Die besten Trip Hop und Downbeat Alben der 90er Jahre I

Mit dem Trip Hop kommen wir nach der ganzen gitarrenorientierten Musik endlich mal zu einem Genre, dass mit Rock N Roll ziemlich wenig zu tun hat. Wie im Namen bereits angelegt haben wir es beim Trip Hop mit einem Genrenhybriden zu tun, der sich auf dem Spektrum zwischen Hip Hop, Electro Pop und trippigen Dance Sounds bewegt. Eng verwandt mit dem spezifisch in Bristol etablierten Sound ist der Downbeat, eine Unterkategorie der elektronischen Musik, die sich – ebenso wie der Trip Hop – vor allem durch ihren langsamen, groovigen und auch melancholischen Sound auszeichnet. Beide sind aber alles andere als bloß unterkühlte, introspektive und traurige Klangerzeugnisse. Wie in vielen anderen musikalischen Nischen der 90er Jahre haben wir ein ziemlich breites Spektrum vor uns: Trip Hop und Downbeat können melancholisch und nachdenklich klingen, abstrakt und sogar akademisch sein. Aber eben auch groovy, funky, verspielt und ironisch. Wir können es mit weitflächigen, emotionalen und getriebenen Klangteppichen zu tun haben, aber eben auch mit fragmentierten Samples. Mit epischen Kompositionen und mit kleinen charmanten wie warmherzigen Popsongs. Mit Hip Hop und Rap Eskapaden ebenso wie mit sphärischem Ambient. Und in diesem Spektrum sind – ihr ahnt es schon – extrem viele, extrem starke Alben veröffentlicht worden. Also dann, macht euch bereit, Anschnallen ist in diesem Fall nicht nötig. In den beiden kommenden Trip Hop und Downbeat Bestenlisten werfen wir einen Blick auf die chilligsten, trippigsten, bewegendsten und schlicht und ergreifend besten Alben dieser Genres.

Massive Attack – Blue Lines

(Wild Bunch, 1991)

Und um dann gleich mal mit einem echten Klassiker zu starten: Auf ihrem Debüt Blue Lines definieren Massive Attack zu Beginn der 90er all das weg, was das Genre auszeichnet. Blue Lines trägt in sich ein düsteres Mysterium, obwohl es in vielen Momenten gechillt, fast schon lazy daherkommt. Ein gutes Stück bevor Trip Hop ein großer Begriff der musikalischen Feuilletons sein wird, mixen Massive Attack Ideen des amerikanischen Hip Hop mit der Stilsicherheit der britischen Club- und Electrokultur, spielen mit absolut tanzbaren Popsongs, verlieren sich in düsteren Soundkaskaden und mixen Atmnosphärisches mit Verspieltem, Coolness mit Eleganz. Blue Lines trägt die Verheißungen Dancefloor tauglichen Technos in sich, ist aber zu jeder Zeit deutlich mehr. Man ertrinkt in den ambivalenten Kompositionen von
Grantley Marshall und Andrew Vowles, wird hypnotisiert von der fantastischen Stimme von Adrian „Tricky“ Thaws, fühlt sich zu keinem Moment gestresst, aber immer in diesem „Halb zog es ihn, halb sank er hin“-Stadium. Und zwischendurch will man sich auch einfach nur treiben lassen, tanzen, als ob es keinen Morgen gäbe. Blue Lines ist natural high im besten Sinne des Wortes, wie ein Drogentrip, der ganz ohne Drogen funktioniert; tief in die Nacht hinein und immer noch ein bisschen weiter. Absolut zurecht ein Pionier und Meilenstein des Trip Hop Genres.

