Die besten Punk-Rock-Alben der 90er Jahre II (Noch mehr Melodycore)

Kennt man ja… die musikalische Hype-Karawane zieht weiter und hinterlässt ein deprimiertes Genre, das allenfalls für die Geschichtsbücher und überambitionierte Best-of-Listen zu taugen scheint. Mit dem Hype des Emos wurde der Melodycore von seinen eigenen Kindern gefressen und scheint heute eher als Randnotiz der Rock-Geschichte weiterzuleben. Aber scheiße, hat uns dieses Genre großartige Alben gebracht. Die gibts auch in diesem Artikel in rougher Zeitreiseform ins Jahr 1995 (das anscheinend, wie mir jetzt gerade auffällt, DAS Jahr für den melodischen Hardcore war): Wieder einmal mit viel Kalifornien, wieder einmal mit viel Fat Wreck Chords und wieder einmal zwischen den Stühlen von Punk, Hardcore und Pop. Früher war halt doch alles besser…

Lagwagon – Hoss

(Fat Wreck 1995)

Gar nicht so einfach, bei all den Bands, die über Fat Mikes Fat Wreck Records gefeatured wurden, den Überblick zu behalten. Lagwagon gehören aber definitiv zu den besten Ausgeburten des California Punk Labels. Die Quasi-Ziehsöhne des NOFX-Frontmanns spielen astreinen Surf Punk, der allerdings insbesondere auf Hoss mit einer Menge fast schon klassischem Rock N Roll angereichert wird und sich dadurch deutlich von dem Pop Punk Trend vieler 90er Bands abhebt. Das Album, das vom Bonanza-Dickerchen Hoss geziert wird, rockt im besten Sinne des Wortes melodisch nach vorne, ist vollgepackt mit Hits und Ohrwürmern und findet eine gekonnte Balance zwischen melodischem Punk, ernstem Rock und augenzwinkerndem Punk Rock direkt von der Westküste: Kein Verrat der Roots und dennoch eine eigenständige, unabhängige Weiterentwicklung des eigenen Punkbegriffs.

Rancid – …And out come the wolves

(Epitaph 1995)

Punk goes MTV goes Billboard… and kicks asses. Rancids dritter Geniestreich …And out comes the wolves ist ein Musterbeispiel dafür, wie straighter Punk Rock aus der Melodycore-Ecke mit einem guten Schuss Nostalgie angereichert und den richtigen treffsicheren Hooklines zum veritablen Hit werden kann. Im Fall Rancids ist es fast schon erstaunlich, dass ausgerechnet diese LP zum großen Mainstream-Opener werden sollte. Denn so eingängig die kleinen Punk-Hymnen auf der Wolfscheibe auch sind, so konsequent und kompromisslos pflegen Rancid hier ihre Mischung aus Altem und Neuem, aus klassischem Punk der Marke Clash und modernem Melodycore der Marke Kalifornien. Radiokompatibel klingt das dann tatsächlich nicht immer, dafür aber umso leidenschaftlicher und mitreißender. …And out comes the wolves ist ein Wolf im Wolfspelz, dem auch das Radio-Gemähe nichts anhaben kann, der schlicht und einfach seinen Punk durchzieht, selbst wenn er damit – zufälligerweise – ein Millionenpublikum erreicht: Wunderbar out of place, wunderbar out of date, wunderbar out of time… und damit locker in den Top 10 der besten Rock-Alben des Jahrzehnts und darüber hinaus.

