Die besten Grunge Alben der 90er Jahre III: Oh well, whatever, never mind

Da sind wir. 1991. Und die Rocklandschaft wird nie mehr die selbe sein. Es wurde schon so viel über Nirvana, den Hype um Nevermind und die Peak Grunge Zeit geschrieben, dass es schwer fällt, etwas neues zu finden. Also – auch wenn das alles andere als neu ist – versuche ich es mit etwas Persönlichem. Ich war wahrscheinlich so um die zehn Jahre und tatsächlich war das Jahr 1991 schon vorbei. Für mich war „Grunge“ noch nichts, ein Wort, das eher nach leckerem Müsli als nach einer harten, dreckigen Rock N Roll Spielart klingt. Viel wichtiger für mich war die Tatsache, dass dies das Jahr sein sollte in dem wir endlich (damals noch voll analog) Kabelfernsehen bekamen. Eine neue Welt für mich: Glücksrad, Der Preis ist heiß, billige 80er Actionfilme… und MTV. Vor allem MTV. Ziemlich schnell kam ich trotz Sprachbarriere auf den Trichter, dass dort der heiße Scheiß stattfindet, der an mich als Zielgruppe gerichtet war. Und vielleicht ist es ein ganz gutes Zeichen für die Diversität des damaligen Musikfernsehens, dass es eben wirklich unterschiedliche Videos waren, die meine Aufmerksamkeit auf sich zogen: Ich erinnere wohlige Schauer bei „No son of mine“ von Genesis ebenso wie meine wackelnden Hüften bei Michael Jacksons „Black or White“ oder Headbangen zu Metallicas „Sad but true“… Und doch, ein Musikvideo stach besonders heraus. Man verklärt ja gerne in der Rückschau, aber ich könnte schwören, dass ich das Gefühl hatte, dass „Smells like Teen Spirit“ etwas Anderes, etwas Besonderes war, obwohl so viel damals neu und ungewohnt schien. Diese Mischung aus Hedonismus, Verzweiflung, Teenage Angst… diese nicht zu bändigende Energie vermischt mit Outsider-Romantik und Rebellentum. In seiner wirklich kurzen Peakzeit hat der Grunge nicht nur Dank Nevermind und dessen Openers die Musikwelt erschüttert und verändert. Und daher auch Zustimmung zu allen, die behaupten, das Rockjahrzehnt begänne mit diesem Album oder gar mit diesem Song. Grunge wurde hier zwar nicht geboren aber zu Mainstream, und was folgte war eine unglaubliche Hochzeit des Genres. Und die besten Alben dieser Hochzeit waren…

Nirvana – Nevermind

(DGC, 1991)

Nevermind… natürlich Nevermind. Das zweite Album von Nirvana, dass aller Kritik am Hype zum Trotz einfach mal eine fantastische LP ist. Es gibt einfach solche Jahrhundertalben, die auch heute noch beim Hören Note für Note unter Beweis stellen, warum sie für die Ewigkeit gemacht sind. Wahrscheinlich immer nur eine Hand voll pro Dekade, und Nevermind gehört in diesem Fall zweifellos dazu. Die laute Hingabe von „Smells like Teen Spirit“, die Verzweiflung von „Lithium“, das introspektive Moment von „Something in the way“… Nevermind verbindet auf kongeniale Weise Metal und Punk, Rock N Roll Energie und jugendliche Fragilität. Das Album ist ebenso Pop wie es Indie ist, bereit große Hallen zu füllen und zugleich im kleinen Teenagerköpfe und -herzen zu sprengen. Eine kongeniale Mischung aus eingängigen Hooks und radikaler Energie, die trotz aller Kompatibilität zum Mainstream kaum etwas an der Raunchyness des klassischen Grunges eingebüßt hat. Kann heute noch genau so weggehört werden wie damals. Auch ohne jegliche nostalgische Verbindung und Verklärung.

Hole – Pretty on the Inside

(Caroline , 1991)

Wem Nirvana auf Nevermind zu sehr Pop geworden sind, der sollte unbedingt in Holes Debütalbum „Pretty on the Inside“ reinhören, das praktisch zur gleichen Zeit veröffentlicht wurde. Vor allem Dank der markanten Stimme von Courtney Love ist Pretty on the Inside deutlich mehr im Punk verwurzelt als viele der MTV-affinen Grunge-Alben, die um die Jahre 1991 und 1992 veröffentlicht wurden. Love schreit sich hier in jedem Song die Seele aus dem Leib, begleitet von schrammelnden Gitarren und wüsten Percussionattacken. Pretty on the Inside ist ein Monstrum von einem Album, scheint sich in einem einzigen Wut- und Verzweiflungsfluss zu befinden. Dabei gehen sowohl Sound als auch Lyrics aber einen anderen Weg als viele Teenage Angst und Anger Kompositionen der Zeit. Nicht nur Dank der ambivalenten, vielschichtigen Texte ist Loves Debüt um einiges reifer und erwachsener als die Konkurrenz. Natürlich finden sich hier viele Momente von Nirvanas Bleach wieder. Pretty on the inside ist nicht nur inspiriert von Kurt Cobains erster LP, sondern orientiert sich teilweise fast schon sklavisch an dessen Klang und Atmosphäre, gewinnt dessen Rohheit aber durch seinen erwachsenen Habitus sehr viel Tiefe ab, ohne dabei an Wut einzubüßen.

