Writing… Singing… Playing… – Fünf aktuelle Singer/Songwriter Veröffentlichungen unter der Lupe

Wacker bilden die Songschreiber, Liedermacher, Folkloristen und Sänger eine Bastion gegen alle Trends und aktuellen Popentwicklungen. Folk, Blues und einfache Gitarrenmusik gehören wohl mit zu den Genres, die niemals aussterben werden, unabhängig davon, ob sie sich dem aktuellen Pop-Geschehen öffnen oder einen klaren Widerpart zu ihm einnehmen. Die aktuellsten Alben des weitgefassten Genres scheinen diese Tatsache erneut zu belegen: Es gibt zwei posthum veröffentlichte, uramerikanische Meisterwerke, schrägen Antifolk einer eigenwilligen Harfenspielerin und Sängerin, raubeinigen American Primitive, abgeklärten Alt-Country und melancholischen Folkpop. Wir haben gleich fünf Alben der Einsamen und Eigensinnigen für euch unter die Lupe genommen.

Joanna Newsom – Have one on me

(Rough Trade: 26.2.2010)

Kaltgelassen hat Ys wohl niemanden, der sich in den letzten Jahren mit Folkmusik auseinandergesetzt hat. Vom Großteil der Musikpresse als schillerndes, originäres Klangjuwel gefeiert, von vielen Hörern geliebt, von manchen dank Joanna Newsoms eigenwilliger Stimme als nerviges Gefiepse mit Harfenkitsch abgetan, bewegte das epische Folkalbum die gesamte Musikszene. Anstatt sich auf ihren Lorbeeren auszuruhen liefert Newsom nun zu Beginn des neuen Jahrzehnts einen satten Nachschlag… Und was für einen. 3 CDs, epische Songs, die zwischen fünf und zehn Minuten Länge pendeln, schräge Geschichten und der Verzicht auf jegliche Eingängigkeit. Wieder einmal dürften sich an diesem Album die Geister scheiden.

Newsom ist so etwas wie die gute Zwillingsschwester von Björk. Der Pathos wird bei ihr nicht postmodern dekonstruiert, die Emotionen werden nicht zynisch gebrochen und dennoch ist sie von einfachem, naiven Kitsch meilenweit entfernt. Stattdessen kommen die überlangen Songkonstruktionen mit einer vordergründigen, warmherzigen Schüchternheit und Zurückhaltung daher, um kurz darauf den Zuhörer zu überrollen und ihm die Augen auszukratzen. Joanna Newsom ziert sich, verzehrt sich und wird dann doch wieder laut, kratzbürstg. und vor allem episch. Ebenso entfalten sich die Kompositionsungetüme zwischen subtiler Stille, knarzigen Ausbrüchen und verträumter Melancholie pendelnd zu großen musikalischen Kunstwerken. Das ist in seinen besten Momenten abwechslungsreich, wunderschön, verspielt und ambivalent… auf Dauer aber auch ganz schön anstrengend. Immerhin gilt es hier sich durch zwei Stunden burtonesken Elfenwald zu kämpfen, begleitet von Harfe, Flöten, Oboen, Bläsern, Gitarren und Joanna Newsoms alles dominierenden Stimme.

Das begeistert und zehrt an den Nerven gleichermaßen. Das beglückt und verärgert, beruhigt und hetzt in einem Atemzug…. das langweilt mitunter, gerade wegen seiner kompromisslosen, ambitionierten Länge und seinem Hang zur prätentiösen Epik. Aber das gehört wohl einfach dazu, wenn eine Liedermacherin beflügelt durch die feuilletonale Verehrung jegliche Zurückhaltung über Bord wirft. Joanna Newsom zaubert erneut ein hervorragendes Album aus dem Hut, allerdings auch ein nahezu narzisstisches Kunst-Kunst-Kunstwerk… ein widerborstiges Folkmonument, das erst einmal erklommen werden will.

Johnny Cash – American VI: Ain’t no grave

(Universal: 26.2.2010)

Man könnte sich endlos lange darüber echauffieren, wie eine Singer/Songwriterlegende nach ihrem Tod nun bereits zum zweiten Mal gnadenlos vermarktet wird. Man könnte, wenn das dadurch veröffentlichte Material nicht wieder so unglaublich schön wäre. Cashs nach American V bereits zweites posthum veröffentlichte Werk bietet erneut großartigen, nachdenklichen Alt-Country, der mit überbordernder Lebensweisheit ausgestattet ist. Bereits wenn die ersten Töne vom Titelstück erklingen, nimmt Cashs Stimme den Zuhörer wieder vollkommen gefangen.  Produzent Rick Rubin gewährt der Stimme der Country-Legende viel Freiraum, und reichert die Songs dennoch gekonnt mit Höhen und Tiefen an, so dass man wieder einmal nur den Hut ziehen kann vor einer solch sauberen, satten und gleichzeitig sensiblen Produktion.

Und dann sind da natürlich die hervorragenden Songs. Das melancholische Kristofersen-Cover „For the good times“, die wunderbar relaxte Sheryl Crow Adaption „Redemption Day“, das selbst geschriebene nachdenkliche „I Corinthians 15:55“, der lakonisch präsentierte Klassiker „Cool Water“… jedes für sich ein kleines Meisterwerk, vorgetragen von einem Künstler, der in den letzten Jahren seines Lebens Werke schuf, die mit zu seinen Besten gehören. Die Themen, die Johnny Cash in seinen letzten Aufnahmen abarbeitet sind durchzogen von Alter, Tod, Reue aber auch von Optimismus, Hoffnung und der puren Schönheit des Lebens. Wir lauschen ein letztes Mal einer unheimlich schönen Stimme, zurückhaltendem Gitarrenspiel und wir wissen auch dieses Mal, dass Johnny Cash fehlen wird… in jeder Hinsicht.

