Die besten Punk-Rock-Alben der 90er Jahre I (Melodycore, Skate- und California Punk)

Die 90er – eigentlich auch schon die ausgehenden 80er – waren das Jahrzehnt, in dem diese Frage immer wieder aufgeploppt ist: „Ist das da überhaupt noch Punk Rock? Oder was vollkommen anderes?“ Neben dem Metal dürfte der Punk wie kein anderes Genre zuständig sein für Dogmatismus- und Schubladendebatten. Davon betroffen waren keineswegs nur die Pop-Ikonen wie hierzulande die Ärzte und die Hosen oder in den USA Blink 182, sondern vor allem die zu Beginn und Mitte der Dekade sehr populären California Skate-, Surf- und Fun-Punker, die eine Menge geschmeidiger Melodiösität, Pop-Charakter und Sonnencharme in das Genre brachten, dessen Ingredienzen lange Zeit Rebellion, Wut und „No Future“ waren. Anyway, machen wir in dieser Retrospektive einfach Melodycore draus, genießen die eingängigen Hits und kümmern uns nicht weiter um subkulturelle Diskussionen. Ey, Alter. Haste ma ne Hookline?

NOFX – Punk in drublic

(Epitaph 1994)

Für mich wird Punk in drublic wohl immer DAS prototypische California Melodycore Album sein und bleiben. Was für ein Meisterwerk! Fat Mike und seine Leute beherrschen einfach alles, was dieses Genre ausmacht: Emotionale, selbstreflektierte Momente, räudiger Fuck the System Punk, purer Rock N Roll und natürlich großartig ironische Partyentwürfe (wie in der jüdischen Skinheadhymne The Brews). Dabei schütteln sie eine eingängige Hookline nach der anderen aus dem Ärmel, gerade so als wäre es nichts, und schaffen es dennoch durchgehend rotzig, verloddert und ordentlich asskicking zu klingen. Punk in drublic wird für mich immer der heilige Gral des kalifornischen Punkrock bleiben. Tausendmal kopiert, nie wieder erreicht. Pflichtprogramm für dieses Jahrzehnt, wenn es um undogmatischen und zugleich treuen, hittauglichen und zugleich standhaften, auf den Mainstream scheißenden Rock N Roll geht.

Green Day – Dookie

(Reprise 1994)

Uuuund… ab in die Charts! Kalifornier entdecken die Liebe zum melodischen Hit und das (nur scheinbare) Oxymoron Pop Punk ist geboren, inklusive ausführlicher Diskussionen, ob das denn jetzt noch Punk sei und blablabla und so… Dabei führen Green Day nur das konsequent weiter, was auch andere Skate-, Surf-, Melodic-, Punkbands aus Kalifornien seit Anfang der 90er zelebrieren. Sie haben keine Angst vor der eingängigen Hookline, keine Angst davor, die Aggression zurückzunehmen, keine Angst davor, emotional, entspannt oder lebenslustig zu klingen. Im Grunde genommen ist diese Diarrhö-Oper (srsly, lest euch die Hintergründe zu dem Titel des Albums durch!) sogar das konsequenteste Melodycore-Werk seiner Zeit… und landet dadurch fast schon zwangsläufig beim Pop. Und den beherrschen die Berkeley-Veteranen perfekt, zerbrechen ihn nie mit ihren Punkwurzeln, aber nutzen ihn im Gegenzug prächtig aus, um diese zu popularisieren. Ja, Dookie ist ein grenzwertiges Werk, vielleicht tatsächlich mit Pop Punk zu klassifizieren, in diesem Bereich dann allerdings ein großartiges, nur schwer einzuholendes Referenzwerk.

The Offspring – Smash

(Epitaph 1994)

Uuuund… ab in den Mainstream. Neben Green Day steht The Offspring wie kaum ein andere Band der California Ära für die Öffnung des Punks Richtung Radio und vollen Konzerthallen. In dem Fall kein Wunder: Immerhin bedienen sich die Jungs von Huntington Beach hier reichlich bei Alternative Rock, Grunge und sogar Hardrock und generieren damit ein durch und durch hitträchtiges Pop Punk Monster mit einem fetten Augenzwinkern. Das klingt dann auch – trotz California Roots – eigentlich nicht mehr nach Melodycore, verbindet sich mit diesem Genre aber immer noch mit der Liebe zur melodischen Hookline und zum veritablen Teenager Hit. Mit Dogmatismus darf man hier nicht rangehen, dafür aber mit der Liebe zu motherfucking great Punk/Alternative Rock und dem Mut zum Bruch mit den eigenen Genregrenzen. Dann liegt hier schlicht und ergreifend eines der besten Rockalben der Dekade vor.

