Die besten Crossover Alben der 90er Jahre

Nach dem Metal bleiben wir erst einmal beim Rock N Roll und wühlen und wühlen uns durch dessen zahlreichen Subgenres. Wobei der Genre-Begriff im Falle des Crossover etwas diffus ist. Tatsächlich ist diese Bezeichnung für die Vorreiter des Nu Metal, für die ersten, die Rap, Rock, Funk und Metal zusammen mixten, primär eine deutsche Erscheinung. In den USA wurden die folgenden Bands stattdessen gerne dem Funk-Rock, dem Rapcore oder anderen Genrehybriden zugeordnet. Hierzulande dagegen sind wir mit genau jenem Crossover-Begriff groß geworden, nicht nur Dank deutscher Bands wie H-Blockxx oder Such a Surge, sondern auch Dank vieler Bands aus Übersee, denen wir dieses Label – stolz etwas neues musikalisches zu entdecken – aufgedrückt haben. Im Folgenden widme ich mich den besten Alben des klassischen Crossover, wie er Anfang/Mitte der 90er Jahre geboren wurde und ebenso schnell wieder in der Versenkung verschwunden ist, um diversen Core- und Nu-Metal-Labels Platz zu machen. Es war nicht alles golden in diesem mixwütigen Genre, ein paar herausragende, spannende Hybrid-Alben sind trotzdem dabei rumgekommen.

Dog eat Dog – All Boro Kings

(Roadrunner, 1994)

Rap + Rock + eine leichte Jazz-Attitüde? Gerne doch. Dog eat Dog waren immer so etwas wie die gut gelaunten Skater des Genres, die den kalifornischen Fun-Punk mit deftigen Sunshine-Raps und euphorischem Saxophon-Spiel aufpeppten. Dabei kann man sowohl bei dem Debüt-Album All Boro Kings als auch den – immer noch hörenswerten – Nachfolgern, durchaus auch ein gewisses politisches und soziales Sendungsbewusstsein heraushören, das sich in Songs gegen Ausbeutung, Faschismus und Rassismus widerspiegelt. Dennoch steht bei den Jungs aus New Jersesy musikalisch vor allem der Spaß im Vordergrund, umgesetzt in verdammt poppigen, ohrwurmtauglichen Melodien, viel Big Band Charme, der durch die Bläser optimal zum Ausdruck kommt, und die beinahe obligatorische „Jump“-Attitüde, die der schwitzenden, aufgepeitschten Menge entgegengeworfen wird. Heute wie damals haben Dog Eat Dog vor allem unterhalten und immer auch zum mitwippen, mitpogen und mitspaßhaben animiert. Nicht nur ein guilty pleasure, sondern darüber hinaus einfach mal eine verdammt gute Bastardisierung verschiedenster Einflüsse der 80er und 90er Jahre.

Faith no more – King for a day … Fool for a lifetime

(Slash, 1994)

Weniger auf Spaß als viel mehr auf experimentellen Krawall gebürstet, war die Artrock-Ausgeburt des Crossover-Genres Faith no more. Unter Federführung des Avantgarde-Extremisten Mike Patton ist King for a day… fool for a lifetime ein Album, das enervierend zwischen den Polen Punk, Metal, Crossover und Experimental oszilliert, dabei keine Scheu hat auch mal poppigere Töne anzuschlagen und am Ende doch immer wieder bei haarsträubend zerfetztem Rock N Roll rauskommt. Weitaus kratzbürstiger als sein direkter Vorgänger Angel Dust klingt der König für einen Tag wie der Provokateur im aufgeheizten Mob, wie der, der als erstes mit Steinen wirft, wenn es hart auf hart kommt, der keinen Respekt vor sich, seinen Freunden oder seinen Gegnern kennt und eine Menge Spaß dabei hat, sich Feinde zu machen. So gibt es keine Sicherheiten in dieser Tortur zwischen Funk, Core, Metal, Punk… zwischen anspruchsvollen Progressive-Dissonanzen und räudigem Outsider-Rock. Und doch hin und wieder erwischt man Mike Patton wie er gar Richtung Broadway und Vegas schielt. Damals schon ein unberechenbares Monster von einem Album… und auch heute noch durch und durch hörenswert.

