Hörenswertes, Mai 2016: Anohni, Death Grips, Mo Troper, Radiohead

In meiner April-Musikschau war noch alles ganz kuschelig, wohlig warm… eigentlich sogar schon frühsommerlich. Im Mai sieht das ganze irgendwie anders aus. In diesem Monat dominieren die schrägen, düsteren, zersetzten und zersetzenden Töne. Daran kann auch der vergnügte Collegerock von Mo Troper nichts ändern. Denn begleitet wird dieser von Pop-Destruktionen einer ANOHNI und Industrial/Rap-Dekonstruktionen der Death GripsRadiohead stürmen zwar eher solide, ohne große Überraschungen den Frühsommer, ändert aber nichts daran, dass auch ihnen wieder mal ein kleines, artpoppiges, antipoppiges Meisterwerk geglückt ist.

Radiohead – A moon shaped pool

(Indigo, 08.05.2016)

So ein bisschen hatte ich beim neuen – ziemlich plötzlich erschienen – Radiohead-Album ja auf eine kleine Werkschau im Stile von Hail to the thief gehofft. Die ist es dann doch nicht so ganz geworden. Dafür machen die wie kaum eine andere Band in Indie-Kreisen vergötterten Briten auf A moon shaped pool vieles richtig, was die letzten Outputa vermissen ließen. Die verschüchterte Yorke-Electronic-Show von In Rainbows ist erst einmal vorbei, ebenso der kalte Avantgarde-Flirt von The King of Limbs. Stattdessen frönt die alphabetisch sortierte Vergangenheitsbewältigung (sogar das 2001er Überbleibsel „True Love Waits“ hat es auf den „Sampler“ geschafft) wieder ganz dem symphonischen Art Pop, so opulent inszeniert, wie man es seit den ersten End-90er Experimental Versuchen nicht mehr gehört hat.

A moon shaped pool wagt wieder die große Geste, das Glockenspiel, die abgehobenen Piano-Akkorde, verzettelt sich dabei jedoch nie in bloßen Repetitionen des sattsam bekannten. Stattdessen spielen Radiohead mit ihren Möglichkeiten, ja auch mit ihren bekannten Versatzstücken, und zaubern mit diesen dennoch unfassbar großartige Songs. Klar, vieles davon ist irgendwie irgendwo bekannt: It’s just another big Radiohead Masterpiece. Das mag mancher nur „solide“ nennen, zum Verlieben ist es trotzdem wieder einmal. Das Elegische, dass sich im Ohr des Hörers festbeißt und zu ruhelosen Fanfaren emporhebt ist dabei fast immer tonangebendes Prinzip. Pop wird aufgegriffen und mit viel Pathos zerschmettert. Immer wähnt der Zuhörer eine Noise-Eruption nach dem nächsten Akkord, aber Radiohead wären nicht eine der spannendsten Post Art Rock Bands unserer Zeit, wenn sie nicht wüssten, wie sie diese Erwartungen untergraben könnten.

Und so trägt dieses Guerilla-Album eine permanente Spannung, eine permanente emotionale Aufgeladenheit in sich, die es wunderschön zugleich aber auch fast schmerzhaft angespannt werden lassen. A moon shaped pool ist ein episches Vexierspiel mit dem machbaren und unmachbaren Moment artifizieller Popmusik, wieder einmal ein Radiohead’sches Monument, das sich anschmiegt, entzieht, umgarnt und verletzt… und damit das zweitbeste Art Rock Album 2016, ganz knapp hinter David Bowies Blackstar. Auch 16 Jahre nach dem Meilenstein Kid A kommt man an den fantastischen Klängen von Radiohead einfach nicht vorbei.

ANOHNI – HOPELESSNESS

(Rough Trade, 06.05.2016)

Mensch muss kein Fan der Kammermusik von Anthony and the Johnsons sein, um anzuerkennen, dass das soundfluide und genderfluide Konzept der Band seit jeher ein beachtliches Gesamtkunstwerk am Tellerrand der avantgardistischen Popszene darstellt. Immer ein wenig verpuppt, immer auf dem Sprung sich voll zum Schmetterling zu entfalten, aber – zumindest scheinbar – immer ein Stück zu sperrig, um diesen Prozess abzuschließen. So blieben auch die letzten kleinen Juwelen spröde, schüchterne Art Pop Experimente für eine sehr eingegrenzte Hörerschaft.

