Hörenswertes September/Oktober 2011: Opeth, Dream Theater, Wolves in the Throne Room, Machine Head, Mastodon

Jetzt beginnt die unwirtliche und raue Zeit des Jahres… Aber wir wollen nicht lamentieren und stattdessen den Herbst mit deftiger und roher und vor allem metallschwerer Musik begrüßen. Die gibt es in diesem Soundcheck gleich auf mehrere verschiedene Arten: Die Progressive Metaller von Opeth entdecken die 70er Jahre und bedienen sich ganz ungeniert bei Led Zeppelin und Konsorten, während Wolves in the Throne Room ihre ganz eigene Version eines Smooth Black Metal spielen. Mastodon nehmen knapp vorm selbstverliebten Prog noch rechtzeitig die Ausfahrt und landen so bei deftigen Metal-Attacken zwischen Tradition, Groove und Experiment. Und Machine Head machen das, was sie am besten können und schon immer konnten: Knallen. Falls es neben den deftigen Metalbrettern zwischen Doom, Thrash und Black noch etwas Pathos geben soll, kommen Dream Theater gerade Recht, die sich nach dem Ausstieg von Mike Portnoy zwar nicht runderneuert dafür aber solide wie (fast) immer präsentieren.

Opeth – Heritage

(Roadrunner, 16.09.2011)

Opeth gehören seit jeher zu den wandlungsfähigsten Bands des Genres. Genre? Gute Frage bei den Schweden, die schon immer die Grenzen zwischen Death Metal, Doom und Progressive Metal ausgelotet haben. Da durfte dann mit Deliverance (2002) und Damnation (2003) auch mal ein Doppelpack zweier stilistisch vollkommen verschiedener Alben in der Discographie auftauchen, kurz gefolgt von Kraut und Progressive Metal Experimenten. Dass man bei Opeth auf alles gefasst sein darf, weiß man… und ist dann doch wieder überrascht, wenn Heritage zum ersten Mal durch die Boxen schallt. Nie waren Opeth weiter von ihren Death Metal Wurzeln entfernt, nie klangen sie vitaler, so wenig düster und vor allem klangen sie nie so klasssisch.

Heritage ist nichts weniger als ein astreiner Abgesang auf den traditionellen Progressive Rock der 70er Jahre geworden. Led Zeppelin, King Crimson und Yes geben sich die Kante in den verspielten, mal pathetischen, mal ausbrechenden Songkonstruktionen, in denen Opeth den Prog-Sound von anno dazumal fortführen, als hätte es nie die verfehlten 80er Percussion-Experimente gegeben, als wäre Neo Prog nur ein schlechter Traum gewesen und als hätte der Metal in der progressiven Musik nur mal kurz vorbeigeschaut. Das kann, das muss jeden traditionsbewussten Progressive Rock Hörer erfreuen. Pathos, Funk, Gitarrengefrickel… Wo Mars Volta in ihrer Reminiszenzgeilheit immer doch noch nach Punk klingen, sind Opeth sich der Wurzeln nicht nur bewusst, sondern leben diese auch ungeniert aus. Das könnte man dann einfach dreist finden, wenn es nicht so wunderbar wäre.

Groovy Momente treffen auf atmosphärisch dichte Parts treffen auf emotionale und musikalisch intellektuelle Höhenflüge zwischen Expressivität, Relaxtheit und mentaler Entrückung. Hin und wieder darf dann doch auch der Metal wieder ganz vorsichtig vorbeischauen, wenn sich zu den 70’s Einflüssen Tool und Porcupine Tree gesellen. So richtig homogen ist Heritage dann eben doch nicht… und wenn esoterisch verzwickte Interludes vorbeihuschen, möchte man kurz – aber nur ganz kurz – reißaus nehmen. Alles in allem begeistert dieser Progressive Hybrid aber in vollem Umfang. Hier ist sogar das Mellotron echt und die abrupten Wechsel zwischen funkigen Gitarrenexzessen, Folk und symphonischen Pathos schmecken wie Lerchenzungen in Aspik, lassen Zeppeline fliegen und Lokomotiven atmen. Keine Ahnung, was das heißen soll? Dann ist Heritage vielleicht etwas zu Retro und ihr solltet erst einmal die 70er King Crimson, Jethro Tull und Led Zeppelin gegenchecken. Jeder, der jetzt wissend genickt hat, sollte sich diese unverschämte, unverschämt gute, Reminiszenz an glorreiche Progressive Rock Tage nicht entgehen lassen.