No Fun At All – Out of Bounds

(Burning Heart, 1995)

Und noch einmal über den Teich, ab ins kalte Skandinavien, das in den 90ern mit so mancher heißblütiger Punk-Veröffentlichung überraschen konnte. No Fun At All spielen auf Out of Bounds schnellen, grunge-bewegten Skate Punk, der sie zu der europäischen Alternative für amerikanische Bands wie Offspring werden lässt. Ähnlich wie die Vorbilder aus Übersee steckt auch der schwedische Sound voller Energie und Hingabe an grenzenlosen Rock N Roll. Punk, Ska, Alternative verbinden sich zu einem schnellen, hyperventilierenden Melodycore-Bastard, der unerwartet ernst daherkommt, mitunter sogar düster, und dennoch sowohl das europäische als auch amerikanische Punker-Herz perfekt unterhalten kann. No fun at all? Thats a lie!

No use for a name – ¡Leche con Carne!

(Fat Wreck 1995)

So ganz konnten No Use for a Name ihre Hardcore Herkunft nie ablegen, auch wenn sie sich seit Beginn der 90er unter Fat Wreck im Melodycore-Rummel sichtlich wohlfühlen. ¡Leche con Carne! ist wahrscheinlich das Album, in dem sie ihre Liebe zum traditionellen Core mit dem in den 90ern so populären melodischen Punk am besten kreuzen: Ein aggressives, energisches Album, das sich immer wieder Ausflüge in herausgespuckten Hardcore der 80er Schule erlaubt, aber auch immer wieder sanft im kalifornischen Skate Punk Rock landet. So ist ¡Leche con Carne! weitaus aggressiver, weitaus weniger gefällig als seine Label-Kollegen und bringt die Wut aufs Parkett, die im Zeitalter des Pop Punk leider viel zu oft vermisst wurde: Feuer unterm Arsch der Westküste und essentiell für jede gut sortierte 90er Punk-Sammlung. PS.: Allein für den unfassbar großen Mashup Bastard Pop Punk Hidden Track lohnt sich dieses Teil schon.

Less than Jake – Pezcore

(Dill 1995)

Wer hat eigentlich behauptet, dass es immer die Westküste sein muss? Die aus Florida stammenden Less than Jake spielen fantastischen Ska Punk, der sich nicht vor den Kollegen der Westküste verstecken muss. Ob das ganze mit derart vielen Bläsern und Ska-Rhythmen ausgestattet überhaupt noch als Melodycore durchgeht? Keine Ahnung. Und ja, ich weiß, eigentlich gäbe es wahrscheinlich genug Material für einen eigenen Ska-Punk-Artikel, aber das Genre ist in meiner jugendlichen Ignoranz damals fast komplett an mir vorbeigegangen. Less Than Jake nicht: Mit fetten schnellen Sounds und unfassbar vitalen Songs peitschen sich die Ostküstler ins Herz eines jeden Punkrockers, versenken ihren Rock N Roll in einem hammerharten Big Band Chaos und landen mit grandiosen Ohrwürmern doch immer wieder auf den Füßen. Fetzt!

Good Riddance – For God and Country

(Fat Wreck Chords, 1995)

Und zum Abschluss nochmal die politische Seite des Melodic Cores. Good Riddance kommen Dank ihrer politischen Schlagseite deutlich reifer und smarter daher als viele Fat Wreck Epigonen der damaligen Zeit. Natürlich sind auch hier die Referenzen Bad Religion und NOFX jeder Zeile und jedem Akkord eingeschrieben, Good Riddance gelingt es aber, ihre melodischen Punk-Hymnen mit so viel Herzblut, so viel Leidenschaft und Intensität anzureichern, dass sie deutlich rougher und authentischer rüberkommen als so manch anderer Punker damaligen Zeit. Trotzdem ist es hier nicht nur die Message, die im Vordergrund steht, sondern ebenso die simple aber effektive Melodie, der Rausch der Geschwindigkeit und die Energie, die direkt zum wilden Hüpfen und Pogen einlädt. Zum Durchspielen des Fat Wreck Chord Katalogs eine unentbehrliche Scheibe.

Bands/Künstler_Innen: Good Riddance, Lagwagon, Less than Jake, No Fun At All, No use for a name, Rancid, | Genres: Punkrock, Rock, | Jahrzehnt: 1990er,


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