Laika – Silver Apples of the Moon

(Too pure, 1994)

Wie verspielt Trip Hop sein kann, beweisen Laika auf ihrem Debüt-Album Apples of the Moon aus dem Jahr 1994. Obwohl hier alles klar im Electro Pop Genre der frühen 90er Jahre verwurzelt ist, haben Margaret Fiedler und Guy Fixsen keine Scheu davor, ganz tief in die Trickkiste vergangener Zeiten zu greifen. Und so werden die unheimlich treibenden Downbeat-Stücke mit einer Menge experimentellem und progressiven Flair verziert, baden in Krautrock-Vibes, die wohlgemerkt nicht aus der Kraftwerkecke kommen sondern viel mehr den pittoresken Jam-Sound der 60er Jahre à la Can referieren, und packen Jazz, Psychedelic und Dub in das ohnehin schon diverse, diversifizierte Geschehen. Fiedlers ebenso betörende wie unheimliche Stimme tut den Rest, um Silver Apples of the Moon zu einem einzigartigen Rausch werden zu lassen, der dich packt, herumreißt und entführt in ganz andere Trip Hop Welten. Für Trip Hop Verhältnisse mitunter mit geradezu atemberaubender Geschwindigkeit erobern Laika den Dancefloor und opfern dabei nie die düstere und elegische Atmosphäre, die all ihre Songs umspielt.

Björk – Post

(One Little Indian, 1995)

Die Isländerin Björk kam ursprünglich aus dem Punkrock, entdeckte in ihren Soloausflügen in den 90er Jahren allerdings die elektronische Musik für sich und entwickelte als Solokünstlerin – unterstützt von dem who is who der Trip Hop Szene – einen ganz eigenen, eigenartigen wie einzigartigen, Klangkosmos, der voll und ganz um ihre Person mäandert. Seinen Höhepunkt erlebt diese Mischung aus Avantgarde, Experimental, Pop und Electro auf ihrem dritten Album aus dem Jahr 1995. Obwohl wir hier Peak Trip Hop Björk vor uns haben, ist schon viel von dem zu erkennen, was sie berühmt berüchtigt machen sollte: Das Exaltierte, das Progressive, das in glänzenden Farben esoterisch Schillernde. Post ist ohne jeden Zweifel so etwas wie die Musical-Version des Trip Hops. Und darin werden die dunklen Beats dann auch mal nicht nur zurückgefahren sondern komplett ausgeschaltet, um Platz zu machen für eine furiose Mischung aus Eleganz, Expression und purer Big Band Kraft. Post gelingt das Kunststück, Klassik mit Größenwahn, Elektronik mit Orchestralem zu verbinden. Öfter mal nahe am Kitsch gebaut, dabei aber immer augenzwinkernd und vor allem experimentell genug, um nie in diese Richtung abzurutschen. Auch wenn Post vielleicht das beste Album von Björk aus dieser Phase ist, lohnt es sich – sofern man auf diesen speziellen Sound steht – sich auch die es umgebenden Veröffentlichungen – Debut und Homogenic – zu widmen.

Faithless – Reverence

(Cheeky, 1996)

Faithless dürften alle in den 90ern musikalisch Sozialisierten vor allem durch ihre großen Dance-Hits kennen, die in einem Umfeld von zweitklassigen Eurotrash-Outputs durch eine ungeheure Intensität und Dichte glänzten. Von den großen Popsongs der Band – Hat da jemand One Hit Wonder gesagt? – sollte man sich aber nicht in die Irre führen lassen. Reverence hat deutlich mehr zu bieten als Stoff für die Tanzflächen und technoiden Charts der Rave affinen 90er Jahre. Ja, es gibt hier ne Menge Treibendes, Energisches und Tanzbares; die andere Seite von Rollo, Sister Bliss und Maxi Jazz gibt es aber mindestens ebenso, wenn nicht sogar mehr, von Track Eins an zu bestaunen. Und diese besteht aus einer gehobenen Mischung aus getragenem Hip Hop, einer Menge Soul und R&B, sowie dem gediegenen Moment loungiger Downbeat Musik. Und so ist das Debüt von Faithless vor allem ein ungeheuer eklektisches Werk. So dominant, raumfüllend und unfassbar nahegehend die gottgleiche Stimme von Maxi Jazz (der im letzten Jahr leider verstorben ist) auch ist, sie lässt immer genug Raum für den progressiven Fusionpop, den die Band rundherum abfeuert. Mal ganz nahe am Jazz Rap, mal ganz nahe am Soul Pop, manchmal komplett dem Pop zugeneigt und immer in entlegenen Sphären wandelnd. Reverence besitzt Ruhe und Sakralität, Energie und Freude und kommt trotz allen Eklektizismus‘ immer wieder auf sich selbst zurück.