Bad Religion – Stranger than fiction

(Atlantic 1994)

Natürlich geht keine Melodic Hardcore Liste ohne dessen geistige, musikalischen Vorreiter Bad Religion. Nachdem die Kalifornier vom Hype um den Seatller Grunge und Alternative Rock Anfang der 90er mitgerissen wurden, schien durchaus die Gefahr zu bestehen, die zuvor scheinbar ewig im Underground agierenden Bad Religion würden sich zum nächsten großen Mainstream-Hit entwickeln. Was für ein Brett, mit dem die Jungs rund um Greg Gaffin auf diese Befürchtung antworten. Stranger than fiction atmet den Punk der späten 80er, umarmt den Melodic Hardcore, bedient sich ein wenig bei Seattle, um dann in letzter Konsequenz doch eine Punkrock-Ekstase vor dem Herrn dahinzurotzen. Album Nummer 8 rockt, kickt Ärsche und zerlegt die Crowd. So und nicht anders muss rücksichtsloser, genialer Melodycore klingen.

Pennywise – Full Circle

(Epitaph, 1997)

Dass ausgerechnet Full Circle mein liebstes Album von Pennywise ist, dürfte wohl vor allem meiner nostalgischen Ader geschuldet sein. Als das Album veröffentlicht wurde, war ich genau in dem richtigen Alter, in dem wütender Melodic Hardcore mit politischen Texten auf fruchtbaren Boden fallen konnte. Wütend sind Pennywise in der Tat, nicht erst seit dem Tod ihres Bassisten Jason Thirsk, der auf diesem Album zum ersten Mal schmerzhaft vermisst wurde (auch wenn Randy Bradbury ihn mehr als würdig ersetzt). Wütend sind Pennywise vor allem in ihrer konsequenten, kompromisslosen Straight Ahead Attitüde und ihrer für das Genre ungewöhnlich düsteren Grundhaltung, die sie mitunter weit weg von Kalifornien zu schleudern scheint. Und damit wiederum sind sie gar nicht so weit weg vom Punk der guten alten Schule, der hier sowohl in den politischen Texten als auch der musikalisch anarchischen Radikalität immer wieder durchschimmert.

Millencollin – Life on a plate

(Burning Heart, Epitaph 1995)

Kalifornien liegt nicht irgendwo an der amerikanischen Westküste, sondern in deinem Herzen… oder so ähnlich… was für ein schrecklich kitschiger Satz! Scheint aber zu passen, wenn man sich die Schweden Millencollin anschaut. Die machen das, was Genregrößen wie NOFX auszeichnet, nämlich auch in Nordeuropa so perfekt, dass man sie glatt in den Sunshine State verfrachten möchte: Aggressive Punk Riffs angereichert mit melodischem Gesang, check! Aber Millencollin gehen schon ein bisschen weiter als der Skate- und Surfpunk der mittleren 90er und landen mit ihren ergriffenen Vocals und ihrer emotionalen Ader fast schon im Emocore des folgenden Jahrzehnts. Dazwischen gibt es aber immer noch genug Arschleck-Ska und traditional Punkrock zum Abfeiern, so dass die sympathischen Nordeuropäer Gott sei Dank nie komplett Richtung emotionalem Hardrock wegdriften.

Propaghandi – How to Clean Everything

(Fat Wreck Chords, 1993)

Kalifornien liegt nicht irgendwo an der amerikanischen Westküste, sondern da, wo du am besten Wut mit Partystimmung kreuzen kannst. Die Kanadier Propaghandi haben mehr als genug Wut im Bauch, um wie ein Wirbelsturm über den sonst so oft allzu sonnigen California Punk zu brettern. Ihr Debüt How to Clean Everything verbindet auf großartige Weise Teenage Angst und Teenage Zorn mit dem richtigen Sinn für eingängige Melodien (Kein Wunder, sind sie doch bei Fat Wreck zu Hause) und einer ordentlichen politischen Attitüde, die laut herausschreit, dass es auch im melodischen Punk um mehr geht, als die beste Surfwelle oder den chilligsten Skateparcour zu finden. How to Clean Everything ist deutlich mehr im 80er Hardcore verwurzelt als seine Genrebrüder und dementsprechend kompromisslos punkig, der Eingängigkeit trotzdend.

Bands/Künstler_Innen: Bad Religion, Green Day, Millencollin, NOFX, Pennywise, Propaghandi, The Offspring, | Genres: Punkrock, Rock, | Jahrzehnt: 1990er,


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