Pearl Jam – Ten

(Epic, 1991)

Am anderen Ende des Spektrums des Seattle Sounds steht Pearl Jams Debütalbum Ten. Wo Nirvana und Hole sich an Punk und Metal orientieren, sind die Nachfolger der retrospektiv viel gefeierten Mother Love Bone vor allem im traditionellen 70er Jahre Hard Rock unterwegs, inklusive stadiontauglichem Pathos und romantischer Bedeutungsschwere. Auch hier ist es wieder eine Stimme, die der Band einen einzigartigen Klang verleiht: Eddie Vedders Bariton hat einen ganz eigenen Charakter und auch ein ganz eigenes Charisma, das leider in der Folgezeit von den Post-Grunge-Jüngern viel zu oft kopiert wurde. Oft mit Jim Morrison verglichen ist Vedder weniger auf der psychedelischen als viel mehr auf der harmonischen Seite des Hard Rock Spektrums unterwegs als das große Vorbild. Auch die ihn begleitenden Instrumente versprühen eine unheimlich geerdete Aura, obwohl sie durchaus zu psychedelischen, abgehobenen Eskapaden in der Lage sind. So klingt Pearl Jam bisweilen wie der Grunge Rock des kleinen Mannes, der sich an traditionellem Rock N Roll und Heavy Metal orientiert, dann wiederum kommen ihre epischen Hymnen nachdenklich und abstrakt daher. Eine äußerst attraktive, durchaus mainstreamtaugliche Mischung, die Pearl Jam zu Darlings des frühen 90er Jahre Hard Rock machte, während die Seattle Szene sie eher mit Misstrauen und sogar purer Abscheu betrachtete.

Temple of the Dog – Temple of the Dog

(A&M, 1991)

Wenn wir schon von Pearl Jam reden, kommen wir natürlich an deren Quasi-Vorgänger Temple of the Dog nicht vorbei. Diese sind so etwas wie die Supergroup der Grunge-Szene: Mit Soundgarden-Sänger Chris Cornell, Green River Gitarrist Stone Gossard, Jeff Ament der zusätzlich noch mit Mother Love Bone unterwegs war, Mike McCready (Pearl Jam), Matt Cameron (Soundgarden) scheint hier alles dabei zu sein, was in Seattle Rang und Namen hat. Auch Eddie Vedder durfte für einige Lead und Back Vocals dabei sein. Entsprechend divers kommt die einzige LP der Gruppe daher, mal in psychedelischen Gewässern tauchend, mal handfesten melodischen Grunge Metal nach vorne peitschend, mit Blues, Folk, Hard Rock, aber auch Noise und Punk spielend. Temple of the Dog ist auch ein wenig der spröde Zwillingsbruder von Ten, vielleicht auch ein wenig der etwas progressivere Zwillingsbruder von Badmotorfinger, allerdings nicht mit dem Erfolg der anderen gesegnet. Erst posthum, Dank der Popularität von Pearl Jam, sollte das Album die Aufmerksamkeit erhalten, die es verdient hat.

Soundgarden – Badmotorfinger

(A&M, 1991)

Es ist schon erstaunlich, wenn man überlegt, dass es sich bei Badmotorfinger um das bereits dritte Album der Seattler Band Soundgarden handelt. In der Tat sind die Mannen um Chris Cornell dann auch – ganz ähnlich wie Alice in Chains – so ein wenig reingerutscht in die gesamte Grunge-Szene, nachdem sie in den 80ern vor allem für ihre traditionsbewusste Mischung aus Hard Rock und Heavy Metal bekannt geworden sind. Nachdem sich Cornell mit Temple of the Dog ausgetobt und der verstorbenen Grunge-Legende Andrew Wood Tribut gezollt hatte, finden sich im „Louder than Love“-Nachfolger deutlich mehr Einflüsse des Grunge als in früheren Veröffentlichungen der Band. Badmotorfinger atmet die Schwere von Black Sabbath, die komplexe Rock N Roll Attitüde von Led Zeppelin, greift aber auch auf das reichhaltige emotionale Repertoire des punkigen und grungigen Underground zurück: Bei allem Hard Rock Eifer scheut sich Badmotorfinger nicht, auch mal Gefühle zu zeigen, emotional aufbrausend oder gar melancholisch zu werden. Ein wichtiger Schritt für die Band, die diese Stoßrichtung auf dem Nachfolger Superunknown noch einmal verstärken sollte.