Portishead – Dummy

(Go! Beat, 1994)

Kein Album dürfte derart synonym mit Mitt90er Trip Hop sein wie das zweite Studioalbum der Bristoler Band Portishead. Dabei stehen Beth Gibbons, Geoff Barrow, Adrian Utley und Dave McDonald in erster Linie für eine sehr spezifische Form des Trip Hop, in dem Melancholie und Verlorenheit ganz im Mittelpunkt der Musik stehen. Dummy ist wie ein düsterer Trip in eine Welt, in der sich die kalte Sterilität des elektronischen Zeitalters und die Hoffnung auf transzendentale Erlösung in einem permanenten Widerstreit befinden. Eiskalte, perfekt arrangierte Soundteppiche werden aufgebaut, wälzen sich über das Publikum, drohen alles zu ersticken… und dann bricht diese wahnsinnige Stimme von Gibbons ins Geschehen. Hauchzart, fragil, immer etwas verloren, den Raum aber für sich gewinnend. Plötzlich erscheint alles Sinn zu geben, der Nebel lichtet sich, die Kälte entschwindet und zurück bleibt pure Schönheit. Dummy ist ein gewaltiges, cinemaskopisches Erlebnis, zwischen Ambient, Postrock, Downbeat und sphärischem Anti-Pop mit Experimentalcharakter. In der Tat wahrscheinlich das Emotionalste, was das Genre zu bieten hat, und ohne jeden Zweifel ein Ausnahmewerk der elektronischen Musikgeschichte.

DJ Krush – Meiso

(Sony, 1995)

Wo Portishead die melancholische, dem Ambient zugeneigte Seite des Trip Hop repräsentieren, steht der japanische Ausnahmekünstler Hideaki Ishi – zumindest Mitte der 90er Jahre – für die größtmögliche Annäherung des Genres an den traditionellen Hip Hop. Unter dem Namen DJ Krush zelebriert er auf seinem dritten Album Meiso fulminanten Rap, teilweise in seiner Reinform, mit Attitude und Aggression, mit Coolness und Image, mit Party und Edgyness. Aber man sollte sich nicht von der Fassade täuschen lassen, dahinter hat Meiso nämlich deutlich mehr zu bieten. Da wären die zahllosen Jazz-Einflüsse, die das Geschehen umwehen, umspielen und manchmal voll und ganz ausbrechen. Da wären die elektronischen Interludien, die sich voll und ganz dem Ambiente des Downbeat hingeben, nicht nur einfach entspannt sondern auch atmosphärisch sind, mitreißend, mäaandernd. Da wäre die immer wieder aufblitzende Melancholie, die teilweise komplette Unterminierung des Hip Hops in Atmosphäre und Präsentation. Und so pendelt Meiso zwischen den Welten von Jazz, minimalistischem House und Hip Hop. Wie man das dann nennen will, ist eigentlich egal, DJ Krush jedenfalls ist eine Entdeckung und eine ungeheure Bereicherung der elektronischen Musiklandschaft der 90er Jahre.

DJ Shadow – Endtroducing….

