Die besten Grunge Alben der 90er Jahre VII – Was danach geschah…

Der Schlusspunkt des Grunges wird gemeinhin Ende des Jahres 1994 verortet: Nach dem Tod Kurt Cobains im Sommer dieses Jahres, nach Veröffentlichung der Unplugged in New York und nachdem der Alternative Rock begann auf neuen Pfaden zu wandeln. Gerne wird dabei ja auch über die Kurzlebigkeit des in Seattle entstandenen Genres resümiert. Unabhängig davon, dass er mit seinem 1995er Schlusspunkt stolze vier Jahre in den 90ern präsent war (und darüber hinaus noch ein paar Jahre davor in den 80ern), stimmt dies allein schon deswegen nicht, weil auch danach noch so manches Album erschienen ist, das dem Grunge gut zu Gesicht steht. Genregrößen produzierten hervorragende Grunge-Spätwerke, die „Verlorenen“ des Booms orientierten sich neu, teils in neuen Bands, teils mit progressiveren Sounds, und dann gab es auch noch die Nachzügler, die Late-Bloomer und die Jugend, die sich aus allen Teilen der Welt vom Grunge inspirieren ließ. Deren Veröffentlichungen soll dieser letzte – nun wirklich allerletzte – Grunge-Artikel gewidmet sein. Es gibt jugendlich Ungestümes von Silverchair, experimentell Introspektives von Pearl Jam, Nirvana-Exegese von den Foo Fighters und Bush… und so manches darüber hinaus.

Foo Fighters – Foo Fighters

(Roswell, Capitol, 1995)

Nirvana-Drummer Dave Grohl bezeichnet die Aufnahme des im Sommer 1995 veröffentlichten Debütalbums seiner neuen Band Foo Fighters als kathartischen Prozess. Bereits während der Touren mit Nirvana hatte Grohl sein eigenes Material geschrieben, war aber immer zu schüchtern gewesen, diese seinen Bandfreunden zu präsentieren. In einem nahezu größenwahnsinnigen Schaffenseifer spielte und produzierte er diese Stücke 1994 in bester DIY-Manier in den Robert Lang Studios in Seattle. Der Name Foo Fighters und die anderen Bandmitglieder kamen erst später dazu, und so spürt man in diesem ersten Album noch sehr das Erbe Nirvanas. Foo Fighters steckt voller dichter und lauter Grunge-Hymnen, die sich konzeptionell leicht mit den Songs auf Nevermind vergleichen lassen. Und doch hat das Album auch seinen eigenen Charakter: Die impulsiven, beinahe improvisiert wirkenden Lyrics, der Wandel zwischen Nachdenklichkeit und schierer Energie, das Befreiungsmomentum des oft erstaunlich zufrieden klingenden Grohls. Und natürlich die Tatsache, dass aus dieser musikalischen Katharsis eine echte Band entstehen sollte, die bis zum heutigen Tage Alben veröffentlicht und das Nirvana-Erbe längst hinter sich gelassen hat. Die beiden anderen 90er Outputs der Band – The Colour and the Shape (1997) sowie There Is Nothing Left to Lose (1999) – sind ebenfalls durch die Bank hörenswert. Wer aber noch das reine Grunge-Gefühl haben will, sollte unbedingt zum Debüt greifen.

Bush – Razorblade Suitcase

(Trauma, Interscope, 1996)

Jeder sollte wenigstens eine Band haben, die er extrem schätzt und die alle anderen so „meehh“ oder sogar „richtig doof“ finden. In meinem Fall könnte das Bush sein. Seit ihrem Debüt im Jahre 1994 wurde der Band um Sänger Gavin Rossdale und Gitarrist Chris Traynor vorgeworfen, wie bloße Nirvana-Epigonen zu klingen. Wurde dieser Umstand beim Debüt der Londoner – Sixteen Stone (1994) – noch belächelt, bekamen sie in der Folgezeit den ganzen Hass der Seattle-Nostalgiker ab. Manche Musiksnobs sehen in den Outputs der Briten sogar die Post Grunge Ursünde, die direkt zu Bands wie Nickelback und Creed führt. Ich habe diese Ablehnung nie verstanden. Klar, in vielen Momenten klingt Razorblade Suitcase schon nach Seattle-Sound von der Insel, Bush haben aber doch so manche Eigenheit, die sie von den amerikanischen Geschwistern unterscheidet. Wo in Seattle oft ungestüme Emotionen am Werk waren, klingen Bush deutlich kontrollierter, mitunter auch kühler, in den besten Momenten, als ginge es um eine Verbrüderung von Post Punk und Grunge, ohne dicke Hose, ohne Metal Gestus, dafür aber mit viel Präzision und dichtem Pop Appeal. Razorblade Suitcase ist eben nicht nur Nirvana-Exegese, sondern ebenso ein Blick nach Vorne, ein Versuch, Grunge in andere Richtungen weiterzuführen und irgendwie ein sinnvolles Danach zu kreieren. Ja, mein Gott, dann nennt das meinetwegen Post Grunge. Das Album ist jedenfalls voll mit rockigen Ohrwürmern, mitreißenden Hymnen und definitiv deutlich besser als sein Ruf.

