Die besten Thrash Metal Alben der 90er Jahre I

Neben dem Heavy Metal ist der Thrash wohl das schwermetallene Genre, das am weitesten in die 80er Jahre zurückreicht. Von den Größen der Bay Area Scene blieb in den 90er Jahren freilich nicht viel übrig. Metallica wanderten zum Heavy und schließlich Alternative Rock ab, Testament versuchten sich ebenfalls in dunkleren Heavy Metal Tönen und Exodus lebten irgendwo, irgendwie so langsam weiter vor sich hin, ohne im Genre noch Großes zu reißen. Retrospektiv betrachtet war es vielleicht sogar besser so. Denn an die Stelle der alten Haudegen rückten neue Propheten des prügelnden Sounds. In Brasilien, den USA aber auch in Deutschland wurde die Härte des Thrash sukzessive  mit Groove und Tribal-Sounds ergänzt. Neo Thrash war eine lange Zeit das Schlagwort für diesen Trend, später auch Groove Metal, sogar zu Proto Nu Metal ließen sich wenige hinreißen. Daher sei mir so manche Genre-Unschärfe in diesem Best-Of verziehen. Denn auch wenn Sepultura, Ministry und Fear Factory alles andere als klassische Thrasher sind, so erfüllt ihre Musik doch die wichtigsten Kriterien: Sie knallt, ist schnell, verflucht hart und bricht dem Metal so manchen Zacken aus der Krone. Und ein paar alte Genrehasen wie Slayer, Anthrax und Overkill haben sich dann schließlich auch noch, in gewohnt gehobener Qualität, in das 90er Thrash Metal Programm eingeschlichen…

Slayer – Seasons in the Abyss

(Def American, 1990)

Und mit Slayer wollen wir auch gleich beginnen. Diese haben sich mit ihrem fünften Studioalbum Seasons in the Abyss vertrauensvoll in die Hände Rick Rubins begeben, und der hat wiederum das gemacht, was er am besten kann: Den Sound der Band auf ihre wesentlichen Trademarks destiliert und aus diesen nicht nur ein originäres, sondern auch ein die besten Stilistiken der Jungs vereinendes Werk geschaffen. Seasons in the Abyss verbindet auf grandiose Weise die Härte, Aggressivität, düster pessimistische Grundstimmung und die kompromisslose Brutalität früherer Slayer-Meisterwerke. Wo andere Bands (*hust Metallica) vor ihrer Vergangenheit flohen, setzen Slayer dem 80er Thrash die Krone auf, zelebrieren die harte Musik, als gäbe es kein Morgen mehr. Ein apokalyptischer, dennoch vorsichtig modernisierter und trotz aller Aggressivität cool groovender Bastard von einem Metal-Album, ein Riff-Gewitter wie es im Buche steht und zugleich eine fast schon existenzialistische Begegnung der Band mit ihrem eigenen Sound.

Anthrax – Persistence of Time

(Island, 1990)

Neben Slayer hat auch noch eine zweite klassische Thrash Metal Band zu Beginn der 90er so etwas wie ein Destillat ihres Werkes geschaffen. Persistence of time von Anthrax ist ein dichter, düsterer und erschreckend kaltblütig, fast schon mathematisch kontrollierter Trip in die Abgründe der zwischen Thrash und Heavy pendelnden 80er Jahre Metaller. Anthrax präsentieren dabei weniger ein eklektisches Best-Of als viel mehr einen musikalischen Schmelztiegel ihrer verschiedenen Einflüsse und Ideen. Heavy Riffs fließen zusammen mit Rock N Roll, schweren Metal-Geschützen und aggressiven Thrash-Attacken in ein rundes, fast schon schwermetallen, mäandernd groovendes Werk, das sich keine Blöße gibt, keine Lücken zulässt und in seiner metallenen Energie episch, mitunter gar progressiv, nach vorne peitscht. Heraus kommt ein fantastisches stählernes konzeptloses Konzeptalbum, das als rundes Gesamtwerk mit Sicherheit zum Dichtesten und Packendsten gehört, was der Thrash Metal überhaupt zu bieten hat.