(Mo‘ Wax, 1996)

Noch so einer mit dem „DJ“ im Namen. Und dann auch noch jemand, der mit DJ Krush auf Meiso zusammengearbeitet hat… Joshua Paul Davis ist der gebürtige Name des guten Mannes, und mittlerweile dürfte sein Legendenstatus unangetastet sein. Mit Endtroducing hat er in mehr als nur einer Form Musikgeschichte geschrieben: Laut dem Guinnes Buch der Rekorde das erste vollständig aus Samples bestehende Album, quasi die Geburtsstunde des Mashup und Bastardpop Genres. Das Ende der „selbstgemachten“ Musik auf einem großen Abenteuerspielplatz. Und dann hört man dieses Album, über 25 Jahre nach seiner Veröffentlichung und stellt (mal wieder) fest, wie sehr ihm der Legendenstatus als verspielter Klanghybrid Unrecht tut. Ja, Endtroducing…. mag verspielt und eklektisch sein, mag seinen historischen Wert aus dem vermeintlichen „First“ der puren Lehre der Samplekunst gewinnen, aber jetzt mal so rein akustisch betrachtet: Gott, ist dieses Werk atmosphärisch! Gott, ist dieses Werk dicht und stimmig. Endtroducing…. ist mit seinem düsteren Charme, seinem Blick auf Stimmung und Ambiente deutlich näher am Postrock als am Hip Hop: Rhythmen und Melodien werden etabliert und wieder fallen gelassen. Songs gehen nahtlos ineinander über, es finden sich in jedem Song mehr Ideen als manche Künstler in ganze Alben packen, und gleichzeitig entsteht eine gewaltige Komposition, deren Epicness auch nicht durch das Abgehackte, Diversifizierte und Fragmentarische dieses Mosaiks zerstört wird. Endtroducing…. ist wie ein Puzzle, dessen gewaltige Größe in jedem kleinsten Teil spürbar ist, ein zerrissener Klangfluss, der eben doch unaufhörlich fließt und mitreißt. In der Tat ein Jahrhundertalbum, und das beeindruckendste, in mehr als 25 Jahren scheinbar keinen Tag gealtert.

Tricky – Maxinquaye

(4th & B’way, 1995)

Mitte der 90er Jahre hatte sich bei Tricky eine ganze Menge Frust angestaut. Er hatte das Gefühl, bei Massive Attack nicht richtig gehört zu werden, seine Ideen nicht richtig einbringen zu können. Ein wesentlicher Faktor dürfte wohl sein, dass seine Begeisterung für die Sängerin Martina Topley-Bird (und die Songs, die er mit ihr aufgenommen hatte) von den Bandkollegen nicht geteilt wurde. Und so verließ er 1995 die Band und arbeitete auf seinem Debütalbum Maxinquaye direkt mit Topley-Bird zusammen. Bandauflösungen oder der Verlust von wichtigen Bandmitgliedern sind immer tragisch, aber wenn man Maxinquaye hört, kommt man kaum umhin, festzustellen, dass das in diesem Fall vielleicht ganz gut war. Befreit von den Fesseln von Massive Attack kreiert Tricky hier seine ganz eigene Vision von Trip Hop, entlang der Feiler Ambient, Jungle, Soul und experimentellem Hip Hop. Der Eklektizismus findet hier nie zum Selbstzweck statt. Ganz im Gegenteil, für seine Varianz ist Maxinquaye ein ausgesprochen rundes Werk, in dem Tricky substanzvolle Geschichten zwischen Psychologie und Philosophie, Politik und Fantasterei erzählt. Alles scheint sich der Atmosphäre dieser Geschichten zu beugen, ein steter düsterer Schleier schwebt über dem Geschehen, das mitunter für Trip Hop Verhältnisse extrem schnell vorangetrieben wird. Maxinquaye ist auch so etwas wie ein Konzeptalbum: Ein anthologisches Werk über den Selbstverlust und die Selbstfindung, zerrissen von Trickys verworrener Klangkunst, zusammengahlten von Topley-Birds fantastischer Stimme, und ja, besser als alles, was Massive Attack zu dieser Zeit gemacht haben.