Silverchair – Freak Show

(Murmur, 1997)

Die nächsten internationalen Seattle Epigonen, in diesem Fall wirklich vom anderen Ende der Welt, aus Australien. Aber bevor wir an dieser Stelle mit Plagiatsvorwürfen weitermachen, können wir einmal kurz festhalten, dass die hier vertretenen Musiker während der Produktion von Freak Show gerade einmal fucking 17 years old waren. Und nicht nur das, Freak Show ist nicht mal ein Debüt sondern der Nachfolger des bereits 1995 veröffentlichten Frogstomp. Jepp, Frontmann Daniel Johns hat bereits im Alter von 15 Jahren Songs aufgenommen, für die auch so mancher Zwanzigjährige töten würde. Hört man Frogstomp seine jugendliche Ungeduld noch sehr an, so klingt Freak Show schon deutlich reifer und abgeklärter als der erste Silverchair’sche LP-Entwurf. Man muss aber wirklich nicht das Alter der Besetzung dieser Grunge Boyband (*sorry for that) heranziehen, um von Freak Show begeistert zu sein. Was wir hier hören, ist ein wilder, wütender und auch melancholischer Mix aus allem was Teenage Angst, Teenage Zorn und Teenage Rebellion hergeben. Nicht nur Dank der tatsächlichen Jugend der Protagonisten deutlich authentischer als so manches Grunge-Spätwerk von satten, erwachsenen Künstlern. Und mit ihrem Nachfolger Neon Ballroom sollten sie sich dann auch noch gekonnt vom Grunge-Erbe lösen und wirklich epischen, runden Alternative Rock aufs Parkett legen. Aber dazu später mehr…

Screaming Trees – Dust

(Epic, 1996)

Da haben wir doch auch schon so eine alte, traditionelle – vielleicht auch ein wenig satte – Band. Dust ist neben dem Grunge-Frühwerk Uncle Anesthesia (1991) wahrscheinlich das beste Album der Band, die immer schon ein wenig die traditionelle Rock-Seite der Seattler Szene repräsentiert hat. Auf ihrem Spätwerk widmen sie sich nun bluesigeren und folkigeren Themen. Dust ist weit weg vom Punk und vom Metal, sucht weniger den Zorn als mehr die Melancholie und Verträumtheit in ihren harten und zugleich eingängigen Rockklängen. Dadurch wird Dust fast so etwas wie die Adult Rock Seite des Grunges, eben vielleicht auch für alle Hörer*Innen, die ein wenig gesättigt sind vom rebellischen und wutschnaubenden Moment des Grunge.

Mudhoney – My Brother the Cow

(Reprise, 1995)

Während andere Bands die gesamten 90er Jahre versuchten, sich neu zu entdecken, sich selbst zu finden und auf irgendeine Weise dem Grunge-Hype zu entkommen und ihn gleichzeitig für sich zu nutzen, haben Mudhoney einfach Mal starkes Album nach starkem Album rausgehauen und dabei immer einfach nach Mudhoney geklungen. Vielleicht kommt es den LPs, auch nach dem Niedergang des Grunge, zu Gute, dass Mudhoney in der Seattler Szene zwar populär waren, darüber hinaus aber nie die MTV-Aufmerksamkeit genossen wie ihre Kollegen. My Brother the Cow ist wie schon die Alben zuvor ein unglaublich starkes Stück dreckiger Grunge Rock, irgendwo zwischen Noise Rock, Punk und vorsichtig eingewobenen Metal-Momenten. Es macht Spaß, weil es konsequent das durchzieht, was Mudhoney auch auf den Vorgängern ausgezeichnet hat, Musik von und für Seattle-Nerds, die den Rock N Roll lieben und atmen. Bei Veröffentlichung sorgte die LP für einen kleinen Skandal, weil Courtney Love glaubte, in dem Text von „Into Yer Shtik“ eine Auseinandersetzung mit ihrer Person wiederzufinden. Trotz schwacher Verkaufszahlen und negativer Reaktionen der Musikpresse ist My Brother the Cow auch heute noch ein starkes Stück zeitgeistloser Grunge, der deutlich besser gealtert ist als die Konkurrenz.