Tom McRae – The Alphabet of Hurricanes

(Indigo: 9.2.2010)

Auf seinem mittlerweile fünften Album zelebriert der britische Songwriter Tom McRae wieder einmal große Gefühle und Lieder, die direkt vom Herzen kommen. Bereits der Opener „Still love you“ macht deutlich, dass hier geklotzt anstatt gekleckert wird. McRaes fragile Stimme, die immer nur einen Katzensprung vom Säuseln entfernt ist, und diesen Katzensprung auch immer wieder vollzieht, lässt sanft Textzeilen wie „Are you the one I’ve come to save, are you the water or the wave“ erklingen und badet sich dabei in ihrer eigenen Brüchigkeit und Introspektivität. Dazu gesellen sich hymnische Folksongs, deren Multiinstrumentalität auch mal gerne mit epischen Popmomenten flirtet. So sind die Coldplay- und insbesondere Chris Martin-Anleihen in Stücken wie „American Spirit“ nicht von der Hand zu weisen, während aufbauschende Hymnen wie „Won’t lie“ oder „Please“ auch gerne jegliche Pathosgrenze überschreiten und sich ungeniert großen, gefühlsechten Klangkosmen hingeben.

Das wirkt dann trotz einer im Hintergrund subtil arbeitenden Düsternis und Experimentierfreude bisweilen zu brav, zu naiv und zu schönmalerisch. Ausnahmen wie das sich schräg aufbauschende, verspielte „Told my troubles to the river“ und das bluesige „Me and stenton“ sind leider zu selten, um den generell mitschwingenden, mitunter schmerzhaften Pathos ausgleichen zu können. Trotzdem ist Tom McRae ein solides, ordentliches Folkalbum gelungen, das nicht nur Freunden von James Blunt und Coldplay gefallen dürfte… Affinität zum großen poppigen Weltschmerz vorausgesetzt.

Rocky Votolato – True Devotion

(Cargo: 26.2.2010)

Wenns noch ein Stück melancholischer werden soll, empfiehlt sich ein Blick auf Rocky Votolatos neustes Album. Sensible Lagerfeuerromantik, sanfter Folkpop, der dezent in emotionale Höhen ausbrechen darf und dabei auch gelegentlich elektrisch verstärkt und hymnisch aufgebauscht wird. Die daraus entstehenden Pop-Rock-Folk-Hymnen sind trotz oder gerade wegen der dosierten Rockausbrüche auffällig seicht und brav geworden. Songs für eine bessere Welt, die sich verzehrt von Weltschmerz dem Hörer an den Hals werfen und von ihm getröstet und geliebt werden wollen. Nur, um sie wirklich zu lieben, sind sie einfach zu nichtssagend. Brav und seicht plätschert das Album dahin, die Höhepunkte betten sich brav in den Kontext ein, aber wehtun wollen sie niemandem, zu keiner Zeit.

Rocky Volotato ist ohne Frage ein sehr guter Songwriter und an Ideenarmut leidet auch sein siebtes Album nicht. Stücke wie „Red River“ gehen gut ins Ohr, haben auch durchaus Potential sich dort länger einzunisten, aber um wirklich begeistern zu können, sind sie einfach zu lieb, zu nett und freundlich und generell immer zu dick in Watte gehüllt. Ein Album für besinnliche Stunden, zum Abschalten und in Nachdenklichkeiten Schwelgen. Ob das unbedingt positiv ist, muss der Hörer dann letzten Endes für sich selbst entscheiden. Leider ist bei Votolato die Zahnlosigkeit mittlerweile fast schon zum Konzept geworden.

Jack Rose – Luck in the valley

(Rough Trade: 19.2.1010)

Das letzte hier besprochene Album hebt sich von den Vorausgegangenen durch eine Besonderheit ab: Es verzichtet vollkommen auf Gesang. Der 2009 verstorbene amerikanische Gitarrist ist ein ehemaliges Mitglied der Drone-Band Pelt und spielt auf seinem posthum veröffentlichten Soloalbum „Luck in the Valley“ eine spröde Mischung aus Blues, American Primitive, und Alternative-Country. Die Gitarre ist hier vollkommen in den Vordergrund gerückt. Die Songs selbst sind staubig, trocken und dennoch verspielt, immer mit Hang zum Schrägen und Konfusen. Das ist herrlich nostalgisch, erinnert an Legenden wie John Fahey und gibt sich trotz seiner instrumentellen Schlichtheit oft bissig , satt und unnahbar.

Die Gitarrensaiten werden mitunter höllisch schnell angeschlagen, ekstatisches Fingerpicking wird in Formvollendung betrieben. Die Musik, so introspektiv sie sich auch anschleichen mag, kämpft, beißt und kratzt, dass es eine helle Freude ist. Sie flirtet auch hin und wieder mit traditionellem Country, wüstem Anti-Folk und feierlichem Blue Grass, bleibt dabei aber stets uramerikanisch, rau und gleichsam vital. Die sich so durch das Album ziehenden Stücke sind hypnotisch, aufsaugend, paralysierend und zugleich befreiend und belebend. Ein höchst origineller, spiritueller Kampf des Musikers mit dem Instrument, gegen das Instrument, mit dem Instrument gegen den Zuhörer und gegen die Dämonen in sich selbst. Wer auf trockenen, eigenwillig charmanten Americana-Sound steht und keine Angst vor musikalischen Anachronismen hat sollte sich diesen ungeschliffenen Rohdiamanten nicht entgehen lassen.

Bands/Künstler_Innen: Jack Rose, Joanna Newsom, Johnny Cash, Rocky Votolato, Tom McRae, | Genres: Folk, Singer/Songwriter, | Jahrzehnt: 2010er,


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