Mit HOPELESSNESS scheint Frontfrau ANOHNI auf Solopfaden in diesem permanenten Prozess einen triumphalen Abschluss gefunden zu haben. Nicht nur, dass sie seit 2015 nach langem Werden vollends als Frau unterwegs ist, darüber hinaus verabschiedet sie sich auf ihrem Solo-Debüt mit großer Geste von der Kammer und betritt das Stadion. Da dürfen dann auch mal sowohl Künstlerinnenname als auch Albumtitel groß geschrieben werden, vor allem wenn das, was sich hinter der Fassade befindet, derart gigantisch daherkommt. Anohni schließt ab mit der Zurückhaltung früherer Johnson-Werke und präsentiert hier epischen Art Pop zwischen Disco, Electro Pop, Ambient und experimentellen Synthie Sounds. Das lädt dann einerseits zum Tanzen ein, flieht dabei aber keineswegs in weltvergessenen Eskapismus. Ganz im Gegenteil: Im Neonlicht der Tanzfläche und im Scheinwerferlicht der großen Stadien befragt und stilisiert Anohni die großen Themen der Gegenwart, erzählt Geschichten von gesellschaftlicher Ausgrenzung und Verlorenheit, immer zwischen Defätismus und kritischer Utopie.

Damit transzendiert sie ihre elegischen Pophymnen in ein beinah unangenehmes „Augen auf!“, das das hymnische Moment seiner selbst geschickt ausnutzt um Salz auf die Wunden der Öffentlichkeit zu streuen. Und mit dieser Attitüde ist Hopelesness wahrscheinlich weitaus mehr Punk als so viele Punk-Veröffentlichungen unserer Zeit und weitaus mehr Rock N Roll als jedes wilde Gitarrengeschrammel. Naive, simplifizierende Texte gehören da anscheinend mit zum Konzept. Klar, dass ist das manchmal zu viel und schrammelt nicht nur einmal mitten hinein in Agitpop-Kitsch. Passt aber auch irgendwie. Politik als Pop, Pop als Politik. Die Aushöhlung des Systems Pop von Innen, die Infizierung der Tanzfläche mit Relevanz und die Zertrümmerung des abgehobenen Divenpop-Pathos mit gehobenem politischen Idealismus. Anohni ist da angekommen, wo sie schon immer hinwollte. Direkt im Pop-Olymp. Und dort macht sie jetzt das, was sie schon immer gut konnte: Unruhe stiften. Politischer wird die Disco dieses Jahr nicht mehr.

Death Grips – Bottomless Pit

(Harvest, 06.05.2016)

Im ersten Quartal des Jahres hat Saul Williams ein neues Album herausgebracht und sich auf diesem mit großer Geste als Martyr Loser King inszeniert. Und ja, natürlich hatte der Poet zwischen Rap, Industrial und Agitpop auch auf dieser Scheibe sein politisches Herz am richtigen Fleck und einiges zu erzählen, mit dem sich die Auseinandersetzung lohnt. Aber ganz ehrlich – egal wie hart das jetzt klingt -, Mr. Williams ist langweilig geworden… und das nicht erst 2016. Irgendwie klingt seine Mischung aus NiN-inspiriertem Industrial und offensivem Polit-Rap komplett aus der Zeit gefallen, geradezu unangenehm anachronistisch, und jeder Versuch das als Avantgarde zu verkaufen entsprechend abgeschmackt und wenig verführerisch.

Doch das ist keineswegs ein Grund, einen Abgesang auf avantgardistischen Industrial Hip Hop anzustimmen. Aus dem Schatten des großen Storytellers Williams haben sich schon vor einigen Jahren die exzentrischen Kalifornier Death Grips erhoben, und auch selbst in die Welt gesetzte Trennungsgerüchte und ein erstes letztes Jahr veröffentlichtes reines Instrumental-Album ändern nichts daran, dass die Experimentalköche von der Westküste das Genre derzeit solide immer wieder in neuen Mindfuck-Windungen verdrehen. Auch Bottomless Pit führt diese Traditionen fort: Gefangene werden hier zu Hauf gemacht… und wie. Sie stammen aus dem Electroclash, aus dem Industrial, ja sogar aus dem (Black) Metal, dem Pop und dem EBM… und nachdem diese alle gefangen wurden, werden sie von den Rap-Metzgern zerlegt.

