Die besten Hip Hop Alben der 90er Jahre III: Jazz-Rap

Puh… den Hardcore Hip Hop, G-Funk und Gangsta-Rap haben wir hinter uns gebracht; und damit bewegen wir uns in Hip Hop Regionen, die mir – wenn schon nicht vertrauter – so doch zumindest deutlich naheliegender sind. Auch wenn ich nie der größte Jazz-Hörer war, so konnte ich Musik, die Jazz mit anderen Genres vermischt, immer schon sehr viel abgewinnen. Ganz gleich ob 60er und 70er Jazz/Funk-Gebräue, der klassische Fusion, der Rock und Jazz unter einen Hut bringt, oder diverse andere Spielarten von Pop-Jazz, Jazzmetal, Post-Jazz, Avantgarde whatever. Hip Hop und Jazz sind natürlich wie füreinander geschaffen. sind doch beide Ausdrücke des Selbstverständnisses der schwarzen amerikanischen Kultur, zu ihrer Zeit und über ihre Zeit hinaus. Und so finden wir in dieser Bestenliste gleich zweierlei: Alt eingesessene Jazz-Künstler, die plötzlich die neue urbane Musik für sich entdeckt haben; und Rapper, die sich ihrem kulturellen Erbe bewusst werden und ihren Hip Hop Sound entsprechend aufpäppeln. Beide haben ihre Berechtigung, beide liefern wichtige Grundsteine für dieses Hybridgenre, das so ziemlich genau um die Jahrzehntwende entsteht und – wenn auch nicht im Mainstream, so zumindest im Feuilleton – die Hip Hop Dekade ordentlich prägen wird.

A Tribe Called Quest – People’s Instinctive Travels and the Paths of Rhythm

(Jive, 1990)

Q-Tip, so ein bisschen Mastermind hinter A Tribe Called Quest hat bereits Ende der 80er Jahre fleißig am Boom des frischen Genres Jazz-Rap mitgearbeitet. Sowohl auf Jungle Brothers „Done by the Forces of Nature“ als auch auf dem Debütalbum De La Souls „3 Feet High and Rising“ ist er zu hören. Und so ist es kein Wunder, dass Geffen in den frühen 90er Jahren auf seine Combo aufmerksam wird. Zu einem Album hat beim großen Label hat es dann nicht ganz gereicht, aber immerhin konnten die in der Zusammenarbeit entstandenen Songs beim Indie-Label Jive untergebracht werden und kurz darauf wurde mit „People’s Instinctive Travels and the Paths of Rhythm“ Hip Hop Geschichte geschrieben. Mit einer fast schon übertriebenen Leichtigkeit mixen A Tribe Called Quest Hip Hop Tunes mit Jazz-Vibes und kreieren eine Scheibe, die den perfekten Cocktail aus beiden Welten darstellt. Es ist schon bemerkenswert, wie leichtfüßig „People’s Instinctive Travels and the Paths of Rhythm“ zwischen mal lustigen, mal albernen Geschichten und komplexen Jazz-Rap-Hymnen pendelt. Da werden munter Funk, Avantgarde Rock und Pop gesamplet und gleichzeitig über den eklektischen Film eine verspielte, lebensfrohe Jazz-Decke gelegt, immer mit fettem Augenzwinkern, immer mit einem leichten „Hey, relax, it’s not that bad!“. A Tribe Called Quest treiben so manchen Schabernack mit ihrem musikalischen Material und schrecken dennoch an sehr pointiert eingeflochtenen Stellen nicht vor tiefergreifenden soziopolitischen Themen zurück. Und so ist der Pfad des Rhythmus auch deutlich tiefgehender, als die lustige, charmante Oberfläche auf das erste Hören offenbart. Mühelos springt der noch so junge Jazzrap von den 80ern in die 90er und nimmt unterwegs mal en passant Kindheit, Pubertät und Adoleszenz mit. Ein echter Hip Hop Klassiker von einer Band, von der in den 90ern noch öfter zu hören sein wird.