L7 – Hungry for stink

(Reprise, 1994)

Wo wir gerade bei konstant hoher Qualität und Zeitgeistlosigkeit sind, muss ich doch noch schnell ein Album raushauen, das eigentlich im letzten Artikel Platz hätte finden sollen. Aber das macht auch diesen Wutbrocken „Hungry for stink“ aus, das er im Jahr 1994 stattgefunden hat, aber in dieser Form ebenso in die Folgejahre passen würde… oder die Frühzeit des Genres. Donita Sparks und ihre Gesellinnen beweisen, dass Grunge unabhängig vom Kontext immer wütend, laut, kaputt und grungy klingen kann. Dass es keine Trends, keine Charterfolge, keinen Hype – aber auch keinen Underground – braucht, um mit dreckigen Punkhymnen ordentlich in den Arsch zu treten. Nach „Smell the Magic“ und „Bricks are heavy“ der dritte fantastische 90er Output der L.A. Punks zwischen Grunge und Riot grrrl.

Pearl Jam – No Code

(Epic, 1996)

Okay… let’s talk about Pearl Jam. Again. And again and again and again. Ladies and Gentlemen, hier haben wir es wahrscheinlich vor uns: Nicht nur das am meisten unterschätzte, sondern auch das vermutlich beste Album der Seattler Rockgrößen. Nachdem die letzten Alben, jedes auf seine Weise, versuchten, dem Image von Pearl Jam als Stadionrocker der Seattler Szene etwas entgegenzusetzen, ist No Code wirklich anders. Durch und durch. So manchen Fan ließ das Album damals irritiert zurück, und auch heute noch ist es beeindruckend, wie viel Varianz und Experimentierfreude Pearl Jam hier aus ihrem Sound rausquetschen können. Psychedelic, Blues und Garage Punk sind hier nicht einfach nur Referenzräume, sondern bilden Grundgerüste für die diversen, diversifizierten Songs dieses experimentellen und kratzbürstigen Albums. No Code ist sprödes Experimentierfeld, deutlich weniger in sich geschlossen als Ten, Vs oder Vitalogy, mehr dem einzelnen Element als dem Gesamten verpflichtet, und gerade dadurch ein unheimlich stimmiges Gesamtwerk, das in seiner Konfusion dem Art Rock so nahe ist, wie es Pearl Jam zuvor nie waren und auch nie wieder sein sollten. Und in diesem Rahmen macht es nie auf dicke Hose, sondern bleibt angenehm introspektiv, reflektiert und nachdenklich. Vielleicht am ehesten das Pearl Jam Album für Leute, die mit Pearl Jam nicht so viel anfangen können, und ein starkes Statement für die Vielseitigkeit traditioneller Rockmusik.

10 Minute Warning – 10 Minutes Warning

(Sub Pop, 1998)

Schon irgendwie bezeichnend, dass die Liste der besten Grunge Alben des Jahrzehnts abgeschlossen wird mit einem Werk, dass rückwärtsgewandter nicht sein könnte. 10 Minute Warning waren ursprünglich eines der urgesteinlichsten Ursteine der Seattler Szene. Gegründet 1982 trennten sie sich bereits wieder 1984, lange bevor der Grunge Hype Train Fahrt aufnehmen konnte. Aber sie waren nicht nur musikalisch eine wichtige Inspiration für das, was später aus der Seattler Musikszene entstehen sollte, sondern auch ganz konkret personell: Greg Gilmore sollte später bei Mother Love Bone Drummer werden, Daniel House landete bei Skin Yard, und Duff McKagan ist zwar vor allem als Guns N‘ Roses und Velvet Revolver Bassist bekannt, war aber musikalisch schon immer deutlich umtriebiger und vielseitiger. 1997 – nach dem Ende von Guns N‘ Roses fand sich Duff in Seattle wieder, und schnell wurden ehemalige kreative Freundschaften wiederbelebt. Das Ergebnis ist die Reunion und das selbstbetitelte Album von 10 Minute Warning, ein tonnenschwerer Rückblick in die unschuldigen Zeiten des Seattler Hard Rock und Metals, laut, derbe, mit Punk Attitüde und ordentlich testosteronschwangerer Aggression. Ein Muss für Liebhaber von Skin Yard und Green River und wahrscheinlich das härteste Stück Nostalgie, was sich in den ausgehenden 90ern finden lässt.

Bands/Künstler_Innen: 10 Minute Warning, Bush, Foo Fighters, L7, Mudhoney, Pearl Jam, Screaming Trees, Silverchair, | Genres: Alternative Rock, Grunge, Rock, | Jahrzehnt: 1990er,


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