Earthling – Radar

(Chrysalis, Cooltempo, 1995)

Am Rap-Ende des Trip Hop Spektrums steht – mehr noch als DJ Krush – das Bristoler Duo Earthling, dem es gelingt mit Hip Hop Zutaten ein ganz und gar fantastisches, atmosphärisches Stück trippiger Musik zu produzieren. Das liegt in erster Linie daran, dass sie einen Shit auf Traditionen des Genres geben: Producer Tim Saul liefert dunkle, abstrakte Beats, die sich in fast schon akademischen Mustern um sich selbst kreisen. Rapper Mau wiederum bricht über diese Beats mit seinen teils gemurmelten, teils hektischen und verworrenen Vocals und Lyrics. Das ist auf jeden Fall alles andere als dein Standard-Sprechgesang, arbeitet mit Monotonie, mit extremer Repition, mit Lazyness und psychedelischen Mustern, irgendwo zwischen Drogenwahn und elaborierter urbaner Fantasterei. Das Ergebnis ist ein Album, das vor allem Hip Hop Traditionalisten mitunter schwer bekömmlich erscheinen dürfte, aber umso mehr auf der cineastischen Seite punktet. Vielleicht auch ein wenig der Postrock Entwurf des Mitt 90er Hip Hop, vielleicht ein wenig die Beerdigung des Raps durch Mittel des Trip Hop, vielleicht aber auch einfach nur eine versponnene, verschwurbelte musikalische Reise… wohin auch immer. Auf jeden Fall aber ein extrem starkes Album, mit den Konventionen spielend und diese mitunter radikal brechend.

Amon Tobin – Bricolage

(Ninja Tune, 1997)

Uuuund… Jazz! Der brasilianische DJ und Klangkünstler Amon Adonai Santos de Araujo Tobin ist ein Meister darin, von Nostalgie getrieben in seiner Plattensammlung nach elegischen oder relaxten, nach subtilen oder wilden Klängen der Vergangenheit zu kramen und diese durch seinen persönlichen Mixer zu drehen. Sein Debüt Bricolage trägt diese Ambivalenz zwischen Nostalgie und radikalem Dekonstruktivismus permanent in sich. Und so wähnt man sich in einem gechillten Cool Jazz Umfeld, nur um kurz darauf von hektischen Beats in eine ferne Zukunft entführt zu werden. Bricolage vereint in sich eine wilde Mischung aus Vergangenem und Zukünftigen, arbeitet mit drum’n’bass, Jungle, allem was die Jazzgeschichte hergibt, und fühlt sich dennoch nie zu eklektisch oder verworren an. Dafür ist Tobin einfach zu gut darin, aus vielen kleinen Einzelteilen ein Großes Ganzes zu formen, das immer auch mehr ist als die Summe seiner einzelnen Teile. Bricolage ist zwar eine Collage in seinem Entstehen, besitzt aber Seele in seiner Ausführung. Amon Tobin kreiert aus seinen Puzzleteilen ein Gemälde, das nichts Fragmentarisches mehr besitzt, eine Gesamtkomposition, in der die einzelnen Teile miteinander verschmelzen, so als hätten sie schon immer zusammengehört.

Bowery Electric – Beat

(Kranky, 1996)

Das amerikanische Duo Martha Schwendener und Lawrence Chandler ist so etwas wie der Shoegaze-Act des Trip Hop Genres. Wenn Schwendeners faszinierende Stimme hinter dichten Soundteppichen fast komplett verschwindet, hat man mehr als einmal das Gefühl, sich geradewegs in ein Dreampop-Album verirrt zu haben. Und doch ist ihr Zweitling Beat alles andere als monothematisch: Die Veröffentlichung unter dem großen Nordamerikanischen Label Kranky gibt darauf schon den ein oder anderen Hinweis. Und so finden wir hier gewaltige Kompositionen, die Postrock-Welten eröffnen, avantgardistischen Electropop, der mitunter fast die späteren Alben Radioheads zu antizipieren scheint, und experimentelle Soundungetüme, die zwischen Experimental und Rock balancieren. Beat ist ein ungemein vielschichtiges Album, dessen Atmosphäre sein größter Trumpf ist, das aber immer auch genug Zeit für den klassischen Song findet, selbst wenn dieser sich im Shoegaze-Nirwana verirrt, im Trip Hop weg mäandert und im Postrock zu endlosen Eskapaden ausgedehnt wird.