Sepultura – Arise

(Roadrunner, 1993)

Verdammt, ich stelle gerade fest, dass Arise eigentlich schon das vierte Studioalbum der brasilianischen Thrash Metal Combo um die Cavalera-Brüder ist. Dabei könnte dieses Monstrum von einem Album auch glatt als ein wegweisendes Debüt durchgehen. Fast klammheimlich haben die Metalheads aus Südamerika ihren wütenden, unkontrollierten Death/Thrash-Bastard-Sound um diverse Komponenten erweitert und werden als Tribal-Metaller wiedergeboren. Arise ist, wenn man so will, der erste tatsächliche World-Weckruf für den Thrash-Metal. Geschickt ergänzt die Band ihren Sound um Percussion-Spielereien und um Industrial-Experimente, bettet diese aber so tief ein in ihre knüppelharten Attacken, dass kein Metalhead dazu fähig war und ist, ihnen Verrat vorzuwerfen. Im Gegenteil. Arise, im wahrsten Sinne des Wortes ein Erheben der Band heraus aus dem Image des südamerikanischen Regionalmetals, ist ein Brett vor dem Herrn: Ein düsterer, kompromissloser, aber auch experimentierfreudiger Schlag in die Magengrube der Hörer, ein kompromissloser Trip in das Herz der Finsternis und ein erstes, vorsichtiges, aber alles andere als leises, Manifest für die Offenheit der harten, stählernen Musik.

Ministry – Psalm 69: The Way to Succeed and the Way to Suck Eggs

(Sire, 1992)

Und hier haben wir sie dann auch… die Genre-Erneuerer, die offenen Industrial-Experimentierer und klassischen Sound-Verfälscher. Ob das überhaupt noch als Thrash Metal bezeichnet werden kann, ob das nicht viel eher Industrial Metal, Experimental Metal oder sonstwas Metal ist…? Who gives a fuck? Psalm 69 (mit schrägem Subtitel) ist ein gewaltiges, opulentes Metalbrett, das keine Genre-Schranken kennt und dennoch mit seinen High Speed Gitarrenattacken, seiner düsteren Grundstimmung und den aggressiven Vocals tief dem Gedanken des Thrash verhaftet ist. Daran ändern auch Electronica und Voice-Samples nichts. Nein, im tiefen, dunklen Herzen schmettern Ministry ihren Hörern hiermit ein düsteres Thrash Metal Manifest entgegen. Du musst kämpfen, wenn du überleben willst. Die Dunkelheit und Brutalität regieren die Welt und der Mensch ist immer auch des Menschen Wolf. Begleitet von schweren Riffs, morbiden Ansagen und unmittelbarer musikalischer Gewalt wird dies dem Hörer mehr als deutlich eingeimpft. Psalm 69 ist mehr als nur ein experimentelles Thrash-Album: Es ist ein Manifest für Härte, Instinkt und den archaischen Überlebenswillen, der in der Musik schlummert.

Fear Factory – Demanufacture

(Roadrunner, 1995)

Noch so ein Genre-Grenzgänger. Wo bei Ministry das elektronische Experiment und der Flirt mit dem Industrial immer hörbar im Vordergrund stehen, walzen Fear Factory mit ihrem wild eklektischen Sound alles platt, was ihnen in den Weg kommt, ohne sich um Facetten oder Nuancen zu scheren. Demanufacture ist keine filigrane Bastelei individueller Töne, es ist eine eiskalte, unberechenbare Maschine, ein mechanisches Metall-Monstrum, das gnadenlos seinen eigenen Sound nach vorne peitscht. Zwischen dichten Gitarrenwänden, wie ein Uhrwerk tickenden Drums und seelenlosen, beinahe außerirdischen Shouts entsteht eine beängstigende, futuristische und auch demagogische Soundmaschine, deren einzelne Noten immer nur dem höheren Zwecke zu dienen scheinen. Wenn es so etwas wie eine despotische, kollektivistische Metal-Ästhetik gibt, dann findet sie hier vielleicht ihren Höhepunkt: In diesem unbarmherzigen, übermenschlichen, überirdischen, amoralisch grandiosen Sound. Wäre Nietzsche Metal-Hörer gewesen, hätte er weder mit Black Metal Pathos noch mit monotonen Speed Metal Attacken etwas anfangen können. Dieser göttliche, dionysische  Schmerz wäre genau seine Musik gewesen.