Clawfinger – Deaf Dumb Blind

(WEA, 1993)

Auch Europäer beherrschen die Mixtur aus Rap, Metal und Funk. Und selbst, wenn man mal einfach feststellen muss, dass Clawfinger von den hier aufgeführten Bands am schlechtesten gealtert sind – inklusive grauenhafter Outputs im letzten Jahrzehnt – so stellten sie doch mal so etwas wie die Speerspitze des europäischen Crossovers dar. Deaf Dumb Blind ist ein aggressiver Brocken von einem Rapcore/Metal Album, dem trotz seiner sozialen Wut immer noch verdammt viel Funk und Rhythm im Nacken sitzt. Die monotonen, hysterischen Rhythmusmonster dieses Albums mögen eindeutig ein Kind ihrer Zeit sein, aber mit ihrer cholerischen Stampede-Attitüde erweisen sie sich als überraschend prophetisch, was die Antizipation des in den Spät-90ern folgenden Nu Metal betrifft. Clawfinger waren durchaus mehr als die europäische Antwort auf Rage against the machine und lassen sich auch heute noch problemlos als Vorboten von Limp Bizkit, Korn und Konsorten rezipieren. Man muss sie dafür ja nicht gleich lieb haben, Respekt steht ihnen dafür aber durchaus zu.

Mr. Bungle – Mr. Bungle

(Warner Brothers, 1991)

Die Grenzen zwischen den Genres sind fließend, gerade wenn man sich in jenen bewegt, die grundsätzlich qua Definition schon grenzsprengend sind. So wundert es nicht, dass Mr. Bungle mit ihrem selbstbetitelten Debüt bereits bei den besten Avantgarde Metal Alben aufgetaucht sind. Gehören sie dahin? Definitiv. So viel Spaß ihr wüster Mix zwischen Experimental, Funk, Rock und Metal macht, packt man sie allerdings auch liebend gerne zu den massentauglicheren Crossover-Göttern. Klar, so manchem Poger, Skater und Funpunker wird das dann zu experimentell zu durchgedreht sein, zugleich eignet sich die Band aber auch als perfektes Bindeglied zwischen Kunst und Spaß, Party, Rock N Roll und düsterem Prog-Wahn. Selbes gilt übrigens auch für Primus und ihr Debüt Frizzle Fry, die daher an dieser Stelle ebenfalls zumindest kurz erwähnt gehören. Crossover ist eben doch mehr als Gute-Laune-Musik für Unentschlossene, in seiner progressivsten, avantgardistischsten Form vielleicht sogar die konsequente Weiterentwicklung des Fusion-Rock der 70er und 80er Jahre und damit zugleich auch eine Verbeugung vor der Legende der Überkreuzung von E- und U-Musik Frank Zappa höchstpersönlich.

Red Hot Chili Peppers – Blood Sugar Sex Magik

(Warner Bros, 1991)

Viele Zuhörer*Innen denken beim Namen Red Hot Chili Peppers vor allem an den beschwingten alternativ poppigen Kalifornien-Sound und das passende Album mit dem passenden Titel Californication. Und ja, natürlich gehört das letzte 90er Album der Kalifornier mit seinem konsensualen Pop-Sound da auch rein. Mein Herz gehört jedoch dem Blut, dem Zucker, dem Sex und der Magie. Vielleicht war dieser grandiose Mix aus Pop- und Funk-Melodien, aus Metal-Kloppern und punkigen Core-Versatzstücken mein erstes Crossover-Album überhaupt. Oh, ja, was habe ich Hits wie Under the Bridge geliebt, was bin ich getaumelt zu den funkigen Psychedelic-Stücken und was habe ich geschrien zu den Nackenbrechern. So gut wie nie zuvor und nie danach haben die Chili Peppers auf diesem Früh90er Output Funk, Metal, Rap und Pop in Harmonie gebracht und damit ein wahrhaftes Meisterwerk der überreizten Fusionen geschaffen… and honorable mention: Der Nachfolger muss sich ebenfalls nicht verstecken.