Gang Starr – Daily Operation

(Chrysalis, 1992)

Gang Starr, Guru und DJ Premier schaffen mit Daily Operation so etwas wie die Quintessenz des Jazz-Rap aus der Hip Hop Ecke. Schon in anderer (und größerer) Besetzung haben Gang Starr gegen Ende der 80er Jahre fleißig an der Definition des Genres mitgearbeitet, auf ein Duo zusammengeschrumpft gelingt ihnen mit Album Nummer Drei ihr definitivstes Werk. Hier ist nicht nur alles vertreten, was den Jazz-Rap der letzten Dekade auszeichnet, auch arbeiten Gang Starr mit ihren Gangsta-Rap-Tunes, ihrem Spiel mit Funk und Soul tief in die Tropes hinein, die den Rap der 90er Jahre bestimmen werden. Geliefert wird hier 1A Eastcoast Hardcore Hip Hop mit tighten Beats, der exzellenten dichten Produktion von Premier und den sehr markanten Raps von Guru, die in ihrer scheinbaren Lazyness mit Sicherheit nicht jedermanns Sache sind, zur Fusion mit dem Jazz aber oftmals perfekt passen. Gang Starr sind aber keine reinen Jazz Exegeten. Dass sie sich auf folgenden Veröffentlichungen noch mehr dem harten Eastcoast-Rap annähern werden, ist auch hier bereits angelegt: So sind die Raps mitunter ziemlich hart, die Beats derbe. Guru klingt für seine Verhältnisse oft fordernd, lässt sich nicht einfach nur vom Sound treiben, sondern treibt diesen auch nach vorne. Mitunter klingt Daily Operation fast wie eine Jagd: Der Jazz auf der Flucht vor der Attitüde des modernen Raps, immer knapp davor eingefangen zu werden und doch immer wieder entfleuchend. Hier zeigt sich Jazz Rap nicht nur in all seiner glorreichen Harmonie, sondern ebenso in seiner fantastischen Ambivalenz, im Aufeinandertreffen von Gleichartigem und Verschiedenen, im Entstehen eines möglichen Konflikts, der umso spannender und befriedigender gelöst wird.

Guru – Guru’s Jazzmatazz, Vol. 1

(Chrysalis, 1993)

Als Gang Starr Member Guru 1993 seine Jazzmatazz-Reihe begann (die es auf stolze vier Alben, ein Mixtape und ein Best Of schaffte), wurde diese alles andere als einheitlich wohlwollend aufgenommen. Und anscheinend bis zum heutigen Tag wird in der Musikkritik darüber diskutiert, ob es sich um bahnbrechende Arbeiten oder überambitionierte Langweiler handelt. Ist Keith Edward Elam alias Guru ja auch irgendwie selbst Schuld. Während andere Hip Hop Artists der 90er Jahre einfach Jazz in ihren Sound einfließen, beziehungsweise gestandene Jazzer sich ohne groß damit zu hausieren vom Hip Hop inspirieren ließen, machte Guru das ganze mit großer Geste. Frei nach dem Motto „Tu Gutes und rede darüber“ nannte er sein Album nicht nur auf den Punkt Jazzmatazz, sondern ließ sowohl im Text als auch Kontext keine Gelegenheit verstreichen, um die Hochzeit von Jazz und Rap zu thematisieren. Dabei ist Jazzmatazz keineswegs das definitive Jazz Rap Album, das es gerne wäre, in diesem Punkt sind die Ambitionen tatsächlich größer als die Ausführung. Aber es ist ein fantastisches Zeugnis in einer sehr spezifischen Form von Jazz/Rap-Vermählung. Guru ist vor allem verliebt in die anschmiegsamen Momente des Contemporary Jazz, er genießt die Ruhe und Relaxtheit von Lounge und ist überaus fasziniert vom Fusionsgedanken des Acid Jazz. Das Resultat auf Jazzmatazz sind entspannte moderne Jazz Rap Hymnen, die immer mit einem Bein im Pop und Adult Rock stehen, den traditionellen Fusion tief aufgesogen haben und keine Berührungsängste mit dem Ambient haben. Das kann man durchaus langweilig finden, aber es ist schon beachtenswert, wie rund und entspannt Gurus Hymnen rüberkommen. Jazzmatazz geht ins Ohr und Tanzbein, komponiert entspannte Jazz-Hymnen und unterlegt diese mit Gurus mindestens ebenso entspannten, introspektiven Rap-Vocals. Das ist dann Jazz-Rap, der weder provoziert noch wehtut, aber alles in allem eben doch zu gut und unique ist um als kleinster gemeinsamer Nenner gebrandmarkt zu werden. Stattdessen genau das richtige für all jene Jazz-Freunde, die schon am gut bürgerlichen Fusion der 80er Jahre ihre Freude hatten und für die Musik nicht radikal subversiv sondern vor allem elegant sein soll.