Machine Head – Unto the Locust

(Roadrunner, 23.09.2011)

Sakral choral ist der Einstieg, nur um kurz darauf durch alberne Aufbrüche dekonstruiert zu werden. Aber das spielt dann auch schon keine große Rolle mehr. Denn von nun an wird losgeholzt, Verschnaufpausen dienen auch nur dazu, um den nächsten Höllenritt einzuleiten, und wenn der Zuhörer im epischen Abschlussstück noch einmal mit gewalttätigem Pathos vollkommen zu Boden gedrückt wird, wird ihm erst bewusst, wie sehr er in den letzten Minuten durchgeschüttelt wurde. Es ist schon erstaunlich, dass ausgerechnet Machine Head antreten um den Metal zu retten, waren sie doch mit einigen anderen Bands der Neo-Metal-Welle, als Vorreiter des Nu Metal, quasi verantwortlich für dessen Untergang. Geschenkt! Denn nach der Rettung des Metals, so und nicht anders klingt Unto the Locust.

Da wird mit großer Attitüde ausgeholt, da werden schmetternde Thrash-Riffs hervorgezogen, da wird tief im Heavy Metal Pathos gebadet und sogar kurz – aber prägnant – in die Death und Progressive Kiste gegriffen. Und das alles klingt so frisch, wie schon lange Zeit kein klassisches Metal-Album mehr. Machine Head spielen nämlich keinen Abgesang auf das Genre sondern dessen vitalen Lebensschrei. Nach dem grandiosen The Blackening (2007) ist Unto the Locust nicht weniger als ein Manifest für die harte Musik, für deren zahlreichen Variationen aber eben auch harten Stahlkern. Und hart sind sie… trotz aller Eingängigkeit, trotz poppiger Melodien und moderner Attitüde ist Unto the Locust ein Brett vor dem Herrn. Ungeniert lassen Machine Head Riffs auf Riffs folgen, schmettern ihre Hooklines über den Hörer und schreien jedes bisschen Energie auf dem Album zusammen, dass sie finden können. Ohne sich um Trends zu scheren klingt Unto the Locust ungemein trendy, vital sowieso, und verdammt nochmal einfach nach Metal, Metal, Metal; in jeder erdenklichen hitträchtigen Ausführung. Subtilität sieht anders aus, und gerade deswegen machen Machine Head wieder einmal unglaublichen Spaß. Anschnallen, zurücklehnen und genießen. Ein besseres Lebenszeichen der harten Rock N Roll Spielart könnte ich mir derzeit nicht vorstellen.

Wolves in the Throne Room – Celestial Lineage

(Southern Lord, 13.09.2011)

Black Metal ist ein Phasengenre: Phasenweise tot, phasenweise schlecht riechend, phasenweise revolutionär, frisch und dicht. Wolves in the Throne Room gehören zu denen, die seit jeher die Flagge des innovativen Black Metal oben halten. Wobei Flagge an dieser Stelle wohl der denkbar falscheste Ausdruck ist. Denn während andere Bands des Genres ihren Sound – unabhängig von ihrer Propgressivität und Experimentierfreude – meist martialisch, mindestens aber aggressiv gestalten, haben sich WITTR zu so etwas wie einer sanften BM-Kapelle entwickelt. Mit Celestial Lineage führen sie genau diesen Weg – ohne große Änderungen aber konsequent – fort, den sie auf Black Cascade (2009) ausgelotet haben. Aber warum auch Experimente wagen, wenn es auf den mittlerweile beschrittenen Pfaden noch so viel zu entdecken gibt?