Mother Tongue – Mother Tongue

(Sony, 1994)

Aber um das an dieser Stelle mal klar zu stellen. Die Red Hot Chili Peppers mögen großartig gewesen sein… Mother Tongue waren überirdisch. Vielleicht sogar die beste Fusion von Rock und Funk, die die 90er hervorgebracht haben. Die Einflüsse verschmelzen zu einem verdammt eingängigen, kratzbürstigen Sound, der zudem noch durch und durch sexy ist. Leider haben das die Hörer damals nicht erkannt (ich entdeckte die Band tatsächlich auch erst zur Jahrtausendwende), zwei Jahre nach ihrem Debüt löste sich die Band schon wieder mangels Erfolg auf und kämpft sich seitdem von Comeback zu Comeback. Anyway, ihr Debüt MUSS man gehört haben: Blues und Rock und Funk verbrüdern sich in einem einzigartigen Soundkosmos zwischen Aggression, Spaß und purem Sex Appeal: Ein fantastisches grenzensprengendes, zeitenübergreifendes Rock N Roll Meisterwerk, dem die letzten 20 Jahre nichts anhaben konnten.

Rage against the machine – Rage against the machine

(Epic, 1992)

Die Polit-Rocker unter den Crossover-Bands und eine der großen Legenden des Genres. Man sollte sich aber von der missionarischen Attitüde nicht in die Irre führen lassen: Rage against the Machine rockt gewaltig, ein Monstrum von einem Album zwischen politischem Rap, derbem Hardcore, enervierendem Funk und ner Menge ordentlichem Heavy Metal. Natürlich war das auch Zeitgeist-Musik, und ein bisschen mag das selbstbetitelte Album mittlerweile Spuren der Zeit abbekommen haben. Dennoch handelt es sich um ein gottverdammtes, verwegenes Meisterwerk, mit viel Blut, Schweiß und Tränen: Vital, angriffslustig, einzigartig und vollkommen zurecht mittlerweile Legende, wenn es um harten Rock der frühen 90er Jahre geht.

Incubus – Make Yourself

(Epic, 1999)

Als sich das Jahrzehnt bereits dem Ende neigte und der klassische Crossover längst vom Nu Metal abgelöst wurde, bewiesen Incubus mit diesem famosen Alternative/Rock/Funk-Bastard, dass zwischen all den Korns und Slipknots durchaus noch Platz war für funkigen Crossover der traditionellen Art. Ohne die bei anderen Bands damals übliche breitbeinige Proll-Attitüde huldigen Incubus hier dem harmonischen Zusammentreffen der 70er, 80er und 90er Jahre und generieren so ein launiges, verspieltes und trotz seinen Popcharakters durchaus anspruchsvolles Album zwischen großen Hits und gereifter Stadionatmosphäre. Der Crossover wird zum Rock-Epos, die Aggression zur Teenager-Romantik, der Zorn und das dissoziative Experiment werden zum anschmiegsamen Pop-Song. Und ja, das funktioniert ausgezeichnet, muss sich vor seinen Vorbildern keineswegs verstecken und ist zudem weitaus besser gealtert als die meisten Nu Metal Outputs der damaligen Zeit.

Bands/Künstler_Innen: Clawfinger, Dog eat Dog, Faith no more, Incubus, Mother Tongue, Mr. Bungle, Rage against the machine, Red Hot Chili Peppers, | Genres: Alternative Rock, Crossover, Rock, | Jahrzehnt: 1990er,


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