Miles Davis – Doo-Bop

(Warner Bros, 1992)

Miles Davis, Godfather des Cool Jazz, 1992 stolze 66 Jahre alt, zeigt mit seinem letzten Album Doo-Bop, dass er auch kurz vor der Jahrhundertwende keineswegs zum alten Eisen gehört. Inspiriert von den Sounds, die im Sommer der frühen 90er Jahre durch die Fenster seines New Yorker Apartments hörte, tat er sich mit Eastcoast Produzentenikone Easy Mo Bee zusammen, der später Outputs von 2Pac und The Notorious B.I.G. verfeinern sollte. Und zusammen taten sie das, was Miles Davis schon immer ganz gut konnte: Mit Jazzfremden Einflüssen experimentieren. So wie der Großmeister einst Funk, Rock und Ambient in seinen Sounds eingewoben hat, so musste dieses Mal der Hip Hop dran glauben. Das Ergebnis ist ein Album, dass auch heute noch – gut 30 Jahre nach seiner Veröffentlichung – unglaublich frisch und lebendig wirkt. Miles Davis sucht nach den Bruchstellen des Jazz, in die sich Hip Hop einfügen lässt, und zugleich sucht er nach den Bruchstellen des Hip Hop, die ein unauffälliges Einfügen ermöglichen. Dadurch klingt Doo-Bop im Gegensatz zu anderen Jazz-Rap-Alben der Ära nicht wie ein aggressiver Hybrid, sondern viel mehr wie ein gekonntes, nie zu ambitioniertes Verflechten. Oft mehr Jazz als Hip Hop, nicht zuletzt auch, weil Rap-Vocals äußerst spärlich eingesetzt werden, an seinen Sollbruchstellen aber immer meisterlich miteinander verkantet. Doo-Bop atmet den urbanen Lifestyle von der einen wie der anderen Seite, ist aufregend, hitzig, schwitzig… und dabei zu keinem Moment eine Anbiederung an die Jugend. Late Miles Davis in Bestform, mit Zutaten, die man auch aus seinen älteren Fusion-Projekten kennt, immer noch Jazz und gleichzeitig deutlich mehr.

Us3 – Hand On the Torch

(Blue Note Records, 1993)

Die Briten sind ja schon ziemliche Streber, wenn es um 90er Jahre Pop geht. Und so ist es nicht verwunderlich, dass sie auch im Jazz-Rap Game ordentlich mitmischen und zu dieser Genre-Fusion auch noch ein prototypisches Werk vorlegen. Die Londoner Us3 samplen Blue Note… und veröffentlichen auch gleich bei Blue Note, um so alle Fragen nach dem Urheberrecht und der eigenen Schöpfungshöhe von Songs mit Samples aus dem Weg zu räumen. Nein, hier findet kein Diebstahl statt, sondern eine Verbeugung. Eine Verbeugung vor der gesamten Jazzgeschichte, zumindest im Blue Note Kosmos. Folgerichtig geben sich auf diesem Debüt unter anderem Herbie Hancock, Reuben Wilson, Sonny Rollins und Duke Pearson die Ehre. Natürlich niemand in Persona vor Ort, und alles gestrickt um die Raps von Rahsaan Kelly und Kobie Powell und die live-instrumentellen Auffrischungen von Gerard Presencer, Dennis Rollins, Mike Smith, Ed Jones, Tony Remy und Matt Cooper. Aber eben doch präsent, ohne jeden Zweifel, und dazu noch in einer Interpretation, die beweist, wie anschlussfähig diese Meister an die musikalische Landschaft des ausgehenden 20. Jahrhunderts sind. Denn Hand On the Torch ist nicht nur famoser Jazz-Rap, sondern auch mitreißender Pop. Am besten natürlich symbolisiert im Eröffnungstrack und Chart-Hit Cantaloop (Flip Fantasia), aber auch in den anderen Stücken, die fast unverschämt Jazz-Zitate zu gewaltigen Ohrwürmern werden lassen. Us3 liefern auf Hand On the Torch wahrscheinlich die perfekte Poppisierung des Jazz durch den Hip Hop… oder eben auch die perfekte Poppisierung des Hip Hop durch den Jazz. Ein höllisch eklektisches Werk, das von Anfang bis Ende Spaß macht und gleichzeitig eine großartige Offenbarung der Zeitlosigkeit des Jazz ist… nicht nur für Hip Hop Fans, sondern für Musikliebhaber generell.