Celestial Lineage flirtet noch intensiver mit dem Postrock, als dies der Vorgänger tat. Neben dem progressiven Zug ist es vor allem der Hang zum Ambient Sound, der noch intensiver zur Geltung kommt. Selten klang harter Black Metal so anschmiegsam wie auf Celestial Lineage. Dadurch präsentieren sich Wolves in the Throne Room in ihrer schwarzen Träumerei beinahe als Antithese zu anderen Verfechtern der New Dark Music wie Sunn 0))). Das bedeutet aber keineswegs, dass es hier nicht metallen – und vor allem dicht – zur Sache geht. Die Wölfe spielen immer noch atmosphärischen, epischen und tiefen Black Metal. Schwarze Gitarrenwände werden aufgezogen, ein menschliches, außerirdisches Gurgeln kreischt durch die Dunkelheit, Choräle vermählen sich mit dröhnenden Drone-Riff-Attacken… und doch ist es so offensichtlich, dass hieran nichts „böse“ ist. Es scheint fast so als hätten WITTR die Dunkelheit des Genres destiliert, die Atmosphäre und das Mystische, um daraus eine ganz eigene Version der eigentlich unheilschwangeren Musik zu schaffen… aber eben nicht unheilschwanger. Statt der Dämonen thronen Waldgeister auf dem monumentalen Soundgerüst, statt rohem Fleisch wird uns verkohltes Stockbrot gereicht… und im Vollmond zu heulen, besitzt auch immer eine gewisse Romantik, ja sogar ein Stück natürlicher Lebensfreude. Das mag hin und wieder zu sehr in den Eso-Kitsch abdriften, zu transzendental stilisiert sein, ist aber allemal faszinierend und mitreißend.

Damit sind die Wölfe vom monumentalen Breitwand-Satanismus à la Dimmu Borgir ebenso weit entfernt wie von der aggressiv eklektischen Prog/Drone-Bastardisierung via Sunn 0))), aber eben auch der depressiven Ambient-Resignation Xasthurs… Nein, Wolves in the Throne Room sind auf ihrem eigenen Weg: Durch eine ungeheure Organik, eine tief empfundene, leidenschaftliche Verbundenheit mit den Urkräften, durch Härte, die sich dennoch sanft ins Ohr des Hörers schmiegt. Das mag nach Black Cascade weder überraschen noch einen zweiten Innovationspreis gewinnen, klingt aber nach wie vor verdammt gut und gehört zu den gelungensten Beweisen dieser Jahre, dass Black Metal weder tot ist noch unangenehm riecht.

Mastodon – The Hunter

(Roadrunner, 23.09.2011)

Yeah! Ich weiß gar nicht, warum ich bis dato so gut wie gar nichts mit Mastodon anfangen konnte, aber nach dem mehrwöchigen Genuss von The Hunter sollte ich meine Meinung diesbezüglich noch einmal überdenken und vielleicht doch den Vorgängern eine erneute Chance geben. Das neuste Werk der langsam zähnefletschenden Death Progger ist ein sattes eklektisches Metal-Monstrum, wie es vielseitiger nicht sein könnte. Statt wälzenden Doom-Epen, die doch nie die Klasse von Neurosis erreichen konnten, wird dieses Mal drauf los gekämpft, als gäbe es keinen Morgen. Und in diesem Kampf sind alle stilistischen Waffen erlaubt: Blues? Ja verdammt, Mastodon haben den Blues entdeckt. Denn auch in der Apocalypse scheint Platz für einen Whiskey im staubigen Wüstensand zu sein. Und damit wären wir gleich beim nächsten Thema. Desert Rock? Nur her damit. Troy Sanders scheint mit seinem zähen, harten aber auch hedonistischen Spiel gerade aus der Lehre von Kyuss zu kommen. Hard Rock Pathos? Warum nicht. Die Choräle dürfen ruhig ein wenig kräftiger zum Weltuntergang blasen, so lange der Spaß an der Apokalypse nicht verloren geht.