Bottomless Pit macht seinem Namen alle Ehre: Ein enervierendes, ruheloses, ruchloses Rap-Massaker. Im wahrsten Sinne des Wortes ein bodenloser Hip Hop Schlund, in dem alles verloren geht, was von Zach Hill und MC Ride vorher aufgesogen wurde. Manische Electrobeats duellieren sich mit epischen Klangfetzen, Experimental Jazz Versatzstücke werden von dumpfen Industrialresten vorangetrieben und all das andere musikalische Freiwild, von Kraut bis Disco, wird von dem aufgepeitschten Sprechgesang durch den dunklen, avantgardistischen Abgrund gejagt. Dass bei diesem schweißtreibenden Ritt auch der Zuhörer mitunter auf der Strecke bleibt, gehört wohl mit zum Gesamtkonzept. Ausruhen ist jedenfalls nicht vorgesehen… und gleich zu Beginn fühlt sich dieser ebenfalls zur Jagd freigegeben und am Ende dieses 40minütigen Rauschs auch ziemlich erlegt. Aber heh, selbst Schuld, wenn man in einen bodenlosen Abgrund schaut. Und wer chillen will, kann ja immer noch die neue Saul Williams hören. Wer dagegen wahrhaft kompromisslosen Experimental Hip Hop sucht – und dabei auch vorm eigenen Verlorengehen keine Angst hat – ist hier an der richtigen Adresse.

Mo Troper – Beloved

(Good Cheer Records, 29.04.2016)

College Rock ist tot? Blumiger Alternative Rock ist tot? Die 90er sind tot? Von wegen! Eigentlich schade, dass Weezer vor gar nicht allzu langer Zeit mit ihrem weißen Album wieder einigen Boden gut gemacht haben, sonst könnte man glatt behaupten, das Debüt von Mo Troper Beloved sei das beste und ehrlichste Weezer-Album seit langer langer Zeit. Aber auch so kann man zu den Klängen dieser Indie Popper nur anerkennend mit dem Kopf nicken und sich von ihren wundervoll naiven Melodien mitreißen lassen. Klar, das ist erst einmal so ziemlich alles 90’s as fuck, ohne große Variationen, ohne große Überraschungen. Aber ganz ehrlich, wer Überraschungen erwartet, sollte keinen Indie Rock aus der Zeitmaschine hören.

Mo Troper verstehen sich einfach vorzüglich darin, mit vielen leckeren Melodien, einem guten Schuss Herz und einem kleinen Augenzwinkern stimmige Song-Geschichten zu erzählen, die in ihren melancholischen Momenten oft nah am Kitsch segeln, mit genügend College-Rock-Rotzigkeit dennoch mitreißen und den Cheesy-Faktor so auf erträglichem Niveau halten. Das klingt dann passend zum Wetter perfekt nach Spätfrühling oder Frühsommer und durchaus so, als könnte es auch noch bis zum frühen Herbst durchhalten. Mit Sicherheit kein Meisterwerk. Macht aber was es soll und ist so ein kleiner rundheraus angenehmer Schmankerl für die meteorologisch beste Zeit des Jahres.

Ebenfalls gehört:

– Disco/Oslo – Tyke: Stimmiger Deutschpunk mit Hamburger Einschlag und Postcore-Attitüde. Nimmt sich selbst ein bisschen zu ernst, um richtig zu fetzen, aber angenehm weit weg vom akademischen Elfenbeinturm und auf der Straße geerdet. Kann man hören.

– Summer Cannibals – Full of it: Astreiner Noise Punk Rock N Roll mit viel 90’s Flair, Sonic Youth Verbeugung und sogar einem Hauch Riot Grrrl Anti-Charme. Konnte leider noch nicht das Album in voller Länge genießen, aber die paar Songs, die ich hören durfte, machen extrem Lust auf mehr.

– A Giant Dog – Pile: Ebenfalls schön tief in der Riot Grrrl Nostalgie verhaftet, dabei aber vielleicht doch eine Spur zu poppig, um mich richtig mitzureißen. Hat die letzten Tage verdammt viel Spaß gemacht, dürfte aber gerne noch ne Spur spröder sein.

– Head Wound City – A new wave of violence: Jau, ich bin halt einfach ein 90iger Teen. Head Wound City liefern für meine Kopfnick-Nostalgie-Bedürfnisse schön derben Spät-90iger Posthardcore, der sich nicht dafür schämt, übelst nach Refused zu klingen. Supergroup ist immer ein doofes Wort, aber wenn hier Musiker von den Blood Brothers, the Locust und the Yeah Yeah Yeahs gemeinsam moshen, ist es wohl irgendwie angebracht.

Bands/Künstler_Innen: ANOHNI, Death Grips, Mo Troper, Radiohead, | Genres: Alternative Rock, Art Pop, Art Rock, Avantgarde / Experimental, Electro, Hip Hop, Pop, Rock, | Jahrzehnt: 2010er,


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