Greg Osby – 3-D Lifestyles

(Blue Note Records, 1993)

Das erste Blue Note Album des seit den 80ern aktiven Saxofonisten und Jazzmusikers Greg Osby ist der exakte Gegenentwurf zur Jazz-Verbeugung von Us3 (und vielen anderen Jazz-Rap-Acts). Im Grunde läuft es sonst ja meistens auf das gleiche hinaus: Der Jazz bietet den Teppich, den Hintergrund… und darauf werden dann Rap-Gebäude aufgebaut. Greg Osby geht den genau anderen Weg. Bei ihm ist der Hip Hop, sind die Raps die Hintergrundbegleitung. Ständig präsent, aber nie im Vordergrund, immer als Untermalung, als atmosphärische Stütze da. Und darüber baut er dann seine herausragenden Lean Back Jazzkompositionen auf. Und so scheinen die Raps entweder komplett mit der instrumentellen Musik Osbys zu verschwimmen, oder sie scheinen als zusätzliches Rhythmuselement zu dienen, immer bereit das Saxophon zu unterstützen, voranzutreiben, aber sie sind sich ihrer Aufgabe sehr bewusst; ziehen sich auch mal zurück, wenn es angebracht ist, drängen sich nie in den Vordergrund und geben nur zu gerne den Kampf gegen die elegischen Jazztöne auf. Durch diese Rollenumkehrung ist 3-D Lifestyles auch ein wenig der Sonderling unter den Jazzrap-Alben: Keine Erweiterung des Jazz-Gedanken durch Hip Hop, keine Verbeugung vor dem Jazz durch den Rap und auch keine Urbanisierung der Tradition. Viel mehr scheint sich der Jazz hier vor dem Rap zu verbeugen, so als sei der Rap die ein Jahrhundert alte Musik, so als sei der Jazz das neue Ding, das sich seinem Genregeschwisterlein bewusst wird. Wie auch immer: 3-D Lifestyles ist ein extrem starkes und mutiges Album eines Jazzkünstlers, der in seiner Karriere so manchen Genrespagat hingelegt hat. Wem das Gehörte gefällt, der sollte auch in die Funk und Fusion-Werke von Osby reinhören.

Herbie Hancock – Dis Is Da Drum

(Mercury, 1994)

Der zweite große Jazz-Artist mit einem Hip Hop Entwurf. „This is something we were working on!“ heißt es ganz bescheiden zu Beginn von Herbie Hancocks „Dis Is Da Drum“. Diese Bescheidenheit wäre gar nicht notwendig. Ähnlich wie Miles Davis setzt Hancock dort ein, wo er zuletzt schon stand: Bei einer furiosen Mischung aus Jazz, Acid, Funk und World Music… und urbanisiert diesen Sound, indem er Hip Hop Rhythmen und Raps einfließen lässt. Dis Is Da Drum kommt daher wie ein Fusion-Album der alten Schule, um dann ziemlich schnell komplett New School zu werden: Scratches, Rap-Vocals, rhythmische Repetition und verflucht viel Dynamik lassen es zu einem ungemein charmanten Stück Hip Hop Jazz Kunst werden. Auch wenn noch viele traditionelle Funk-Fusion und vor allem World-Music-Momente spürbar sind, so wächst Hancock in seinem Gespür für Aufbruch und Dekonstruktion immer wieder über diese hinaus. Das urbane Moment des Hip Hop wird in die verspielten Jazz-Kompositionen eingewoben, der Hip Hop und Rap-Anteil wird aber nie zu sehr nach vorne gestellt. Noch mehr als Greg Osbys und Miles Davis Hip Hop Jazz-Hybride ist Dis Is Da Drum in erster Linie ein Jazzwerk; beeinflusst vom Hip Hop, umgarnt und umworben vom Hip Hop, aber sich diesem nie ganz ergebend. Das können auch durchaus Jazz-Puristen hören, ohne ihr Genre verraten zu fühlen. Und bei so vielen Veröffentlichungen aus der Ecke, wo Hip Hop ganz klar der tonangebende Teil ist, tut es doch ganz gut zu sehen, dass die Vermählung beider Genres auch auf andere Weise stattfinden kann. Wer wissen will, wie moderner Jazz mit Hip Hop Einflüssen ohne Hip Hop zu sein klingen kann, kommt an diesem bunten Hybriden nicht vorbei.