Das Faszinierende an all dem: Trotz der unendlichen Breite, dem forschen Zitat von Genre, Band, Stil, trotz des hemmungslosen Eklektizismus ist The Hunter äußerst rund geworden. Kein abrupter Genrewechsel stört den fließenden Metal-Strom, kein Ausflug Richtung Rock N Roll, Prog, Doom und Blues kann den Lauf dieses Biestes stoppen. Dieses schleppt sich aber nicht mehr so zäh nach vorne wie früher, sondern lässt sich Raum und Zeit auch mal wild zu berserkern, mal nach links und rechts zu schauen, oder auch einfach mal kurz stehen zu bleiben. Mastodon gelingt es endlich ihren Hang zur Monotonie und den gleichzeitigen Mut zum Experiment geschickt unter einen Hut zu bringen, ohne dass es langweilig klingen würde. Vielleicht auch gerade weil The Hunter im Gegensatz zu den schweren, schwermütigen Vorgängern kein Opus Magnum sein will… Es will rocken. Und das tut es dann auch ganz gewaltig. Gewalttätig. Mit dem Mut der Verzweiflung, mit tonnenschweren Riffs und viel Weltuntergangsstimmung bewaffnet. Gefällt, hält an und bringt mich dazu den Vorgängern doch nochmal ne Chance zu geben. Mal sehen, was dabei rauskommt.

Dream Theater – A dramatic Turn of Events

(Roadrunner, 09.09.2011)

Irgendwie hat man als Rezensent immer das Gefühl, dass man zum neusten Dream Theater Album unglaublich viel schreiben müsste, um die eigene Meinung auch detailliert genug begründen zu können… vollkommen unabhängig, ob man das letzte Werk der Progressive Metal Veteranen nun göttlich oder öde findet. Pech gehabt: Zum aktuellen Album A dramatic Turn of Events fällt mir nämlich tatsächlich relativ wenig ein. Okay, es gibt einen Wechsel: Mike Portnoy ist weg. Hört man das den Percussions an? Eher weniger. Wie auf jedem Album der Prog-Metaller klingen die Drums satt, verspielt, mit Hang zum Exzessiven bis hin zur Selbstverliebtheit. Dann lässt sich der neue Kollektivismus Dank des Wegfalls des Leitwolfes schon eher im Songwriting erspähen. Dieses ist nämlich für Dream Theater Verhältnisse relativ erden: Weniger musikalisch-intellektuelle Herausforderung, mehr Pathos; weniger Hirn mehr Herz.

Mit ihrem teilweisen Ausbruch aus den Prog-Metal-Strukturen hin zum Symphonischen hat die neue Dream Theater auf jeden Fall stellenweise fast schon etwas von einer Power Metal Platte. Viel Fantasy-Brimborium schiebt sich hinter die luftigen Riffs. Das treibende Spiel nach vorne wird weniger von musiktheoretischen Exkursionen als viel mehr von pathetischen Höhenflügen durchbrochen, und Jame LaBrie klingt mitunter, als wolle er viele Menschen im kollektiven Rausch vereinen. Das regt nicht sonderlich auf, langweilt nicht sonderlich, macht nicht sonderlich wütend… und passt erschreckend gut zu dem ansonsten wohl bekannten Dream Theater Sound. Wie gesagt: Viel fällt mir nicht dazu ein. Dream Theater sind eben Dream Theater sind eben Dream Theater: Mit oder ohne Portnoy. A dramatic Turn of events gehört zu ihren besseren, solideren Alben, ist aber zugleich auch viel zu oft viel zu dicht am Hard Rock- und Power Metal-Kitsch gebaut und hat mich dementsprechend als Freund ihrer „progressiven“ Seite tendenziell kalt gelassen. Metal-Heads, denen Dream Theater immer ein Stück zu selbstverliebt und zu verfrickelt waren, dürften mit dem 2011er Output aber eines ihrer potentiellen Lieblingswerke der geliebten und gehassten Band in den Händen halten.

Bands/Künstler_Innen: Dream Theater, Machine Head, Mastodon, Opeth, Wolves in the Throne Room, | Genres: Alternative Metal, Black Metal, Death Metal, Doom Metal, Metal, Progressive Metal, Progressive Rock, Rock, Thrash Metal, | Jahrzehnt: 2010er,


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