Tad – 8-Way Santa

(Sub Pop, 1991)

Ihr wollt auch im Jahre Neverminds die schmutzigste, räudigste Seite des Grunges? Dann ist 8-Way Santa genau das richtige Album für euch. Tad, die in den Jahren zuvor mit Nirvana auf Tour waren, spielen hier eine dreckige, rohe und streetsmarte Version des Seattle Sounds, die irgendwo zwischen frühen Nirvana und Melvins oszilliert. Vor allem das mächtige Organ von Sänger Tad Doyle sorgt für den ganz eigenen Klang dieses verlotterten Albenwüstlings: Doyle brüllt und röhrt sich durch tonnenschwere von düsteren Riffs dominierte Songs, die ne Menge Testosteron an Bord zu haben scheinen. Aber trotz dieser sehr geerdeten Attitüde gelingt es Tad auch immer hypnotische Momente in ihre Soundlandschaften einfließen zu lassen. Bei allem Gerotze und Gekeife ist es gerade die Schwere der einzelnen Stücke, die 8-Way Santa zu einem mitreißenden, zähen Mahlstrom werden lassen, der auch immer wieder Richtung Doom Metal weist. Das ist dann eben doch nicht nur ein roher Slacker sondern mindestens ebenso eine meditative Reise in die Abgründe der Generation X, in die Verlorenheit, die in all dem schmutzigen Vergnügen versteckt liegt.

L7 – Bricks are heavy

(Slash, 1992)

Das dritte Album der Genre-Größen L7 ist zumindest von seiner Stoßrichtung ganz nah dran, an dem was Nirvana mit Nevermind gelungen ist. Bricks are heavy versucht den Spagat zwischen Punk, Metal und Pop, und Donita Sparks, Suzi Gardner, Jennifer Finch und Demetra Plakas haben dafür gleich ne ganze Menge eingängiger Hooklines mitgebracht. Und so ist das Album dann auch deutlich weniger Street Punk und Metal als sein Vorgänger, deutlich weniger Wut, Aggression und Unmut, dafür deutlich mehr Verspieltheit, Charme und Charisma. In ihren melodischeren Momenten erinnern L7 hier an die Ramones, lassen aber auch Post Punk und New Wave durchscheinen. Das wirkt vielleicht nicht ganz so mitreißend aggressiv wie auf dem wahnwitzigen Vorgänger Smell the Magic, dafür aber aufgeräumter und auch irgendwie progressiver. L7 haben auf jeden Fall sichtlich Spaß an diesem Bastard aus Underground und MTV, und es wirkt schon ziemlich ungerecht, das nicht wenigstens ein großer Charterfolg dabei herausgesprungen ist.

Love Battery – Dayglo

(Sub Pop, 1992)

Tja, so ist es nunmal mit Genre-Hypes. Ist man zur falschen Zeit in der falschen Region beim falschen Label wird man in die Peer Group und den Kanon aufgenommen. Ob Love Battery als Grunge bezeichnet werden sollten… who knows. Auf jeden Fall waren sie da und haben eines der spannendsten Alternative Rock Alben der Zeit aufgenommen. In ihrer psychedelischen Aura kommen sie auf Dayglo jedenfalls deutlich anschmiegsamer und epischer als ihre Zeitgenossen daher, die Einflüsse liegen weniger im Metal, Hard Rock und Punk als viel mehr im verspielten Post Punk und Indie Rock der 80er Jahre, auch mit leicht britischem Einschlag versehen, mit Spaß am Experiment und an den großen Melodien. Fast glaubt man mitunter eine Underground Version von U2 hier vor sich zu haben, vielleicht sogar eine Neuinterpretation der raueren Beatles-Nummern, in jedem Fall spürt man aber, dass Love Battery deutlich „erwachsener“ klingen als andere Bands der Szene. Und trotzdem tut es nicht weh, sie in eine Reihe mit Nirvana, L7 und Soundgarden zu stellen, beweist ihr Debüt doch, wie vielschichtig der Grunge sein kann, und wie weit er dazu in der Lage ist, sich von zerrissenen Jeans und Holzfällerhemden weg zu bewegen.

Bands/Künstler_Innen: Hole, L7, Love Battery, Nirvana, Pearl Jam, Soundgarden, Tad, Temple of the Dog, | Genres: Alternative Rock, Grunge, Psychedelic, Punkrock, Rock, | Jahrzehnt: 1990er,


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