Digable Planets – Blowout Comb

(Pendulum, 1994)

Legen wir uns doch einfach fest: Digable Planets sind wahrscheinlich das coolste Trio der 90er Jahre Raplandschaft. Ishmael „Butterfly“ Butler, Mariana „Ladybug Mecca“ Vieira, und Craig „Doodlebug“ Irving haben bereits mit dem (ebenfalls hörenswerten) Vorgänger „Reachin‘ (A New Refutation of Time and Space)“ ein beeindruckendes alternatives Hip Hop Album kreiert, zu ihrer vollständigen Größe entfalten sie sich dann aber erst auf Blowout Comb. Mit deutlich mehr Budget in der Hand als noch auf ihrem Debüt mixen die drei hier Jazz-Samples mit live eingespielten Instrumentals mit entspannten Beats mit ihren lässigen Raps. Auffällig vor allem ist hier die Doppelbödigkeit von Instrumentellem und Vocals. Auf der einen Seite spielen die Sprechgesänge eine große Rolle im Gesamtmix, sind nicht einfach nur über die produzierte Musik gelegt, sondern werden zum essentiellen Bestandteil des Gesamtmixes. Fast so als würden die Stimmen selbst zu Rhythmus- und Melodie bestimmenden Instrumenten, spielen und tanzen sie mit ihrem instrumentellen Konterpart. In ihrem männlich/weiblichen Doppelgesang sind sie nicht nur verflucht abwechslungsreich sondern sorgen auch immer wieder für überraschende Aufbrüche und Richtungsänderungen. Gleichzeitig sind die Vocals im Gesamtmix mitunter – ganz banal lautstärketechnisch – extrem in den Hintergrund gedrängt, kaum hörbar finden sie als Teil des großen Ganzen irgendwo zwischen Hintergrund und Vordergrund statt, manchmal werden sie auch einfach links liegen gelassen, so dass sich die Songs voll und ganz auf ihre Grundstruktur verlassen können (und müssen). Blowout Comb wird durch diese Doppelbödigkeit zur aufregenden Dekonstruktion des Genres, irgendwie voll drin im ganzen Jazz-Rap-Game und irgendwie voll an der Seite, zwischen Pop, Alternative und sogar Avantgarde mäandernd. So oder so, ein großes Werk mit fantastischen Hooks, verspielten Lines, viel Spaß… und dennoch exquisit und einzigartig.

The Roots – Do You Want More?!!!??!

(DGC, 1995)

Ob wir mehr wollen, werden wir gefragt. Mit sehr vielen Ausrufezeichen zwischen den Fragezeichen. Und nicht nur deswegen muss die Antwort „Ja!!!“ lauten, mit mindestens genau so vielen Exklamationen. Do You Want More?!!!??! ist ein Biest von einem Jazz Hip Hop Album. Das liegt vor allem daran, dass die Roots nicht einfach nur ein paar Jazz-Samples mit Rap-Vocals unterlegen, nein, sie haben die moderne Jazz-Geschichte förmlich aufgesaugt. Und durch diese begleiten sie uns dann auch munter – nach dem vielsagenden „There’s Something Goin‘ On“ in den folgenden 70 Minuten. Und so finden wir hier neben Jazzstandards auch Cool Jazz Referenzen, Bebop-Interludien, viel Swing und sogar Momente von Scat-Vocals und Beatboxing. Im Mittelpunkt steht dabei immer der Groove und vor allem die Lebendigkeit. The Roots klingen zu jeder Zeit unglaublich organisch, nicht einfach nur wie ein paar Rap-Dudes, die im Studio Jazzsamples zusammenmixen, sondern wie das Zusammenkommen einer echten Jazzcombo mit einem echten Rap-Act. Dazu kommen viele Funk-Momente, die aber ebenso im Gegensatz zum G-Funk nicht einfach nur wie Referenzen klingen, sondern sich harmonisch in den Gesamtsound einbetten und eine muntere Verspieltheit, die ebenso gut zum Jazz-Erbe wie zum Hip Hop Erbe passt. Do You Want More?!!!??! ist ein enorm unterhaltsames, spaßiges Album, egal ob man aus der Jazz- oder Rap-Ecke kommt.

