore-Psychopathen von The Dillinger Escape Plan…. joa, die 90er hatten schon einiges Großes in der avantgardistischen Metal Nische zu bieten.

Earth – Earth 2

(Sub Pop, 1993)

Der Soundtrack für den nahenden Weltuntergang… Mit der Kreuzung von minimalistischem Doom-Metal, Instrumental- und Noise-Teppichen kreierten Earth in den frühen 90ern quasi im Alleingang das Drone-Genre, das sich seitdem in postenthusiastischen Musikkreisen höchster Beliebtheit erfreut. Earth 2 ist aber auch ein Monster von einem Album. Was beim ersten Hören noch wie eine unbekömmliche atonale Noise-Feedbackschleife klingt, entfaltet seine ganze Pracht mit jedem Hördurchgang ein wenig mehr. Klar, dass das so ziemlich gar nichts mit Melodik und Harmonie im klassischen Sinne gemein hat. Stattdessen erheben sich auf dieser industriell verbrannten Erde riesige instrumentale, antimusikalische Ambientstrukturen, die Geschichten von gewaltigen Maschinen und postmodernen Albträumen erzählen. Earth 2 ist alles andere als eine Gute-Nacht-Geschichte, stattdessen der atonale Rausch eines surrealen Horrorfilms in Zeitlupe…

Mr. Bungle – Mr. Bungle

(Warner Brothers, 1991)

Danach kommt das selbstbetitelte Debüt von Mr. Bungle doch gleich viel entspannter aus den Boxen. An der Schnittmenge von Experimental, Avantgarde, Metal, Funk und Crossover arbeitet sich das Großprojekt gleich an einem Dutzend Genres ab. Patton-Fans dürfen hier ebenso aufhorchen wie Liebhaber der Pixies, John Zorn Anbeter – der übrigens an der Produktion der LP beteiligt war – und alle Freunde des gepflegten Anti-Metals. Mr. Bungle machen Spaß, fast zu viel Spaß für eine avantgardistische Metal-Kapelle… und genau deswegen sind sie so großartig. Mit abwechselndem Augenzwinkern und Schulterzucken kreuzen sie deftige Riffs mit Zirkusmelodien mit zappaesken Frickelausflügen mit Fusion, Funk, Jazz und was weiß ich nicht noch alles. Und das funktioniert in seiner Gnadenlosigkeit so gnadenlos gut, frittiert die Nerven, kurbelt die Hirnzellen an und schüttelt nebenbei noch ordentlich Endorphine frei. DIE Gute-Laune-Version von schrägem Avantgarde Metal und zugleich eines der besten Alben des Genres überhaupt.

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Therion – Symphony Masses: Ho Drakon Ho Megas

(Nuclear Blast, 1993)

Nicht von dem martialischen Fantasy-Cover und den früheren und späteren Alben der Bands irritieren lassen… Therion haben während ihrer Karriere so manchen Wandel durchgemacht und sind irgendwann mehr und mehr in die Symphonic Progressive Ecke abgedriftet. Auf dem opulenten Symphony Masses: Ho Drakon Ho Megas indes spielen sie eine faszinierende Mischung aus technisch versiertem Death Metal, unterlegt mit epischen Soundlandschaften, symphonischer Epochalität und abstrakten Black Metal Brüchen, die das Album in seiner düsteren Transzendentalität sowohl vom Symphonic Black als auch Gothic als auch Progressive Metal seiner Zeit angenehm abheben. Das Drittwerk der experimentierfreudigen Schweden ist eine verquere, brutale und zugleich auf höchstem Niveau strukturierte und komponierte Achterbahnfahrt durch das Fegefeuer bis hinauf ans Licht. Da braucht man sich mit Genre-Schubladen gar nicht allzu lange aufzuhalten. Das dunkle Kreuzüber aus Metal, Folk, Jazz und Experimental überzeugt als metaphyischer Grenzgang an der Schwelle zur Erlösung und immer kurz vorm Sturz in musikalische Höllenlandschaften. Avantgarde Metal der epischen, elegischen und zugleich getriebenen Art, der die Musikalität seiner selbst nie aus den Augen verliert.

Boris – Amplifier Worship

(Mangrove, 1998)

Die zweiten großen Drone-Pioniere neben Earth sind die Japaner Boris, die mit Amplifier Worship ein großes, lange Zeit nicht beachtetes Meisterwerk niedergeschrieben und aufgenommen haben. Die Soundlandschaften zwischen heavy Riffs, Noise-Feedbacks und verzweifelter Monotonie klingen wie in Musik gepresste Agonie, wie ein hilfloses Ringen mit der eigenen Lethargie, wie das Ersticken in einem grauenhaften Traum, aus dem man einfach nicht erwachen kann. Dazu tragen nicht zuletzt auch die schmerzerfüllten, dunklen und zugleich heiseren Vocals von Bandleader Takeshi bei, der im Gegensatz zu vielen anderen Boris-Veröffentlichungen hier öfter zu Wort kommen darf und so die ohnehin schon düster beklemmenden Soundscapes in einen weiteren Todeskampf – unter vielen – schickt. Drone mit einem kleinen – ganz ganz kleinen – Schuss Pop-Appeal und zugleich einem offenen Gehör Richtung Avantgarde, Experimental und Neuer Musik.

The Dillinger Escape Plan – Calculating Infinity

(Relapse, 1999)

Irgendwie müssen wir dann ja doch noch zum Mathcore finden… schon wieder so ne Schublade, die schon wieder so austauschbar klingt. Austauschbar ist die Musik von The Dillinger Escape Plan dafür allerdings ganz und gar nicht. Zwischen atonalen Sperrfeuern, einer industriellen Free-Jazz Zermürbungstaktik und – nunja – mathematischen Metalkonstruktionen ist Calculating Infinity ein destruktiver Rausch, ein dissonantes Noise-Gemetzel, das weder Melodien noch Harmonien benötigt. Stattdessen geht es an den Schmerz: Den in deinem Ohr, den in deinem Kopf, den in deinen Eingeweiden. Da kümmert es kaum, wie viele Kollateralschäden auf dem Weg zu verzeichnen sind, wie viele Nachbarn wutentbrannt an die Wohnungstür klopfen und wie viele Freunde dich für verrückt oder masochistisch halten, da du dich auf diesen psychotischen Noise-Regen einlässt. The Dillinger Escape Plan wollen weh tun, sollen weh tun…und finden genau die richtige Befreiungstaktik im, um und durch den Schmerz. Musik, die ihre eigenen Regeln hat… vielleicht sogar so etwas wie die Zwöltöner des 90er Jahre Metal.

Bands/Künstler_Innen: Boris, Earth, Mr. Bungle, The Dillinger Escape Plan, Therion, | Genres: Alternative Metal, Avantgarde / Experimental, Metal, Progressive Metal, | Jahrzehnt: 1990er,


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