Coldcut – Let Us Play!

(Ninja Tune, 1997)

Was fehlt noch? Richtig, Funk und Groove. Und dafür sorgt niemand so gut wie Matt Black und Jonathan More, die unter dem Label Coldcut schon seit den ausgehenden 80er Jahren experimentelle wie unterhaltsame Electronica produzieren. Ob das überhaupt noch Trip Hop ist, könnte man fragen bei all dem Spaß, die ihre verschwurbelden Soundeskapaden machen. Ja, um es hart auszudrücken, Let Us Play! ist fast zu unterhaltsam, um ein reines Trip Hop Album zu sein, lebt das Genre doch oft genug von einer gewissen düsteren bis melancholischen Stimmung, die hier nur allzu gern für ein beherztes „Fuck it! Let’s have fun!“ geopfert wird. Aber so sehr Coldcut das Partygesicht des Trip Hop sind, beherrschen sie auch das Spiel mit der Atmosphäre, mit dem minimalistischen Pomp und der verträumten Verlorenheit des Downbeat. Dies schmiegt sich nahtlos an verspielte, gerne auch mal alberne und infantile Samples, die aber immer derart atmosphärische Musikwelten kreieren, dass sie nie in reinen Pop abrutschen. Wer das verspielte Momentum der Gorillaz schätzt, aber langlebige Kompositionen vor eingängigen Songs bevorzugt, ist hier an der genau richtigen Stelle.

Archive – Londinium

(Island, 1996)

Puh, jetzt hatten wir wirklich viele verschiedene Spielarten des Trip Hop Genres. Die Hip Hop Beeinflussten, die Postrocker, die minimalistischen Downbeats, die elegischen Pop-Enthusiasten, die Nostalgiker, die Futuristen, die Shoegazer, die Jazzer und Funkfreunde… Warum nehmen wir zum Abschluss nicht einfach alles? Das Debüt der Londoner Band Archive – Londinium – ist nicht weniger als das kompletteste Trip Hop Album von allen. In ihm verschmelzen zurückgelehnter Rap mit atmosphärischem Jazz mit einnehmenden Beats, mit mysteriösem Avantgarde Electro, mit Pop, mit Komposition mit… es ist kaum möglich alles aufzuzählen, was hier der Hörerschaft um die Ohren gehauen wird. Und dennoch klingt Londinium für ein so diversifiziertes und eklektisches Album erstaunlich rund und geschlossen. Songs und Songrfragmente gehen nahtlos ineinander über, es fühlt sich nie seltsam an, wenn nach einem treibenden Rapstück ein fragiles Post Punk Epos auf uns wartet, es klingt nie fehl am Platz, wenn der Groove Platz macht für verträumte Atmosphäre. Bereits im Veröffentlichungsjahr dieses Albums sollte sich die Band auseinanderdividieren und Bandleader Darius Keeler und Danny Griffith mit anderer Besetzung weitermachen, deutlich näher am Indie Pop und Progressive Rock, mit großem Erfolg und Ansehen in der Indie-Szene. Ihr Debüt ist dadurch etwas in Vergessenheit geraten, was diesem ambivalenten Trip Hop Meisterwerk mehr als Unrecht tut.

Bands/Künstler_Innen: Amon Tobin, Archive, Björk, Bowery Electric, Coldcut, DJ Krush, DJ Shadow, Earthling, Faithless, Laika, Massive Attack, Portishead, Tricky, | Genres: Downbeat, Electro, Hip Hop, Trip Hop, | Jahrzehnt: 1990er,


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