The Nonce – World Ultimate

(American Recordings, 1995)

Entspann dich! Das ist der Hauptausruf des Debütalbums des leider ziemlich kurzlebigen Duos The Nonce. Nach dem Nachfolger „1990“ (eine Zusammenstellung von im namengebenden Jahr produzierten Songs) sollte die Zusammenarbeit von Nouka Basetype (Sach) und Yusef Afloat (Deceased) auch schon wieder zu Ende sein. Mit World Ultimate haben sie aber ein gewaltiges Album hinterlassen. Und nochmal: Entspann dich! ist vor allem die Botschaft von diesem. Wie ein hypnotisches Hauchen kommt dieser Hybrid aus Trip Hop und Jazz Rap daher. Im Kontrast zum breitbeinigen Titel ist World Ultimate alles andere als größenwahnsinnig. Auch wenn es hin und wieder die enervierenden, angespannten, schnelleren Tracks gibt, so dominiert hier doch eine gechillte Atmosphäre. Mit dem G-Funk der Zeit wollen die beiden Kalifornier – die die Westcoast dann auch nebenbei für tot erklären – nichts zu tun haben. Statt großer Funk-Verhaxelungen werden bei The Nonce vor allem verrauchte Jazzklänge verarbeitet, statt Albereien und Spielereien durcheinander zu würfeln besinnt sich The Nonce auf die Eleganz und Stilsicherheit der gesampleten Stücke. Und so ist World Ultimate vor allem eine sehr edle Geschichte, Musik für Erwachsene, wenn man so will. Musik für die gehobene Bar, nicht für den Spielplatz, nicht für die laute Party; sondern für eine schummrige Ecke, bei einem Martini, während das Piano im Hintergrund mal entspannte, mal melancholische, mal aufwühlende Klänge von sich gibt. Durch diese Zurückhaltung ist das ganze Werk im Gegensatz zur bunten Westküsten-Konkurrenz der 90er Jahre leider etwas in Vergessenheit geraten. Genau diese Subtilität und Eleganz machen es aber deutlich zeitloser als vieles, was aus dem Kalifornien der Ära sonst so gekommen ist.

The Herbaliser – Very Mercenary

(Ninja Tune, 1999)

Ganz ehrlich… die Briten sind musikalisch solche Streber, dass es fast schon nervt. Das vielleicht beste Jazz-Rap-Album der Dekade kommt im Jahr 1999 raus, als die ganze Party eigentlich schon vorüber ist, und Hip Hop nach dem G-Funk, NY Hardcore Hip Hop und Jazz Rap ganz neue Wege gefunden zu haben scheint. Und von wo kommt es? Natürlich von der Insel. Jake Wherry und Ollie Teeba sind als Duo da schon länger unterwegs. Very Mercenary ist ihr bereits drittes Album unter dem Label Herbaliser, aber was dieses Album im Subgenre macht, ist schon beeindruckend. The Herbaliser inszenieren hier einen äußerst lässigen, referenzfreudigen Noir-Thriller, der den Funk in sich trägt, die Stimmung der 60er und 70er Jahre aufgesaugt hat, und diese mit Stilmitteln der 90er Jahre komplett neu interpretiert. Das schwankt dann irgendwo zwischen Hommage und Exploitation, Verbeugung und verspieltem Bruch. Very Mercenary ist fast so etwas wie der Tarantino-Film des Hip Hops des ausgehenden Jahrtausends. Ein wunderbares Zusammenspiel von Thrill und Komik, von Verspieltheit und stilsicheren trippigen, atmosphärischen Momenten. Der Jazzrap mag in den 90ern nie sonderlich populär gewesen sein, mit Very Mercenary erlebt er aber genau zum Ende der Dekade einen wundervollen Höhepunkt, der noch einmal klar macht, wie viel das Genre an Ambiente und Experimentierfreude zu bieten hat. Aber ehrlich… die Briten sind solche Streber….

Bands/Künstler_Innen: A Tribe Called Quest, Digable Planets, Gang Starr, Greg Osby, Guru, Herbie Hancock, Miles Davis, The Herbaliser, The Nonce, The Roots, Us3, | Genres: Hip Hop, Jazz, Jazz-Rap, | Jahrzehnt: 1990er,


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