Overkill – The Killing Kind

(CMC, 1996)

Man könnte meinen, dass die Traditionalisten unter den Thrash Metal Bands in diesem industriellen, experimentellen Schlachtfeld untergehen… Weit gefehlt. Overkill konnten sich als klassische Thrasher gut behaupten und suchten ihr Seelenheil ebenfalls in neuen Klängen, die aber weiterhin auf das „Handgemachte“ des metallen Sound setzten. Auf The Killing Kind werden die aggressiven Riff-Attacken und traditionellen 80er Jahre-Shouts geschickt von Hardcore und Noise-Einflüssen durchbrochen. Im Gegensatz zu den anderen 90er-Revolutionären gelingt es Overkill auf fast schon unheimliche Weise dennoch ihrem klassischen Sound treu zu bleiben: Verspielte, Achterbahn fahrende Riffs, heisere Zwischenschreie, eine kleine Portion Pathos, die sich in den staubtrockenen Sound mischt… Das sind die Zutaten für ein amtliches Thrash Metal Manifest, das die harte Gangart ebenso vital wie ihren Roots bewusst präsentiert. Ein sauberes, deftiges Metal-Lebenszeichen, dem die Zeit nichts anhaben konnte und das es auch heute noch vermag mitzureißen und kompromisslos nach vorne zu rocken.

Soulfly – Soulfly

(Roadrunner, 1998)

Nachdem es bei Sepultura gekracht hatte, machte sich Ex-Bandleader Max Cavalera allein auf den Weg und lotete die Grenzen des Thrash Metal noch weiter aus, als dies Sepultura bereits in den 90ern getan hatten. Das Ergebnis, das Debüt seiner eigenen Band Soulfly ist ein monolithischer Thrash-Brocken zwischen aggressiven Percussions, zahllosen World-Einflüssen und einem amtlichen Groove, der Cavalera so dicht an den Nu Metal heranrückt wie nie zuvor. Das schlägt sich auch in der Liste der Gaststars nieder: Fred Durst, Chino Moreno, DJ Lethal… die Liste liest sich schon fast wie ein who-is-who des Spät-90er Crossover. Aber Cavalera weiß wo seine Roots liegen und schreit diese auch bei jeder Gelegenheit aus seinem gewaltigen Organ heraus. Soulfly ist ein annähernd existenzielles, existenzialistisches Werk, auf dem Coolness, Hass und Tragik eine wundersame Melange eingehen: Der Sound ist hart, ständig durchbrochen von eklektischen Spielereien. Die Botschaft ist straight, die Songs feuern kompromisslos in alle Richtungen und finden in sich doch etwas wie Frieden. Es ist gar nicht so weit her geholt, Soulfly als spirituelles Thrash Metal Werk zu bezeichnen, als ein Album, das mit aller Härte, aller Offenheit und Brutalität sucht… und in dieser Suche doch eine Form von transzendentalem Frieden findet. Das gefiel/gefällt nicht allen, und ist auch heute noch streitbar. Mit der Befreiung von seinen Thrash-Wurzeln ist Cavalera hiermit aber mindestens ein außergewöhnliches, wagemutiges und alles andere als konventionelles Thrash/Nu/World-Hybridwerk geglückt, dessen Größe nach wie vor leider viel zu sehr unterschätzt wird.

Bands/Künstler_Innen: Anthrax, Fear Factory, Ministry, Overkill, Sepultura, Slayer, Soulfly, | Genres: Metal, Thrash Metal, | Jahrzehnt: 1990er,


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